Bitte deaktivieren Sie Ihren Ad-Blocker

Für die Finanzierung unseres journalistischen Angebots sind wir auf die Anzeigen unserer Werbepartner angewiesen.

Klicken Sie oben rechts in Ihren Browser auf den Button Ihres Ad-Blockers und deaktivieren Sie die Werbeblockierung für . Danach können Sie gratis weiterlesen.

Lesen Sie wie gewohnt mit aktiviertem Ad-Blocker auf
  • Jetzt für nur 0,99€ im ersten Monat testen
  • Unbegrenzter Zugang zu allen Berichten und Exklusiv-Artikeln
  • Lesen Sie nahezu werbefrei mit aktiviertem Ad-Blocker
  • Jederzeit kündbar

Sie haben das Produkt bereits gekauft und sehen dieses Banner trotzdem? Bitte aktualisieren Sie die Seite oder loggen sich aus und wieder ein.

Interview

Seehofer exklusiv: „Der Union fehlen ein klarer Kurs, authentisches Personal und Geschlossenheit“

Interview mit Horst Seehofer in seinem Haus in Ingolstadt Foto: Marcus Schlaf, 26.06.2023
+
Der Münchner Merkur traf Horst Seehofer in seinem Haus in Ingolstadt zum Interview.

Im Interview mit Merkur.de und TZ spricht der frühere Ministerpräsident Horst Seehofer über Asylpolitik, die Lage der CSU – und die Politkarriere seiner Tochter.

Ingolstadt – Ein Haus im Ingolstädter Ortsteil Gerolfing, nicht protzig, eher unauffällig. Am Gartentor kein Klingelschild, aber der Herr, der eine Minute nach dem Läuten in großer Gelassenheit persönlich mit einem Schlüssel heranschreitet, ist wohlbekannt. Schlanker ist er geworden, er sieht gesünder aus, fit. Horst Seehofer grüßt, öffnet das Tor und reicht einen kräftigen Händedruck. Es ist ein ungewöhnliches Treffen. Seehofer, der in wenigen Tagen 74 wird, hat kaum gesprochen seit seinem Abschied aus der Politik Ende 2021. Kein Interview, selten Auftritte, nie etwas Überregionales, kein Parteitag, keine Vorstandssitzung und, ach ja, auch keine Orden. Zum ersten Mal meldet er sich zu Wort – und betont, dieses Interview sei und bleibe eine Ausnahme.

Herr Seehofer, Sie werden am Dienstag 74. Wie geht es Ihnen?

Gut. Der Ruhestand ist eine sehr schöne Lebensphase, wenn man einigermaßen gesund ist. Das einzige Manko: Es ist die letzte Lebensphase.

Man hört so wenig von Ihnen. Warum?

Ich war 50 Jahre aktiv in der Politik. Sieben Regierungen in Bonn, Berlin, München. Nach so langer und arbeitsintensiver Zeit habe ich mich entschlossen, einen Strich zu ziehen und anders zu leben: privat. Auch wenn ich mir oft auf die Zunge beißen musste: Ihr seid heute die erste – und vielleicht einzige – Ausnahme vom Schweigegelübde.

Dabei gäbe es so viel zu sagen zur Politik! Deutschland sorgt sich sehr wegen des Erstarkens der AfD. Welchen Rat hat der erfolgreiche Ex-CSU-Chef und Ministerpräsident?

(längere Pause) Das Wichtigste ist: Mit Jammern, Wehklagen und Wählerbeschimpfung wird man die AfD nicht bekämpfen können. Radikale Gruppen, rechts oder links, entstehen durch eine falsche Politik. Wer die AfD verkleinern will, muss die Ursachen für ihr Erstarken bekämpfen.

Nämlich?

Das ist nicht monokausal. Es liegt natürlich zuallererst immer an einer amtierenden Bundesregierung. Das alleine wäre aber keine hinreichende Begründung. Es gibt auch Gründe, die bei der Union liegen. Aus der Unzufriedenheit mit der Bundesregierung ziehen CDU und CSU kaum Vorteile. Die unzufriedenen Menschen wandern direkt zur AfD. Nach der selbstverschuldet verlorenen Bundestagswahl fehlen der Union noch immer ein klarer Kurs, authentisches Personal und eine ehrliche Geschlossenheit.

Dann fehlt’s aber weit.

Strauß hat gesagt: Eine verlorene Wahl unzureichend zu analysieren, ist die Basis für das nächste schwierige Wahlergebnis. Dass die Geschlossenheit bröckelt, haben Sie bei der Kanzlerkandidaten-Frage jüngst stark merken können. Dass uns authentische Personen in der Breite fehlen, sehen Sie, sobald Sie nach führenden Köpfen suchen. Vor allem in der Sozialpolitik, wenn manche Leichtmatrosen vorschlagen, man müsse bis 72 arbeiten. Also – die Menschen wollen von einer Opposition auch wissen: Wofür steht ihr?

Ein Schlüsselthema: Migration. Warum ist die CSU da so einsilbig geworden?

Ich spreche über die Union insgesamt. Mir hat die damalige Kanzlerin Angela Merkel oft entgegengehalten, ich solle über dieses Thema nicht so viel reden. Mein Gegenargument: Wenn man ein großes Thema beschweigt, findet es bei den Menschen trotzdem statt. Alles andere ist blanke Illusion. Wir hatten vor zehn Jahren 80 Millionen Einwohner, jetzt sind es 84 Millionen. Die Leute erleben die Probleme der Migration in der Praxis. Vielschichtig – bei den Wohnungen, Mieten, in der Schule, bei der Sicherheit. Wegschweigen ist die falsche Strategie. Wir hätten als Union von Anfang an ein ganzheitliches und konkretes Migrationskonzept vermitteln müssen – in einer anständigen Sprache klarmachen, dass Humanität und Ordnung zusammengehören. Es gibt keine Humanität ohne Ordnung. Ja zur Hilfe für Verfolgte und für Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine! Aber Nein zu illegaler Einwanderung nach Europa ohne Bleibeperspektive; das umfasst mitunter leider mehr als die Hälfte der Asylanträge.

Ausgerechnet eine links dominierte Bundesregierung verschärft die Asylpolitik nun auf EU-Ebene und tut alles, was ein gewisser Horst Seehofer vor sieben Jahren wollte. Reiben Sie sich die Augen?

Das ist so in der Politik. Manchmal müssen Sie warten, bis die allgemeine Meinung mit der persönlichen Meinung übereinstimmt.

Sie sind damals regelrecht verfemt worden für Ihre Forderung nach Obergrenzen und Ihre Mahnung, die Bürger bei der Migration nicht zu überfordern. Fühlen Sie Bitternis, man habe Ihnen Unrecht getan?

Ach, wissen Sie – in den Funktionen, die ich hatte, gehörte ein Abo auf Kritik dazu.

Sie haben das Abo in vollen Zügen genossen...

Ich habe es manchmal sogar provoziert. Weil ich inhaltlich sicher war: Zur Bewältigung der Migrationskrise gibt es nur den Weg, an Europas Außengrenze zu entscheiden, wer eine Bleibeperspektive hat. Europa ist eine Wertegemeinschaft von Demokratie, Rechtsstaat und Menschenwürde. An der Außengrenze eines so verfassten Staatenbundes muss in wenigen Wochen das Recht auf Asyl geprüft werden können. Da werden keine Menschenrechte verletzt.

Beendet Innenministerin Faeser nun die – wie Sie 2016 schimpften – „Herrschaft des Unrechts“?

Überspitzte Fragen beantworte ich im Ruhestand nicht.

Dieser Ruhestand, er scheint ihm gut zu bekommen. Viele Politiker a.D. strahlen eine Art Unruhe aus, manche hadern mit dem Bedeutungsverlust, klammern an Status, Fahrer, Büro. Seehofer fährt wieder selbst, tippt Mails selbst. Er liest viel, geht täglich spazieren, achtet auf sich. Zehn Kilo weniger, sieht man. Irgendwie lässt er sich nicht hetzen. Und wenn er noch einen Satz sagen, einen Gedanken zu Ende bringen will, die Interviewer aber nachhaken, macht er mit einem sanften Stupser an die Schulter klar: langsam, nacheinander. Dafür nimmt er sich dann auch drei Stunden Zeit. Und manche seiner Antworten muss man zwischen den Zeilen lesen.

Zu Gast in Ingolstadt: Christian Deutschländer (li.) und Georg Anastasiadis mit Horst Seehofer (mitte).

Ihr Nachfolger Markus Söder hat Angela Merkel gerade den höchsten bayerischen Orden überreicht. Zu Recht, wenn man sich heute das Chaos in der Asylpolitik ansieht?

Zur Tagespolitik äußere ich mich nicht. Ich rede über Grundstrategien: Wie kann man die Union wieder dorthin führen, wo sie hingehört? Das wäre ein Korridor zwischen bundesweit 30 und 40 Prozent – das ist unser Platz in der Parteienlandschaft. Dieses Alleinstellungsmerkmal müssen wir wieder herstellen. Mich schmerzt, wenn ich lese, die letzte Volkspartei sei Nea Dimokratia in Griechenland, weil Mitsotakis einen klaren Kurs in der Migrationspolitik hat.

Könnte die CSU noch absolute Mehrheiten holen?

Im Prinzip ja. Die CSU wird im Oktober ein gutes, vielleicht sehr gutes Wahlergebnis bekommen. Bayern steht ja auch gut da. Und wir bekommen kräftige Hilfe aus allen Richtungen – von der Ampel und von der Schwäche der bayerischen Opposition.

Putin hat die Ukraine überfallen und führt einen erbarmungslosen Krieg gegen die Menschen dort. Merkel behauptet heute, sie sei sich stets im Klaren gewesen über Putins Gefährlichkeit. Sie auch?

Nein. Und ich habe das auch damals nie so eindeutig von der Bundeskanzlerin gehört. Wir waren gemeinsam überzeugt, dass man mit autoritären Systemen wie China und Russland pragmatische und realpolitische Beziehungen pflegen muss. Wir Bayern besonders, weil wir stärker wirtschaftlich verbunden sind. Das ist von Putin schamlos und brutal missbraucht worden. Man wird mit Putin nie mehr in einen normalen Dialog kommen. Aber es wird eine Zeit nach Putin geben.

Zu Seehofers Zeiten als Ministerpräsident und Bundesinnenminister war das Privathaus des Ehepaares einer der am besten geschützten und abgeschirmten Wohnsitze der Republik – und auch für Journalisten tabu. Ab und zu lud er früher mal in sein Ferienhaus im Altmühltal, das mit der legendären Modelleisenbahn im Keller; doch Ingolstadt-Gerolfing blieb strikt privat. Dabei ist dieser Fleck vor allem: wunderbar normal. Der Rasen auf dem schmalen, gepflegten und perfekt eingewachsenen Grundstück ist frisch gemäht, ein Brunnen plätschert in der Sommerhitze, der Hausherr erzählt von Amseln, die sich da abkühlen. Auf der Terrasse stehen Kaffee und Kuchen bereit, in der Zuckerdose ein Löffel mit Ingolstädter Stadtwappen.

Horst Seehofer mit Frau Karin.

Ihre Tochter Susanne will in die Politik, kandidiert für den Landtag, aber für die FDP. Haben Sie je den Versuch unternommen, Sie in die CSU zu holen?

Nein. Wir haben oft und ohne Druck über Politik gesprochen. Susanne steht mit beiden Beinen im Leben. Sie hat jetzt politisch ihren Weg gewählt, und den respektieren meine Frau und ich aus vollem Herzen.

Wenn Sie ihr nur einen Ratschlag geben dürften, worauf es bei einem Politiker ankommt – welcher?

Da gibt es eh nur einen: persönliches Vertrauen zu erwerben. Authentisch zu sein, damit die Leute sagen: Der glaube ich. Das ist auch das beste Rezept gegen Radikale.

Wünschen Sie sich, dass sie in den Landtag einzieht?

Ja, ich wünsche mir das. Auch bei einem Einzug der FDP kann und wird die CSU ein gutes Ergebnis erreichen.

Kriegt Susanne Seehofer Ihre Zweitstimme?

(lacht) Wir machen seit Jahren Briefwahl. Meine Kinder sind zum Wählen immer in ein anderes Zimmer gegangen, damit der Vater nicht sieht, was sie ankreuzen. Das Wahlgeheimnis ist ein hohes Gut. Das halten wir auch dieses Mal so.

Sie selbst haben sich aus der Politik zurückgezogen. Wie läuft der Alltag im Hause Seehofer?

Wir kümmern uns jetzt gemeinsam um Freundschaften – das konnte ich Jahrzehnte zu wenig machen. Ich helfe lokal den Sportvereinen, den Hochschulen in der Region. Wir haben gerade Unterstützer gefunden, die eine Franziskaner-Kirche mitten in Ingolstadt gerettet haben. Und: Ich bin ein fast fanatischer Naturanhänger geworden. Wenn ich noch mal Ministerpräsident wäre und einen Wunsch frei hätte, würde ich sofort die ganzen Donauauen als Nationalpark ausrufen.

Ach – doch noch ein bisschen Polit-Wehmut?

Nein. Weil der Schlussstrich sehr bewusst gewählt ist. Wer aufhört, muss loslassen. Im Vorfeld meines Abschieds aus Bayern Anfang 2018 gab es ja nicht die schönsten Erlebnisse, das waren Wochen der Intrigen. Ich habe trotzdem die Amtsübergaben hochanständig gestaltet. Ich habe den neuen Ministerpräsidenten mitgewählt – das Ergebnis hat es gezeigt – und meiner CSU zum Abschied geraten, nie die kleinen Leute aus dem Blick zu verlieren. Rückblickend sage ich aus ganzem Herzen: Ich hatte meine Zeit. Sie war unheimlich schön.

Interview: Georg Anastasiadis & Christian Deutschländer

Kommentare