Zehn Jahre Neue Seidenstraße
Heile Welt auf Chinas Seidenstraßen-Jubiläumsgipfel: Xi Jinpings Ehrengast Putin im Kreise von 20 Regierungschefs
Auf Chinas Gipfel der Seidenstraßen-Staaten war Russlands Präsident der Ehrengast. Wladimir Putin durfte über Entwicklungspläne reden, als gäbe es keinen Krieg. Doch neue Abkommen mit China bekam er nicht.
Wladimir Putin bekam in Peking die große Bühne. Erstmals seit seinem Angriff auf die Ukraine stand Russlands Präsident am Mittwoch wieder zwischen respektablen Regierungs- und Staatschefs. Putins Auftritt auf Chinas Gipfelrunde zum zehnjährigen Jubiläum des globalen Infrastrukturprogramms Neue Seidenstraße ist seine erste Reise außerhalb ehemaliger Sowjetstaaten seit dem Erlass eines internationalen Haftbefehls gegen ihn. Putin wusste: China wird ihn nicht festnehmen lassen. Stattdessen rollte ihm Staats- und Parteichef Xi Jinping am Flughafen den roten Teppich aus. Auf dem offiziellen Gipfelfoto am Mittwoch stand Putin direkt neben Xi.
Anschließend durfte Putin seine Rede direkt nach Xi halten – und revanchierte sich mit Lobeshymnen auf die Neue Seidenstraße. Bei einem Programm gigantischen Ausmaßes wie diesem „war zu erwarten, dass nicht alles großartig laufen würde, aber China hat es geschafft, und wir sind glücklich darüber“, pries Putin seine Gastgeber. Und dann konnte er, als habe er nie einen Krieg angefangen, über Pläne für Transitverbindungen von der Arktis nach Süden referieren. So wolle er die Seidenstraße mit Transportprojekten seiner Eurasischen Wirtschaftsunion verbinden, einer Vereinigung ehemaliger Sowjetstaaten. Putin lud interessierte Staaten ein, sich an der Entwicklung der zunehmend eisfreien Nordostpassage rund um Sibirien zu beteiligen – einem Projekt, auf das vor allem China schielt, um den Seeweg nach Europa zu verkürzen.
Party mit Putin zum zehnjährigen Jubiläum der Neuen Seidenstraße
Das Seidenstraßen-Forum war der größte Gipfel in China seit dem Ende der Null-Covid-Politik. Angereist waren Vertreter aus 140 Ländern und 30 internationalen Organisationen. Wenn es Xi störte, dass weit weniger Staats- und Regierungschefs dabei waren als bei der letzten Ausgabe 2019 – rund 20 statt 37 vor vier Jahren – ließ er es sich nicht anmerken. Vor dem offiziellen Fototermin erlaubte Xi in ungewohnter Lockerheit gar ein Selfie mit Argentiniens Präsident Alberto Fernandez.
Alberto Fernández @alferdez Xi Jinping, el embajador argentino en China, Sabino Vaca Narvaja, y el secretario general de la Presidencia, Julio Vitobello, en el Gran Palacio del Pueblo en Beijing, en la bienvenida oficial del tercer Foro de la Franja y la Ruta para la Cooperación… pic.twitter.com/1mlnYJZWpZ
— Juan Cruz Sanz (@juancruzsanz) October 17, 2023
Ob so mancher wegen der Anwesenheit Putins absagte, ist unklar. Es fehlten Prominente wie Indiens Premierminister Narendra Modi. Gekommen aber waren neben Fernandez etwa Indonesiens Präsident Joko Widodo und Chiles Präsident Gabriel Boric. Aus Afrika reisten unter anderem Kenias Präsident William Ruto und Äthiopiens Ministerpräsident Abiy Ahmed an. Einziger EU-Vertreter war Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán. Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni möchte zum Jahresende ohnehin aus der Seidenstraßen-Initiative austreten und blieb daheim. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sagte wegen des Terrorangriffs der Hamas ab.
Xi Jinpings Rede: Lob der Seidenstraße, keine geopolitischen Themen
Der Krieg in Gaza allerdings wurde auf dem Forum ebenso ausgeblendet wie der Ukraine-Krieg oder andere geopolitische Spannungen. Sowohl Xi als auch Putin sprachen in ihren Reden ausschließlich über die Neue Seidenstraße und Wirtschaftsthemen. So pries Xi in seiner Rede das Programm und skizzierte seine Pläne für dessen Zukunft.
So kündigte er an, dass künftige Projekte der Initiative „klein, aber fein“ und marktorientiert sein würden. Dafür werde es einen Finanzrahmen chinesischer Entwicklungsbanken von 47,8 Milliarden US-Dollar geben. Xi deutete damit einen Abschied von den kreditfinanzierten Großprojekten an, die in den ersten zehn Jahren das Programm dominierten. Er schlug vor, die Konnektivität durch die Integration von Häfen sowie von See- und Landrouten zwischen Asien und Europa zu verbessern. Auch will er grüne Projekte stärker fördern.
Seidenstraße: Milliardenprogramm mit Problemen
Die Neue Seidenstraße umfasst nach offiziellen chinesischen Angaben inzwischen mehr als 200 Kooperationsverträge, gut 3000 Projekte und Investitionen von umgerechnet rund einer Billion US-Dollar. Die meisten Projekte befinden sich in Afrika, Zentral- und Südostasien. In den letzten Monaten wurden nach Angaben der bundeseigenen Agentur Germany Trade & Invest (GTAI) vor allem in Südostasien – etwa auf den Philippinen, in Indonesien, Malaysia und Laos – Bauprojekte gestartet, darunter die bisher typischen Infrastrukturbauten in den Bereichen Transport und Energie.
Viele dieser Projekte werden durch chinesische Kredite finanziert, die manche Schuldner in Zahlungsschwierigkeiten gestürzt haben, zum Beispiel Sri Lanka, Pakistan und mehrere arme afrikanische Länder. Daraus entstand der Vorwurf, China locke die beteiligten Staaten mithilfe der Seidenstraße in eine Schuldenfalle. Dass China dieser Vorwurf zusetzt, zeigen erste Bewegungen in der Kreditpolitik. Kurz vor dem Gipfel einigte Peking sich mit Sri Lanka auf eine Umschuldung von mehr als 4 Milliarden Dollar und unterzeichnete eine Absichtserklärung zur Umschuldung der sambischen Schulden. Schrittweise wächst Chinas Bereitschaft zu Zugeständnissen. Nach Angaben des US-Forschungsunternehmens Rhodium Group wurden zwischen 2020 und 2022 chinesische Auslandskredite im Wert von 76,8 Milliarden US-Dollar neu verhandelt oder abgeschrieben, verglichen mit nur 17 Milliarden US-Dollar in den drei Jahren zuvor.
Neue Abkommen – aber nicht mit Russland
Am Rande des Gipfels schloss China zudem einige Verträge ab. So unterzeichnete es ein Freihandelsabkommen mit Serbien. Dessen angereister Präsident Aleksandar Vučić ist ein großer China-Freund. Auch mit Indonesien gab es neue Kooperationen. Auffällig aber war, dass keine neuen Deals mit Russland bekannt wurden. Vom bilateralen Treffen Wladimir Putins mit Xi Jinping vermeldete Chinas amtliche Nachrichtenagentur Xinhua lediglich Plattitüden. Man habe sich der gegenseitigen Freundschaft versichert, das Vertrauen wachse. Kein Wort zu neuen Vereinbarungen, dabei will Russland dringend mit China eine zweite Gaspipeline namens „Power of Siberia 2“ bauen. Doch auch auf dem Seidenstraßen-Forum wurde keine Unterschrift für das Projekt gemeldet.
Rubriklistenbild: © Grigory Sysoyev/Itar-Tass/Imago
