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Krieg in Nahost
Umfragen aus Israel zeigen: kein Vertrauen in Netanjahu – keine Hoffnung auf Frieden
Nie zuvor genoss Israels Regierungschef Netanjahu so wenig Rückhalt wie heute. Trotzdem will die Mehrheit erst nach dem Krieg gegen die Hamas abrechnen.
Tel Aviv – Der Krieg Israels gegen die Hamas hat auch massive Auswirkungen auf die innenpolitischen Verhältnisse des Landes. Der amtierende Premierminister Benjamin Netanjahu, der fast durchgehend seit 2009 das Land regiert, sieht sich einem immensen Vertrauensverlust gegenüber. Noch größer ist aber der Verlust an Zuversicht, dass das grundlegende Problem, der israelisch-palästinensische Konflikt, überhaupt jemals nachhaltig gelöst werden kann. Das berichtet die israelische Tageszeitung Haaretz in einer Analyse.
Nach Ausbruch des Krieges in Israel: Massiver Vertrauensverlust gegenüber Benjamin Netanjahu
Mitte bis Ende Oktober erhobene Umfragen des Israel Democracy Institute haben ergeben, dass nur noch 18 Prozent der israelischen Bevölkerung (20.5 Prozent der jüdischen und 7.5 Prozent der arabischen Israelis) ihrer Regierung vertrauen – der niedrigste Wert seit Beginn der Messung durch das Institut im Jahr 2003. Regierungschef Netanjahu persönlich kommt auf noch schlechtere Werte.
Netanjahus Beliebtheitswerte sind in Israel auf einem historischen Tiefstand. Der langjährige Spitzenpolitiker und ehemalige Oppositionsführer Benny Gantz, der in der Stunde der Not Mitglied des Kriegskabinetts wurde, rangiert seit Wochen mit deutlichem Abstand vor dem Amtsinhaber. Eine Maʿariv-Umfrage von Anfang November ergab, dass 49 Prozent der Befragten sich für Gantz als Regierungschef entscheiden würden. Netanjahu kam nur auf 27 Prozent – ein neuer Negativrekord, so Haaretz.
Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu (M.) ist so unbeliebt wie nie zuvor. Er wird persönlich für die Katastrophe vom 7. Oktober verantwortlich gemacht. Die meisten Israelis wollen aber erst nach dem Krieg politisch abrechnen.
Netanjahu wird persönlich verantwortlich gemacht für Terrorangriff der Hamas
Laut einer Umfrage des Senders Channel 13 von Anfang November fordern inzwischen 76 Prozent der Israelis Netanjahus Rücktritt noch während oder nach dem Krieg. Knapp 30 Prozent wünschen sich, dass er sofort „geht“. Mitte Oktober forderten sogar fast sechs von zehn Wahlberechtigten seiner eigenen Likud-Partei, dass er zurücktritt. Das ging aus einer Umfrage des aChord Centers hervor – eines Instituts für Sozialpsychologie, das der Hebräischen Universität angegliedert ist.
Mittlerweile kommt es zu Protesten vor dem Haus von Netanjahu, bei denen sein Rücktritt gefordert wird. Sein schwindender Rückhalt in der Bevölkerung ist offenbar darauf zurückzuführen, dass Netanjahu von sehr vielen Israelis persönlich für die Katastrophe des 7. Oktobers verantwortlich gemacht wird. Für diese Schuldzuweisung gibt es gute Argumente, wie der ehemalige Leiter des ARD-Studios in Tel Aviv Richard C. Schneider auf Spiegel Online erklärt.
Krieg in Israel: Schwere Vorwürfe gegen Premierminister Netanjahu
Seit Jahren wird Netanjahu beschuldigt, maßgeblich an der Finanzierung der Hamas beteiligt gewesen zu sein oder sie zumindest ermöglicht zu haben. Damit habe er die Terrororganisation, die die Macht im Gazastreifen 2007 an sich gerissen hat, groß gemacht – womit er ihren über lange Zeit und unter großem Aufwand vorbereiteten Terrorangriff vom 7. Oktober erst ermöglicht habe.
Netanjahus Ziel sei es stets gewesen, eine Einigung der Palästinenser zu verhindern, indem er die Hamas im Gazastreifen als Gegengewicht zur Palästinensischen Autonomiebehörde von Mahmoud Abbas im Westjordanland aufbaute. Eine Zweistaatenlösung sollte auf diesem Wege unmöglich gemacht werden, denn eine Voraussetzung dafür ist, dass die Palästinenser mit einer Stimme sprechen.
„Wenn wir uns das alles über die Jahre hinweg anschauen, dann ist eine der Hauptfiguren, die entscheidend zur Stärkung der Hamas beiträgt, Bibi Netanyahu, er macht das seit seiner ersten Amtszeit als Premierminister“, sagte bereits 2013 Yuval Diskin, der ehemalige Chef des israelischen Inlandsgeheimdienstes Schin Bet. Der frühere Premierminister Ehud Barak warf Netanjahu diese Politik schon vor Jahren vor. Dessen Strategie bestehe darin, „die Hamas am Leben zu erhalten. Selbst um den Preis, die Bürger im Süden des Landes im Stich zu lassen“, sagte Barak damals.
Vorerst rettet Netanjahu nur der Umstand, dass sich das Land gegenwärtig in der schwersten Krise seiner Geschichte befindet und die Bevölkerung in dieser außergewöhnlichen Situation der kriegführenden Regierung nicht in den Rücken fallen will. Deshalb will eine Mehrheit der Israelis, laut dem Israel Democracy Institute 63 Prozent, auch erst nach diesem Krieg politische Konsequenzen ziehen.
Vor dem Gaza-Krieg: Die Geschichte des Israel-Palästina-Konflikts in Bildern
In Israel ist „etwas kaputtgegangen“ – kein Vertrauen mehr in eine Friedenslösung
Eine weitere, vermutlich folgenschwerere Auswirkung des Krieges in Israel, die alle bisherigen übertrifft, ist eine Desillusionierung weiter Teile der israelischen Bevölkerung. Immer weniger Israelis scheinen an die Möglichkeit eines dauerhaften Friedens mit den Palästinensern zu glauben. In Umfragen ist die Unterstützung für die Zwei-Staaten-Lösung unter jüdischen Israelis seit Ende August um fast zehn Punkte auf nur noch 29 Prozent gesunken.
Noch dramatischer ist der demoskopische Rückgang, wenn es um die Frage nach der Unterstützung von Verhandlungen mit der Gegenseite geht. Im vergangenen Sommer lag die Zustimmung hier noch bei knapp 50 Prozent der jüdischen Israelis. Mittlerweile ist dieser Wert auf nur noch 25 Prozent gesunken – „der niedrigste Wert, den ich in 30 Jahren Umfragen erlebt habe“, schreibt dazu die Autorin der Haaretz-Analyse.
2013 lag die Zustimmung zu Friedensverhandlungen noch bei heute schwer vorstellbaren 76 Prozent. Nur noch acht Prozent der jüdischen Israelis glauben, dass solche Verhandlungen zum Frieden führen werden. Unter den arabischen Israelis sind es immerhin 57 Prozent. Für viele jüdische Israelis ist offenbar „etwas kaputtgegangen“, schreibt Haaretz. Das Vertrauen in die Palästinenser insgesamt ist offenbar gänzlich verschwunden. Der Gedanke, Land oder politische Macht zugunsten der anderen Seite aufzugeben, erscheint immer mehr Juden im Land abwegig und sogar gefährlich. Diese Einschätzung gilt, zumindest vorerst, auch über alle politischen Gräben hinweg.