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Verwirrung und Chaos im Bundestag

„Dummheit im Endstadium“: Merz-Wahl scheitert – die Chronologie des Dramas

Friedrich Merz verliert die Kanzler-Kür. Wie überraschend die interne Revolte kam, zeigen die chaotischen Minuten nach der verkorksten Wahl.

Berlin – Noch wenige Minuten vor der Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses war die Stimmung im Bundestag gelöst. Viel Prominenz saß auf der Gästetribüne, unter anderem Ex-Kanzlerin Angela Merkel, Astronaut Alexander Gerst und Klimaaktivistin Luisa Neubauer.

Abgeordnete, Presse, Gäste: fast alle gingen von einer knappen, aber letztlich sicheren Mehrheit für CDU-Chef Friedrich Merz als nächsten Bundeskanzler aus. Es kam anders. 310 statt der benötigten 316 Ja-Stimmen bekam Merz. Dazu gab es 307 Nein, drei Enthaltungen und eine ungültige Stimme. Stille im Saal, als Bundestagspräsidentin und Parteifreundin Julia Klöckner das Ergebnis bekanntgab und die Sitzung unterbrach. Merz verließ mit versteinerter Miene den Saal.

Merz-Wahl scheitert: Verwirrung und chaotische Zustände im Bundestag

Von Union und SPD hätte Merz 328 Stimmen bekommen können – es muss also etliche Abweichler gegeben haben. Wie überraschend das für viele kam, zeigten die folgenden Minuten deutlich. Die Fraktionen trommelten ihre Mitglieder eilig zu Krisensitzungen zusammen. Auch die versammelte Hauptstadtpresse machte sich auf den Weg unter die Reichstagskuppel auf die Fraktionsebene. Verständnislosigkeit bei vielen Parlamentariern auf dem Weg zu ihren Fraktionsräumen: „Keine Ahnung“, hieß es auf Fragen, wie es nun weitergehe, oder: „Weiß ich auch nicht“. Selbst gut vernetzte Abgeordnete hatten offenbar nicht mit diesem Ausgang gerechnet.

Inmitten der allgemeinen Verwirrung besprachen sich die Parteien hinter verschlossenen Türen. Vor allem für die designierten Koalitionsfraktionen lautete die drängendste Frage natürlich: Woher kommen die 18 Abweichler? Bei CDU und CSU hielt man sich bedeckt. „Über Abweichler kann man gerade nur spekulieren“, hieß es aus Unionskreisen etwa eine Stunde nach der verkorksten Wahl. Heißt übersetzt: Dass ausgerechnet aus der eigenen Fraktion gegen Merz gestimmt wurde, ließ sich nicht ausschließen.

„Dummheit im Endstadium“ – SPD-Abgeordneter entrüstet über Merz-Wahlergebnis

Aus Abgeordnetenkreisen war in der Tat zu hören, dass die Abweichler durchaus aus den Reihen der Union stammen könnten. Dem Vernehmen nach sollen einige das in Gesprächen vorher gar angekündigt haben. Andere sehen das Ergebnis wiederum als Signal an Lars Klingbeil, hinter dem seine SPD-Fraktion vielleicht nicht so geschlossen stehe wie allgemein postuliert.
 
„Woher die Nein-Stimmen kommen, darüber kann man letztlich nur spekulieren“, sagte auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Serdar Yüksel unserer Redaktion – und wurde deutlich: „Egal, aus welchen Parteien die Abweichler kommen, das ist Dummheit im Endstadium.“ In der Fraktion herrschte nach der Abstimmung ihm zufolge Unverständnis. „Diejenigen Abgeordneten, die in der Wahlkabine mit Nein gestimmt haben, haben der Demokratie und dem Votum der Gremien und der Mitglieder einen Bärendienst erwiesen“, so der SPD-Parlamentarier.

Auch der SPD-Abgeordnete Macit Karaahmetoglu war überrascht vom Ergebnis. „Es bringt in der ohnehin schon schwierigen Lage unseres Landes noch mehr Instabilität“, so der Abgeordnete. Dass die Abweichler aus seiner Fraktion stammen könnten, das könne er sich kaum vorstellen, sagte er im Gespräch mit dieser Redaktion. Man gehe von voller Zustimmung der eigenen Fraktion aus, hieß es weiter aus SPD-Kreisen. Aber auch die Union war um Schadensbegrenzung bemüht. Die Fraktion habe Merz nach dem Wahlgang mit „stehenden Ovationen“ begrüßt.

Merz-Debakel im Bundestag: CDU will Anschein von Krisenmodus vermeiden

Johann Wadephul (CDU), der sich eigentlich heute zum Außenminister vereidigen lassen wollte, sagte, der geplatzte erste Wahlgang sei „kein Drama“ – solche Vorgänge passierten in Bundesländern und anderen Staaten immer wieder. Er verwies auf die freie Abstimmung jedes Abgeordneten und sagte, dass alle Abgeordneten vorab wussten, „worum es geht und nicht unvorbereitet in die Abstimmung über Friedrich Merz“ gingen. Kann auch so interpretiert werden: Die Nein-Stimmen wurden also nicht aus einer spontanen Laune abgegeben.

Wer letztlich gegen Merz stimmte, blieb zunächst unklar und könnte es auch für immer bleiben. Nachdem der erste Schock über die Kanzler-Wahl verflogen war, ging es um das Vorgehen. Eine Abstimmung noch am Nachmittag, dem nächsten Tag oder Ende der Woche. Gedankenspiele gab es viele, die Pläne und Ansagen, wann mit dem nächsten Votum zu rechnen sei, änderten sich ständig. Ein weiteres Zeichen, dass dieser historische Moment in den Überlegungen vorab kaum eine Rolle gespielt haben dürfte. Nach einiger Zeit kristallisierte sich dann heraus: Der zweite Wahlgang soll noch am Nachmittag erfolgen; dort bekam Merz schließlich die Mehrheit und wurde zum zehnten Bundeskanzler der Republik gewählt.

Kanzler-Wahlergebnis überrascht alle: „Was hier passiert, macht mich fassungslos“

Kurz zuvor lichteten sich auf der Fraktionsebene langsam die Reihen, die ersten Krisensitzungen waren beendet. Der Kanzleramtschef in spe – Thorsten Frei (CDU) – ließ sich mit einigen Vertrauten noch in Gesprächen auf der sonnigen Fraktionsterrasse ablichten, wollte wohl Gelassenheit und das Gegenteil von Krisenstimmung vermitteln.

Obwohl Merz letztlich noch am selben Tag gewählt wurde, war allen Beteiligten klar: Diesen Vorgang gab es in der Geschichte der Bundesregierung noch nie. SPD-Bundestagsabgeordneter Macit Karaahmetoğlu wurde im Gespräch deutlich: „Was heute passiert ist, macht mich fassungslos. Es ist nicht nur ein historisch nie da gewesener Vorgang, dass ein potenzieller Kanzler nicht im ersten Wahlgang gewählt wird.“

Rubriklistenbild: © IMAGO/dts Nachrichtenagentur

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