Lang soll besänftigen
„Viele verstehen die Welt nicht mehr“: Asylstreit zerreißt die Grünen vor Parteitag
Der EU-Asylkompromiss spaltet die Grünen. Vor dem Parteitag versuchen die Vorsitzenden, die Kritiker zu besänftigen. Denn es könnte zum Streit kommen.
Berlin - Aus ihrer ablehnenden Haltung gegenüber dem EU-Asylkompromiss hatte Grünen Co-Chefin Ricarda Lang keinen Hehl gemacht. Gleich nach dem Beschluss der EU-Innenminister am vergangenen Donnerstag (8. Juni) twitterte sie: „Deutschland hätte bei dem Vorschlag zur Reform im Rat heute nicht zustimmen dürfen.“ Und auch andere Politiker des linken Lagers der Partei üben seitdem heftige Kritik an der geplanten Asyl-Reform der EU. Sie werden auf dem kleinen Parteitag der Grünen am Wochenende auf Vertreter des Realo-Flügels der Partei treffen. Diese hatten die Zustimmung der Ampel-Regierung zu der Asyl-Reform bislang zum großen Teil verteidigt. Es könnte zum Streit auf offener Bühne zwischen den Partei-Lagern kommen.
EU-Asylkompromiss spaltet Grünen-Führung
Die Grüne-Parteiführung war von Beginn an gespalten in Bezug auf die Asyl-Reform der EU. In der sogenannten Sechserrunde der Parteispitze, in dem wichtige Richtungs-Entscheidungen getroffen werden, stimmten die vier Realos Omid Nouripour, Britta Haßelmann, Annalena Baerbock und Robert Habeck für den EU-Kompromiss, Ricarda Lang und Katharina Dröge vom linken Parteiflügel dagegen. Eine Mehrheitsentscheidung, auf deren Basis die Grünen gemeinsam mit ihren Ampel-Partnern die deutsche Zustimmung zur Asyl-Reform gründeten. Innerhalb der grünen Partei ist der Streit zwischen den Partei-Lagern seitdem jedoch in vollem Gange.
Die Grüne-Co-Chefin Ricarda Lang hatte in der ARD-Sendung Bericht aus Berlin gesagt, die EU-Asylreform werde in ihrer jetzigen Form „weder das Leid an den Außengrenzen mildern noch tatsächlich zu geordneten Verfahren führen, weil es an einer wirklich verpflichtenden Verteilung fehlt“. Sie sei sich sicher, „dass sich unsere Europäer da sehr klar für Verbesserungen einsetzen werden – unter anderem, was eine Ausnahme für Kinder angeht.“ Unter anderem der EU-Plan, dass auch Eltern mit kleinen Kindern in geschlossenen Lagern an der EU-Außengrenze untergebracht werden sollen, hatte bei Grünen-Anhängern für Entsetzen gesorgt. Lang sagte, es müsse noch Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament über strittige Punkte geben. Der EU-Asylkompromiss müsse außerdem auf dem Grünen Parteitag am Samstag in Bad Vilbel diskutiert werden.
Grünen-Politiker kritisieren EU-Asylreform
Andere Grünen-Politiker reden hingegen nicht von Nachverhandlungen, sondern kritisieren die deutsche Zustimmung zum EU-Kompromiss scharf: „Zur Asylreform in dieser Form Ja zu sagen, war ein Fehler. Das sollten eigentlich alle, die bei uns dafür verantwortlich waren, mittlerweile auch so sehen“, sagte der Grünen-Europaabgeordnete Erik Marquardt gegenüber dem Stern. Und auch der Europapolitiker Rasmus Andresen sagte gegenüber dpa: „Falls es uns nicht gelingt, durchzusetzen, Familien mit Kindern aus den geplanten Haftlagern auszunehmen, darf es keine deutsche Zustimmung zum Asylpaket geben.“
Zurzeit würden die EU-Innenminister „auf Abschottungssymbole, die die Axt an Menschenrechte legen und den Herausforderungen vor Ort nicht gerecht werden“ setzen. Der kleine Grünen-Parteitag am Samstag müsse klare Kante gegen den von Innenministerin Nancy Faeser (SPD) ausgehandelten Kompromiss zeigen.
EU-Asylkompromiss: „Schande für Europa“
Der Kritik von Teilen der Grünen-Politiker schließt sich die Grüne Jugend an: „Diese Asylrechtsverschärfung stellt eine weitere Verschlechterung der humanitären Lage dar. Deshalb muss sich die Bundesregierung im Trilog-Verfahren dafür einsetzen, dass die Reform so nicht umgesetzt wird“, sagte der Chef der Grünen Jugend, Timon Dzienus, gegenüber der Rheinischen Post. Im sogenannten Trilog-Verfahren werden die EU-Mitgliedstaaten noch mit dem EU-Parlament und der EU-Kommission über Details der Asyl-Reform verhandeln. „Wir wollen auf dem Länderrat eine Kurskorrektur der Bundesregierung durchsetzen: Die deutsche Zustimmung zum EU-Asylkompromiss war falsch“, sagte Dzienus.
Kritiker der Grünen Zustimmung zum EU-Asylkompromiss fordern bereits einen Sonderparteitag, falls man sich beim Länderrat in Bad Vilbel nicht eindeutig gegen die EU-Asylreform aussprechen werde. Auch Kreisverbände der Grünen wünschen sich einen Sonderparteitag, bei dem die Mitgliederbasis beteiligt werden - denn da brodele es, wie auch der Grünen-Bundestagsabgeordnete Sven-Christian Kindler gegenüber der Süddeutschen Zeitung bestätigte: „Die Aufregung in den Kreisverbänden ist groß.“
„Zehntausende neue Mitglieder sind seit 2015 zu den Grünen gekommen, wegen Klima, wegen der AfD und weil sie sich vor Ort für Geflüchtete einsetzen. Viele verstehen nach der Zustimmung der Bundesregierung die Welt nicht mehr.“ Kindler bezeichnete die EU-Reformpläne als „Schande für Europa“. „Menschenrechte und rechtsstaatliche Prinzipien sollen massiv eingeschränkt werden“, so der Grünen-Politiker.
Grüner-Vorstand korrigiert Asyl-Kurs
Auch die Parteispitze der Grünen scheint eine gewisse Kurskorrektur vornehmen zu wollen. Am Montag hatte der Parteivorstand einen neuen Leitantrag zur Asylpolitik für den kleinen Parteitag am Samstag verabschiedet, worin der EU-Asylkompromiss kritisiert wird. „Die erzielte Einigung kann zentrale Anforderungen nicht erfüllen, die wir an eine Asylpolitik der Humanität und Ordnung stellen“, schreibt der Bundesvorstand in dem Antrag. „Das vorliegende Ergebnis ist von den Positionen unserer Partei weit entfernt.“
Das vorliegende Ergebnis ist von den Positionen unserer Partei weit entfernt.
Und weiter: „Das Konzept der sicheren Herkunftssaaten finden wir falsch, denn es löst keine Probleme. Was hilft, ist, alle Asylverfahren zu beschleunigen und die Qualität der Entscheidungen zu verbessern. Staaten, die den EU-Beitrittskandidatenstatus erhalten haben und deutliche Fortschritte bei Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit machen, können besonders betrachtet werden“. Der Partei-Vorstand bezieht in dem Leitantrag auch in der Diskussion um sichere Herkunftsstaaten klar Stellung: „Wir werden nicht mitmachen, wenn Staaten, die systematisch Menschenrechtsverletzungen begehen, als sicher eingestuft werden sollen. Die Einstufung der Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsstaaten lehnen wir ab.“
EU-Asylkompromiss weiter umstritten
Die Grünenspitze erwähnt in dem Antrag auch die unterschiedlichen Positionen innerhalb der Partei: „In der Gesamtschau bewerten wir das Ergebnis unterschiedlich“, heißt es in dem Leitantrag. „Im weiteren Verfahren im Trilog zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat und der Kommission setzen wir uns daher für Verbesserungen ein, etwa für den besseren Schutz von Familien mit Kindern und verpflichtende Verteilung.“
Der EU-Asylkompromiss sieht beschleunigte Asylverfahren an den europäischen Außengrenzen für Geflüchtete mit geringen Bleibechancen vor. Sie sollen in geschlossene Einrichtungen an den Grenzen untergebracht werden, aus denen sie dann bei einem abgelehnten Asylantrag abgeschoben werden sollen. Sowohl an den geplanten Asyl-Schnellverfahren hatte es Kritik von Grünen-Anhängern gegeben, als auch an der Art der Unterbringung der Geflüchteten und einer möglichen Rückführung in Drittstaaten. (kasa/dpa)
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