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Analyse

Finanzieller Anreiz für Nachhaltigkeit - Experte fordert: „Das Klimageld sollte bald kommen“

Klimageld (Symbolbild)
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Klimageld (Symbolbild)

Rekordhitze und Waldbrände im Urlaubsgebiet: Wetterextreme bewegen die Menschen – aber die Wissenschaft hat keine Belege dafür, dass daraus mehr Unterstützung für den Klimaschutz erwächst, sagt der Soziologe Eduardo Gresse.

Im Interview spricht er darüber, was die Bundesregierung in der Klimapolitik falsch macht.

Herr Gresse, wir haben im Juli den heißesten Monat seit Beginn der Aufzeichnungen erlebt, in Deutschland warnte Anfang Juli selbst die Bild-Zeitung vor der Hitze, und auf Rhodos mussten Tausende Menschen vor Waldbränden in Sicherheit gebracht werden. Verändert das die Sicht der Deutschen auf den Klimaschutz?
Natürlich bewegen Wetterextreme die Menschen – vor allem, wenn sie von ihnen ganz persönlich betroffen sind. Aber es gibt keine wissenschaftlichen Belege dafür, dass ungewöhnlich hohe Temperaturen, Waldbrände oder andere Katastrophen, die mit dem Klimawandel verbunden sind, die Unterstützung für eine ehrgeizige Klimapolitik plötzlich erhöhen.

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Dieses Interview liegt IPPEN.MEDIA im Zuge einer Kooperation mit dem Climate.Table Professional Briefing vor – zuerst veröffentlicht hatte es Climate.Table am 03. August 2023. Erhalten Sie 30 Tage kostenlos Zugang zu weiteren exklusiven Informationen der Table.Media Professional Briefings – das Entscheidende für die Entscheidenden in Wirtschaft, Wissenschaft, Politik, Verwaltung und NGOs.

Was müsste die Bundesregierung denn tun, um mehr Rückhalt für eine starke Klimapolitik zu erhalten?
Die Bundesregierung müsste viel klarer kommunizieren und ambitionierte Ziele umsetzen. Sie müsste den Menschen sagen: Die Klimakrise ist ernst, aber wir können etwas dagegen tun, und so sind unsere Pläne. Sie müsste deutlich machen: Klimapolitik hat nicht nur mit Regulierung zu tun – es geht auch um Wohlstand und bessere Lebensqualität. Ein klarer klimapolitischer Plan aber ist derzeit von außen kaum erkennbar. Natürlich ist es immer schwierig, in einer Koalition Kompromisse zu finden. Erst recht, wenn zwei Parteien in der Regierung sind, die in der Klimapolitik so gegensätzlich ticken wie FDP und Grüne. Aber die Menschen erwarten, dass die Regierenden ihnen klar sagen, wohin es gehen soll.

„Bundesregierung muss klarer kommunizieren“

Was braucht es außer Klarheit und Ehrgeiz noch?
Es geht auch um Gerechtigkeit. Diejenigen, die am meisten emittieren, können die steigenden Energiekosten leicht wegstecken. Sie werden auch die Belastungen durch den klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft kaum spüren. Aber was ist mit den Menschen, die ohnehin schon knapsen müssen? Wenn die Klimapolitik kein klares Signal gibt, dass sie Gerechtigkeitsaspekte wirklich ernst nimmt, dann werden sich die Konflikte weiter verstärken.
Wie sähe so ein Signal aus?
Klimaschutz und Sozialpolitik gehören immer zusammen, das ist wichtig. Im Koalitionsvertrag hat die Regierung ein Klimageld angekündigt, das vor allem den Menschen mit geringem Einkommen helfen würde. Es wäre wichtig, dass es bald kommt. Gut wäre, wenn parallel zu seiner Auszahlung auch Subventionen für die agroökologische Produktion gezahlt würden, um Konsummuster in Richtung Nachhaltigkeit zu verändern. Oder in der Verkehrspolitik: Da sind Investitionen in die Bahn-Infrastruktur in Verbindung mit dem Neun-Euro- oder Deutschlandticket essenziell. Im Moment sieht es aber danach aus, als würde nicht einmal das Klimageld für sich genommen in der laufenden Legislaturperiode beschlossen werden.
Dennoch: Warum schlägt sich die zunehmende Zahl von Extremwettern in unserer Nähe nicht in mehr Unterstützung für den Klimaschutz nieder?
Im Alltag wird das oft schnell wieder von anderen Sorgen überlagert, und das Klima verschwindet wieder aus den Medien. Nehmen Sie die schlimmen Überschwemmungen im Ahrtal vor zwei Jahren. Damals wurde viel über das Klima diskutiert, und viele Menschen waren wirklich erschüttert vom Ausmaß der Zerstörung. Aber dann wurde die Klimakrise durch die Pandemie verdrängt, und heute haben wir eine Energiekrise und Inflation. Im Moment sehen wir eher einen Backlash gegen den Klimaschutz.
Was meinen Sie mit Backlash?
Im September 2019 war die Klimapolitik noch im Aufwind, Millionen gingen weltweit mit Fridays for Future auf die Straße, in Deutschland demonstrierten Hunderttausende, die Grünen befanden sich in einem Umfragehoch. Jetzt aber geht es gerade für die Grünen darum, eine ehrgeizige Klimapolitik in die Praxis umzusetzen – und das ist auch angesichts der Mehrheitsverhältnisse in der Regierung schwierig. Viele Leute wollen eben keinen ambitionierten Klimaschutz. Andere sind umso enttäuschter, weil ihre Erwartungen nicht erfüllt werden. Das führt zu Konflikten.

Interessen, Ideologien und Machtstrukturen

In Deutschland schlägt sich die Enttäuschung gerade in vergleichsweise radikalen Protesten nieder.
Aktuell passieren mehrere Dinge gleichzeitig. Wir haben die Aktionen der Letzten Generation – zugleich protestieren auch andere Gruppen, die sich von der Klimapolitik überfordert fühlen, weil die jetzt beginnt, in ihren persönlichen Alltag einzugreifen, ins Heizen, ins Autofahren. Hinzu kommen ganz reale Sorgen durch den Krieg in Europa, die Energiekrise, die Inflation – und einige Medien und Parteien, die eine ehrgeizige Klimapolitik aktiv hintertreiben und auch absichtlich polarisieren. Dahinter stecken politische und wirtschaftliche Interessen, etwa der fossilen Industrie, Machtstrukturen und auch Ideologien. Nehmen Sie die hitzige Debatte ums Tempolimit. Eine Geschwindigkeitsbegrenzung würde nicht nur dem Klima nützen, sondern auch der Verkehrssicherheit. Aus wissenschaftlicher Sicht hätte sie nur Vorteile. Trotzdem lässt sich ein Tempolimit aus ideologischen Gründen nicht durchsetzen.
Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass es der Menschheit noch gelingt, die 1,5-Grad-Grenze nicht zu überschreiten?
Für ziemlich unwahrscheinlich. Unsere Studie „Hamburg Climate Futures Outlook“ zeigt, dass das vor allem an den gesellschaftlichen Triebkräften liegt, denn rein physikalisch wäre die 1,5-Grad-Grenze noch zu halten. Vor allem zwei Faktoren verhindern derzeit, dass die Welt sich auf den Weg hin zur tiefen Dekarbonisierung macht – also hin zu einer Wirtschaft und Gesellschaft, die netto keine Treibhausgase mehr verursacht.

Unternehmen müssen aktiver werden

Welche zwei Faktoren sind das?
Die globalen Konsummuster sind ein Faktor. Wir sehen ganz klar, dass die Emissionen aus dem Konsum stetig weiter steigen und mit großen sozialen Ungleichheiten verbunden sind. Der andere liegt in den Strategien der Unternehmen. Zwar haben sich viele Firmen Klimaschutzziele gegeben, aber alles in allem sehen wir nicht, dass der Unternehmenssektor als Ganzes die Dekarbonisierung unterstützt.
Zugleich verschärft sich die Klimakrise immer weiter. Bringt uns das irgendwann vielleicht doch noch an einen gesellschaftlichen Kipppunkt, ab dem engagierte Klimapolitik nicht mehr in Frage gestellt wird?
Ich halte den Begriff „gesellschaftlicher Kipppunkt“ für irreführend. Ein Kipppunkt würde bedeuten, dass die Entwicklung nicht mehr zurückgedreht werden kann, sobald er überschritten ist. Ich bin da skeptisch. Die Forschung zeigt eher, dass Gesellschaften sich dynamisch bewegen. Mal geht es in die eine Richtung, dann in die andere. Und gerade schwingt das Pendel eher zurück.
Gibt es auch Entwicklungen, die Ihnen Hoffnung für das Klima machen?
Hoffnung macht mir die weltweite Verbreitung von fundamentalen Normen wie „Klimagerechtigkeit“ sowie die Mobilisierung von – vor allem jungen – Leuten, die sich in der Klimabewegung und in der Politik engagieren. Klimaklagen sind auch wichtige Entwicklungen, sowie eine öffentliche Debatte, die sich immer stärker um das Klima dreht. Der Wandel geschieht nicht so schnell, wie wir es uns wünschen würden. Aber neben den Bremsern gibt es auch gesellschaftliche Kräfte, die in die richtige Richtung gehen. 

Eduardo Gonçalves Gresse ist Soziologe und Senior Postdoc am Exzellenzcluster „Climate, Climatic Change and Society (CLICCS)“ der Universität Hamburg. CLICCS erforscht, wie sich Klimaveränderungen und gesellschaftliche Entwicklungen gegenseitig beeinflussen, und leitet daraus ab, welche „Klimazukünfte“ möglich und plausibel sind. Ein weiterer Schwerpunkt von Gresses Forschung ist die Nachhaltigkeitsgovernance, insbesondere in Brasilien.

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