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Zivile Opfer
„Kein Vertrauen in die Zahlen“ – Wer zählt die Toten im Gazastreifen?
Der Krieg in Israel fordert in Gaza viele zivile Opfer. Doch die Zahlen stammen vom Hamas-geführten Gesundheitsministerium. Sind sie glaubwürdig?
Gaza/Jerusalem - Nach Angaben des von der Hamas geführten Gesundheitsministeriums wurden durch den Krieg in Israel im Gazastreifen seit dem 7. Oktober 20.000 Zivilisten getötet. Doch während die Zahl weiter steigt, sind die Angaben wegen ihrer Quelle ins Visier geraten. Schließlich verbreitet die Hamas selbst die Informationen. Wie glaubwürdig sind die Zahlen?
Oft ähnliche Zahlen über Opfer im Gazastreifen - „mit einer kleinen Lücke zwischen ihnen“
Bisher scheinen die Zahlen oft gestimmt zu haben; denn in früheren Kriegen und Konflikten wurden die Daten des Ministeriums von Menschenrechtsgruppen im Gazastreifen überprüft. Diese Gruppen „haben eine kleine Verzögerung im Vergleich zum Gesundheitsministerium – etwa 24 Stunden –, aber die Zahlen sind normalerweise ähnlich, mit einer kleinen Lücke zwischen ihnen“, so Jack Khoury in der israelischen Zeitung Haaretz. Khoury ist Reporter für arabische Angelegenheiten. Für seinen Bericht verglich Khoury die Angaben des Hamas-Ministeriums mit denen von NGOs wie dem in Gaza ansässigen „Al Mezan Center for Human Rights“ und internationalen Gruppen, „und sie alle sagten, dass die Zahlen ziemlich genau seien“, so der Journalist.
Im Gaza-Krieg 2014 habe das Gesundheitsministerium beispielsweise 2.310 palästinensische Tote in dem zweimonatigen Krieg gezählt, während die Vereinten Nationen die Zahl auf 2.251 und das israelische Außenministerium auf 2.125 beziffert hätten, so die Zeitung.
Allerdings wurden im Lauf des Krieges wichtige Kommunikationskanäle zerstört, wie Reuters berichtet. Einer der Beamten, die das Datenzentrum des Al-Shifa-Krankenhauses leiteten, wurde demnach bei einem israelischen Luftangriff getötet. Die anderen drei seien schon vermisst worden, als israelische Truppen die Kontrolle über das medizinische Zentrum übernahmen. Seitdem wurden die Zahlen des Ministeriums nur noch sporadisch veröffentlicht.
Bombardierung des Al-Ahli-Krankenhauses erschüttert Glaubhaftigkeit - „kein Vertrauen in die Zahlen“
Obwohl internationale Organisationen die Angaben des Gaza-Gesundheitsministeriums seit langem als verlässlichen Bezugspunkt betrachten, wurden die Zahlen zehn Tage nach Kriegsbeginn durch die Bombardierung des Al-Ahli-Krankenhauses im Norden des Gazastreifens infrage gestellt. Die Hamas hatte sofort einen israelischen Luftangriff für die Explosion in einem Gebäude verantwortlich gemacht, in dem Hunderte von Palästinensern Schutz gesucht hatten. Der arabische Nachrichtensender Al Jazeera hatte die Zahlen des Ministeriums übernommen; weitere internationale Medien übernahmen diese Version, in der von 500 Toten die Rede war.
Es kam zu einem weltweit zu Massenprotesten, Vorwürfen von Diplomaten und Versuchen, das israelische Konsulat in Istanbul zu stürmen. Später änderten die Nachrichtenorganisationen ihre Berichterstattung – es hatte sich herausgestellt, dass die Explosion durch eine fehlgeleitete palästinensische Rakete ausgelöst wurde. Letztlich waren es deutlich weniger Tote, etwa 100 bis 300 Personen. Damit war das Vertrauen zerstört. Ende Oktober äußerte US-Präsident Joe Biden Zweifel an den Verlautbarungen der Hamas. „Ich habe kein Vertrauen in die Zahlen, die die Palästinenser verwenden“, sagte er auf einer Pressekonferenz.
„Keinen offensichtlichen Grund“, die Daten anzuzweifeln - Zahl der Toten wahrscheinlich zu gering
Als Reaktion darauf veröffentlichte das Gesundheitsministerium der Palästinensischen Autonomiebehörde die Namen, das Alter, das Geschlecht und die Ausweisnummern von 7.028 Palästinensern, die im Gazastreifen getötet wurden und die das Ministerium dort gesammelt hat. Diese wurden nach Angaben von Reuters von der London School of Hygiene & Tropical Medicine analysiert und im Anschluss in der medizinischen Fachzeitschrift The Lancet veröffentlicht. Die Untersuchung sah „sahen keinen offensichtlichen Grund, die Gültigkeit der Daten zwischen dem 7. und 26. Oktober 2023 anzuzweifeln“.
Die Mediziner glauben, dass die Schätzungen der Hamas niedriger und nicht höher sind als die tatsächliche Zahl der palästinensischen Todesopfer. Auch das UN-Menschenrechtsbüro erklärte diesen Monat gegenüber Reuters, dass die Zahlen des Ministeriums angesichts der Anzahl der noch unter den Trümmern begrabenen Menschen wahrscheinlich unzureichend seien.
Abweichende Schätzungen bei zivilen und militärischen Todesopfern - 42,8 Prozent der Todesopfer Kinder
Lediglich bei der Zählung der zivilen und der militärischen Todesopfer gehen die Schätzungen auseinander. Das schreibt Haarez. Für den Krieg 2014 habe die Hamas angegeben, dass 70 Prozent der Getöteten Nichtkombattanten gewesen seien. Die Vereinten Nationen hätten diese Zahl auf 65 Prozent beziffert, Israel auf 36 Prozent.
Vor dem Gaza-Krieg: Die Geschichte des Israel-Palästina-Konflikts in Bildern
Die Palästinensische Autonomiebehörde habe behauptet, dass 70 Prozent der Todesopfer im Gazastreifen im aktuellen Krieg Frauen und Kinder gewesen seien. Es sei aber seit Oktober wurde keine Altersaufschlüsselung veröffentlicht worden. The Lancet stellte fest, dass die Zahl der Todesfälle bei Männern zwischen 30 und 34 Jahren am höchsten ist, was „möglicherweise auf die Exposition gegenüber Kämpfern oder Zivilisten zurückzuführen ist“. 42,8 Prozent der Todesopfer seien Kinder unter 18 Jahren gewesen.
„Dieser Krieg hat alles übertroffen“ - Die beispiellose humanitäre Lage in Gaza
Der Gazastreifen habe sich schon vorher in einer schrecklichen Situation befunden, so Jack Khoury im Bericht von Haaretz, „aber dieser Krieg hat alles übertroffen“. Er sei beispiellos „in Bezug auf den Umfang, das kleine Gebiet und die Anzahl der geschädigten Menschen. In anderen Situationen, wie in Syrien, hatten sie Orte, an die sie fliehen konnten. Hier können sie nirgendwohin fliehen“. Die humanitäre Lage in Gaza sei beispiellos.
Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation sind 93 Prozent der Menschen im Gazastreifen von Hunger und Unterernährung betroffen. Die Zahl der Infektionskrankheiten steigt rapide an, und die Unterernährung erschwert die Bekämpfung von Krankheiten zusätzlich. In der Zwischenzeit ist das Gesundheitssystem zusammengebrochen. (tpn)