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Versammlungsfreiheit in Gefahr?

Unterdrückung von Klimaaktivisten: Amnesty stellt Deutschland erstmals auf Ächtungsliste

Amnesty beobachtet mehr Repression gegen Protestierende – vor allem gegen Klimaaktivisten. Erstmals wird Deutschland auf einer Liste angeprangert – zusammen mit dem Iran.

Berlin - Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International beobachtet eine zunehmende Einschränkung der Versammlungsfreiheit in Deutschland. Auf einer am Dienstag (19. September) veröffentlichten digitalen Weltkarte führt die NGO Länder auf, in denen Proteste vonseiten des Staates auf undemokratische Weise unterdrückt und niedergeschlagen werden, wie es in einer Pressemitteilung heißt.

Auf dieser „Protest Map“ listet Amnesty erstmals auch Deutschland als ein Land auf, in dem die Versammlungsfreiheit „durch Präventivhaft, Schmerzgriffe, repressive Gesetzgebung und Versammlungsverbote“ zunehmend eingeschränkt werde. „In Deutschland werden Proteste von staatlichen Behörden mitunter als Bedrohung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung wahrgenommen und deshalb eingeschränkt. Das bereitet uns große Sorge“, sagt Paula Zimmermann, Expertin für Meinungs- und Versammlungsfreiheit bei Amnesty International in Deutschland.

Amnesty International über Deutschland: Klimaaktivisten werden Opfer „zunehmender Repressionen“

Hierzulande seien vor allem Klimaaktivisten „zunehmenden Repressionen“ ausgesetzt. In Bayern seien seit Oktober 2022 Dutzende Aktivisten, meist von der Klimabewegung „Letzte Generation“, für bis zu 30 Tage in Präventivhaft genommen worden. Statt, wie eigentlich gedacht, zur Verhinderung schwerer Straftaten werde diese Maßnahme zu Abschreckungszwecken eingesetzt, so Zimmermann. „Dies umgeht das Recht auf ein faires Verfahren und stellt eine Menschenrechtsverletzung dar.“ Mit der Razzia gegen die „Letzte Generation“ im vergangenen Mai sah Amnesty „eine neue Eskalationsstufe erreicht“.

Polizeikräfte lösen eine Straßenblockade der „Letzten Generation“ in Berlin auf. Schmerzgriffe wie der hier angewendete werden von Amnesty International scharf kritisiert.

Auch präventive Versammlungsverbote seien in einigen Städten Deutschlands erlassen worden, um unliebsame Klimaproteste im Vorfeld zu unterbinden. Auch propalästinensische Kundgebungen in Berlin anlässlich des Nakba-Gedenktages seien 2022 und 2023 präventiv verboten worden. Amnesty kritisiert solche Versammlungsverbote „aufgrund ihrer Pauschalität als unverhältnismäßig“ und stuft sie in menschenrechtlicher Hinsicht als bedenklich ein, da „sie sich auf stigmatisierende und diskriminierende Stereotype beziehen.“

Trotz Klimaprotest: Amnesty International appelliert – „Versammlungsfreiheit in Deutschland schützen“

Amnesty spricht auch von „übermäßiger Polizeigewalt“, die wiederum besonders Klimaaktivisten betreffen würde. Schmerzhafte Spezialgriffe, Schmerzgriffe genannt, würden gezielt eingesetzt, um deren Protestaktionen aufzulösen. Diese Praxis, gegen friedliche Protestierende eingesetzt, verstoße gegen das Gebot der Verhältnismäßigkeit. „In einigen Fällen können diese Techniken sogar eine erniedrigende oder unmenschliche Behandlung darstellen und damit gegen das Folterverbot verstoßen“, sagt Zimmermann.

Gewalt gegen Aktivisten, Sachbeschädigung und Blockaden: Die Proteste der „Letzten Generation“ in Bildern

Polizei nimmt Regensburger Klimaaktivisten in Gewahrsam.
In Regensburg klebten sich Mitte Juni Klimaaktivisten auf der Straße fest. Für Aufsehen hatte aber vor allem gesorgt, dass ein Aktivist bereits vor den Protesten in Gewahrsam genommen worden war.  © IMAGO / Manfred Segerer
Bei einer Straßenblockade der „Letzten Generation“ kam es zu Handgreiflichkeiten von aufgebrachten Passanten. Ein Video der Szenen teilten die Aktivisten auf Twitter.
Oft sehen sich die Aktivisten der „Letzten Generation“ blanker Wut ausgesetzt, nicht selten wird es handgreiflich. Wie hier in Rosenheim, Anfang Juli, als Aktivisten von Passanten von der Straße gezogen wurden. Eine Frau wurde dabei besonders hart angegangen, in einem Video der Szenen ist zu hören, wie sie schreit: „Ich krieg’ keine Luft mehr“. Ein Mann hatte sie am Kragen gepackt und von der Straße gezogen. © Screenshot Letzte Generation / Twitter / Merkur-Collage
Ein Aktivist der „Letzten Generation“ klebte sich mit einer „Zementklebemischung“ am Stachus fest.
Mitte Juli hatten Aktivisten der „Letzten Generation“ den Verkehr am Stachus mitten in München blockiert – einer der Protestierenden hatte sich sogar mit einer Zementklebemischung an der Straße befestigt. © Adriano D‘Adamo
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder war mit dem Fahrrad in Nürnberg unterwegs und wurde von Aktivisten der „Letzten Generation“ aufgehalten und mit Vorwürfen konfrontiert.
Mitte August war Bayerns Ministerpräsident Markus Söder im Rahmen eines politischen PR-Events mit dem Fahrrad unterwegs. Aktivisten der „Letzten Generation“ waren ebenfalls vor Ort und erhoben Vorwürfe gegenüber der bayerischen Klimapolitik. Im Rahmen dieser Protestaktion waren auch die Blockaden Ende August in Regensburg und in München angekündigt worden. © Letzte Generation
Am frühen Dienstagmorgen, 22. August, blockierten Aktivisten der „Letzten Generation“ auch das BMW-Werk bei Regensburg.
Gegen Ende August sorgten die Aktivisten der „Letzten Generation“ mit Protesten an zwei Tagen in Regensburg für Aufsehen. Unter anderem die Zufahrtsstraßen zum BMW-Werk in Regensburg wurden blockiert. Dieses befand sich allerdings in den Werksferien. © „Letzte Generation“
Unsanft haben zwei Autofahrer bei einer Sitzblockade der „Letzten Generation“ einen Rollstuhlfahrer von der Straße gezogen.
Bei einer Straßenblockade Ende August in Regensburg wurde ein protestierender Aktivist der „Letzten Generation“ unsanft von zwei Autofahrern von der Straße gezerrt. © Screenshot „Letzte Generation“ / X (vormals Twitter)
Aus Protest gegen die deutsche Klimapolitik haben Aktivisten der „Letzten Generation“ das Wasser des Fortuna- und des Famabrunnens vor dem Neuen Herrenschloss auf der Herreninsel im Chiemsee schwarz gefärbt.
Aus Protest gegen die deutsche Klimapolitik haben Aktivisten der „Letzten Generation“ am Mittwoch, 23. August, das Wasser des Fortuna- und des Famabrunnens vor dem Neuen Herrenschloss auf der Herreninsel im Chiemsee schwarz gefärbt. © Letzte Generation
Aktivisten der Klima-Gruppe „Letzte Generation“ haben in München mehrere Blockaden abgehalten.
Am Donnerstag, 24. August, blockierten Aktivisten der „Letzten Generation“ mehrere Verkehrsadern der bayerischen Landeshauptstadt. Vor Ort war auch die als „Klima-Shakira“ bekannte österreichische Aktivistin Anja Windl, die zuletzt immer wieder für Schlagzeilen gesorgt hatte. Die Münchner Polizei ging resolut gegen die Straßenblockaden vor. © Imago / Zuma Wire / Collage

Insagesamt würde Protest als solcher in Deutschland „teils kriminalisiert und dämonisiert, statt ihn als Menschenrecht zu achten und als Kern einer lebendigen Zivilgesellschaft anzuerkennen“, so die Amnesty-Funktionärin Zimmermann. „Wir appellieren an die Bundes- und Landesregierungen, die Versammlungsfreiheit in Deutschland umfassend zu schützen.“

Amnesty International sieht einen weltweiten Trend zu mehr Repression gegen Protestierende

Deutschland ist lauf Amnesty mit seinem Trend zu mehr Repression gegen Protestierende nicht allein, auch wenn sich das Ausmaß der Repression vergleichsweise in Grenzen hält. Die Menschenrechtsorganisation stellt eine weltweite Zunahme staatlicher Unterdrückung von Protesten fest. Für die „Protest Map“ wurden 156 Länder untersucht. In mindestens 86 von ihnen seien die Behörden mit „unrechtmäßige Gewalt“ und „repressiven Gesetzen“ gegen Proteste vorgegangen.

In 79 Ländern seien Protestierende willkürlich inhaftiert und in 37 Ländern sogar tödliche Waffen eingesetzt worden. So seien in Peru 49 protestierende Menschen von Sicherheitskräften getötet worden. Besonders schlimm sei die Situation im Iran. Das dortige Regime habe Hunderte ermordet und Zenhntausende, darunter Kinder, willkürlich inhaftiert. Zahlreiche Menschen seien in der Haft gefoltert und auch mittels sexualisierter Gewalt misshandelt worden.

Rubriklistenbild: © IMAGO/aal.photo

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