Tories in der Krise
Sunak intern mächtig unter Druck: Rebellische Konservative sägen am Stuhl des Premierministers
Rishi Sunak steckt in der Klemme. Seine Partei schwächelt in Umfragen und interne Streitigkeiten drohen zu eskalieren.
Manchester – Rishi Sunak, Premierminister Großbritanniens, zeigt trotz aktuell schlechter Umfragewerte seiner Partei auf dem Parteitag in Manchester unbeirrte Präsenz. Obwohl er erst vor rund einem Jahr das Amt des Premierministers übernahm, wäre er bei einer baldigen Wahl vermutlich schon wieder entthront. „Die Geier schweben bereits über Sunak“, titelte die Zeitung The Guardian.
Sunak versucht unterdessen weiter, die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass die Tories einen klaren und stringenten Plan haben, um an der Macht zu bleiben. Seine weniger loyalen Parteikollegen haben allerdings ihre eigenen Vorstellungen.
Angesichts der im nächsten Jahr anstehenden Wahlen hat der britische Premierminister darauf gebaut, dass sich seine zerstrittene Partei aus Angst vor einer Wahlschlappe seinem Kurs anschließen würde. „Ich habe ein gutes Gespür dafür, was die Prioritäten des britischen Volkes sind. Ich werde mich daran machen, sie zu erfüllen“, sagte Sunak am Sonntag (2. Oktober) zu Beginn des Parteitags optimistisch gegenüber der BBC.
Sunak auf dem Parteitag der Konservativen: Optimismus ist angesagt
Bei seiner Rede an diesem Mittwoch (4. Oktober) muss er Optimismus verbreiten, obwohl manche schon darüber nachdenken, wie es nach einer Wahlniederlage im kommenden Jahr weitergehen könnte. Medienberichten zufolge könnte Rishi Sunak ausgerechnet in Manchester verkünden, eine geplante Schnellbahntrasse in den Norden Englands zu verkürzen.
Das Milliardenprojekt ist deutlich teurer geworden als geplant. Die Verlängerung von Birmingham nach Manchester könnte wegfallen. Von einer „Verzweiflungstat“ spricht Andy Burnham, Bürgermeister der Region Manchester und Mitglied der Oppositionspartei Labour. Doch noch bedeutsamer für Sunak sind die Warnungen von Andy Street, dem Bürgermeister der Region West Midlands und Mitglied der Konservativen. Street äußerte Bedenken, dass diese Entscheidung dem internationalen Ansehen Großbritanniens als attraktiver Investitionsstandort schaden könnte und deutete indirekt seinen Rücktritt an.
Liz Truss‘ kleines Comeback
Andere werten den Schritt dagegen auch als Zugeständnis an Parteimitglieder, die sich vehement für weniger staatliche Ausgaben einsetzen. „Es ist ja nicht mein Geld – es ist das Geld des Steuerzahlers, und wir sollten bei diesen Dingen die richtigen Entscheidungen treffen“, sagte Sunak vorab dem Sender Times Radio.
Sunak war vor knapp einem Jahr in den Regierungssitz in der Londoner Downing Street eingezogen, als erster Hindu in der Geschichte des Landes. Seine Vorgängerin Liz Truss hatte nach nur wenigen Wochen wegen einer verheerenden Wirtschaftspolitik zurücktreten müssen.
Dass nun ausgerechnet Truss auf dem Parteitag eine eigene Wirtschaftsagenda vorstellte, machte Schlagzeilen. Schon eine Stunde vorher standen Menschen vor dem Hotelsaal an. „Für wen ist die Schlange denn? Nicht für Liz, oder?“, fragte ein Mann im Vorbeigehen, der lieber an die Bar ging. Truss setzte dann zwischen hellblauen Wänden und Kameras auf den Donald Trump ähnlichen Slogan „Make Britain Grow Again“. Sie plädierte für Steuersenkungen, ohne zu erklären, wie die finanziert werden sollen.
Tories in Großbritannien: „Die Partei ist alles andere als geeint“
Laut dem Politologen Mark Garnett sieht sich die Tory-Partei mit mehreren kontroversen Themen konfrontiert. Die Conservative Party sei nicht mehr tief in ihrer Einstellung zur Europäischen Union gespalten, da die meisten Pro-Europäer entweder nicht mehr Mitglieder der Partei seien oder ihre Ansichten revidiert hätten, so Garnett. Die Briten hatten sich vor einigen Jahren durch den Brexit von der EU losgesagt.
Es gebe aber andere Streitpunkte. „Eine beträchtliche Zahl von Tory-Abgeordneten findet, dass ihre Partei die Steuern zu weit nach oben getrieben hat“, sagt Garnett von der Lancaster University. Viele seien zufrieden mit Sunaks Ankündigung, dass Neuwagen mit Benzin- und Dieselmotor doch länger verkauft werden dürfen, bis 2035. „Andere sind entsetzt darüber, dass Großbritannien von seinem Ziel, bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen, offenbar abzurücken scheint.“ Auch der Umgang mit Asylsuchenden sorge für Diskussionen.
Garnett betont: „Die Partei ist alles anderes als geeint, aber das bedeutet nicht, dass Sunaks Position gefährdet ist.“ Einige hätten zwar Kampagnen begonnen, um seine Nachfolge anzutreten, aber niemand wolle vor der Wahl übernehmen, die wahrscheinlich verloren werde. Es gebe aber einen Kampf darum, welche Richtung die Partei bis zur Wahl einschlage. „Und Sunak ist offensichtlich bereit, sich ein Stück nach rechts zu bewegen bei einigen Themen.“
Sunaks mögliche Nachfolgerinnen stehen weiter rechts
Im Kontext einer potenziellen Nachfolge von Sunak werden Innenministerin Suella Braverman und Wirtschaftsministerin Kemi Badenoch als mögliche Kandidatinnen gehandelt. Braverman ist für ihre strenge Haltung bekannt. Sie vertritt beispielsweise die Ansicht, dass Flüchtlinge ohne Asylantrag nach Ruanda abgeschoben werden sollten, unabhängig von ihrem tatsächlichen Herkunftsland. In ihrer Rede auf dem Parteitag kritisierte sie den britischen „Human Rights Act“, der die Menschenrechte verankert, als „Criminal Rights Act“.
Politikforscher Simon Usherwood von der Open University hält es für wahrscheinlich, dass sich die Partei weiter nach rechts bewegt, wenn die Wahl verlorengeht. Während der Brexit-Jahre seien viele moderate Kandidaten verdrängt worden.
Umfragen in Großbritannien: Labour klar vorne
Politikwissenschaftler Anand Menon vom King‘s College London findet es zu früh für eine Analyse. Noch könne man nicht sagen, ob die Partei bei einer Wahlschlappe weiter nach rechts rücke. Das hänge auch daran, welche Abgeordnete ihr Mandat verlieren und welche Kandidaten sich im Prozess dann durchsetzen. Das Wählerpotenzial weiter rechts ist nach Meinung der drei Forscher begrenzt.
Die Briten werden voraussichtlich 2024 ein neues Parlament wählen – die oppositionelle Labour-Partei liegt derzeit in Umfragen etwa 20 Prozentpunkte vorne. Wie die Partei inhaltlich aufgestellt sein will, wird voraussichtlich ab kommenden Sonntag (8. Oktober) diskutiert. Dann beginnt die Parteikonferenz von Labour in Liverpool. Der Parteichef heißt Keir Starmer. Seinen Namen sollte man sich merken. (skr/dpa)