Ende der Pressefreiheit
Ikone des Widerstands gegen China: Prozess gegen Hongkonger Verleger Jimmy Lai beginnt
Der Verleger Jimmy Lai ist mit seiner Zeitung Apple Daily eine der treibenden Kräfte für eine Demokratisierung Hongkongs gewesen. Ab Montag steht er deshalb wegen Verschwörung vor Gericht.
Jimmy Lai ist der Kommunistischen Partei Chinas schon sehr lange ein Dorn im Auge. Geschockt von der blutigen Niederschlagung der Proteste mit Hunderten Toten auf dem Tiananmen-Platz in Peking gründete der erfolgreiche Hongkonger Unternehmer 1989 seine erste Zeitung namens Next Magazine. Diese war von Anfang an eine Stimme für mehr Demokratie in der damals noch britischen Kronkolonie Hongkong. Mit harscher Kritik an den Herrschenden brachte Lai mit dem Blatt die KP sogleich gegen sich auf. So bezeichnete ihn der damalige Premier Li Peng – der zu den Hauptverantwortlichen für das brutale Vorgehen der Sicherheitskräfte im Juni 1989 zählt – einmal als „Sohn einer Schildkröte mit null IQ“.
Mag diese Aussage noch schrullig erscheinen, ist der aktuelle Prozess gegen den 76-jährigen Lai todernst. In früheren Zeiten hatte er dem Ärger Pekings noch ausweichen können. Als China aus Wut über Next Magazine im ganzen Land Filialen von Lais Bekleidungskette Giordano schließen ließ, machte er die Zeitung zu – und gründete stattdessen die Apple Daily, die bis zu ihrem erzwungenen Ende 2021 Hongkongs berühmtestes Sprachrohr der Demokratiebewegung blieb. Nun sieht sich Lai sehr schwerwiegenden Vorwürfen unter dem 2020 auf Druck Pekings erlassenen Nationalen Sicherheitsgesetz gegenüber, ihm droht eine lebenslange Haft.
Die Anklage lautet auf Verschwörung mit dem Ziel aufrührerischer Publikationen. Auch werden Lai geheime Absprachen mit dem Ausland vorgeworfen; unter anderem soll der Verleger die USA in seiner Zeitung nach Erlass des Sicherheitsgesetzes aufgefordert haben, Sanktionen gegen die Regierungen von Hongkong und China zu verhängen.
Lai beim Prozessauftakt trotz schlechter Aussichten gefasst
Lai plädierte zum Prozessauftakt am Montag auf „nicht schuldig“ in allen Anklagepunkten. Er wirkte schlanker als bei früheren Gerichtsterminen, lächelte und winkte dem vollbesetzten Saal zu. „Wenn Grundrechte betroffen sind, muss jeglicher Schutz großzügig zugunsten von Herrn Lai .... ausgelegt werden“, sagte Lais Anwalt Robert Pang vor den drei Richtern des Obersten Gerichts. Die Aussichten aber sind nicht rosig für Lai. Seit 2020 wurden alle vor Gericht stehenden Aktivisten auch verurteilt. Auch Lai selbst ist bereits seit drei Jahren in Haft und wurde separat wegen Betrugs im Zusammenhang mit seiner Zeitung sowie wegen einer Mahnwache zu fünf Jahren und neun Monaten Haft verurteilt.
Für viele Hongkonger ist Lai wegen seiner erstaunlichen Karriere ein Held. Er war als Zwölfjähriger vom chinesischen Festland nach Hongkong geflüchtet. Dort arbeitete er sich von der Fabriketage hoch zum Hersteller von Pullovern, bis er schließlich mit Giordano eine eigene Kette für Freizeitkleidung gründete, die bis heute zu den erfolgreichsten in Hongkong gehört. Lai ist reich und besitzt einen britischen Pass. So hätte er nach Erlass des Sicherheitsgesetzes in eine seiner Immobilien in Paris, London, Kioto oder Taipeh flüchten können. Aber er entschied sich, zu bleiben – und wurde schließlich festgenommen.
Nationales Sicherheitsgesetz von 2020 führte zur Erosion der Grundrechte in Hongkong
Das Nationale Sicherheitsgesetz war Chinas Antwort auf eine Protestwelle in Hongkong ab 2019. Es stellt Abspaltung, Subversion, Terrorismus sowie die Zusammenarbeit mit ausländischen Mächten unter Strafe. Mithilfe des Gesetzes schränkt die Zentralregierung seither die Grundrechte der Hongkonger Bevölkerung, wie Presse- oder Versammlungsfreiheit, immer stärker ein. Die neue, von Peking eingesetzte Regionalregierung unter dem Hardliner und ehemaligen Polizisten John Lee hat Kopfgelder von umgerechnet gut 115.000 Euro auf geflüchtete Dissidenten ausgesetzt. Auch das Wahlgesetz wurde 2020 geändert: Nur noch „Patrioten“ dürfen zur Wahl antreten. Das Interesse an Wahlen stürzte ab: Bei der kürzlichen Bezirkswahl gaben nur noch 30 Prozent ihre Stimme ab.
Großbritannien hat am Sonntag die Behörden ausdrücklich aufgefordert, Jimmy Lai freizulassen. Auch das US-Außenministerium verurteilte die Verfolgung des Verlegers und forderte seine Freilassung. „Maßnahmen, die die Pressefreiheit unterdrücken und den freien Informationsfluss einschränken, ... haben die demokratischen Institutionen Hongkongs untergraben und das Ansehen Hongkongs beschädigt“, teilte Außenamtssprecher Matthew Miller mit. Der Prozess ist auf 80 Tage angesetzt.