Europawahl
Österreich streitet über Vorwürfe gegen grüne EU-Spitzenkandidatin Schilling
Schilling wird vorgeworfen, falsche Vorwürfe gegen andere aus dem österreichischen Politikbetrieb verbreitet zu haben. Rechtsradikale um die FPÖ starten eine Hetzkampagne.
Wien – In Österreich entspinnt sich eine Debatte um den Charakter der grünen Europawahl-Spitzenkandidatin Lena Schilling. Am 7. Mai veröffentlichte die linksliberale Tageszeitung Standard einen Artikel, in dem gut 50 Personen anonym teils schwere Vorwürfe gegen die 23-Jährige erhoben. Sie soll teils „existenzbedrohende“ Gerüchte über andere Menschen aus Politik und Medien verbreitet haben.
Schilling gestand einzelne Fehler ein, kritisierte aber gleichzeitig bei einer Pressekonferenz am Mittwochmorgen (8. Mai), dass nun anhand von „Gerüchten“ darüber diskutiert werde, ob sie „der richtige Mensch“ für ein EU-Mandat sei. Parteichef und Vizekanzler Werner Kogler sprach gar von „Gemurkse oder Gefurze“, mit dem sich die Partei nicht aufhalten werde.
EU-Spitzenkandidatin Schilling soll Unwahrheiten über politische Weggefährten verbreitet haben
Im Kern wird der Klimaaktivistin Schilling vorgeworfen, sie habe Unwahrheiten über andere aus dem österreichischen Politik- und Medienbetrieb verbreitet. Diese Vorwürfe sind teils mit Dokumenten oder Chats belegt, manche basieren allerdings anscheinend lediglich auf mehreren Aussagen von Weggefährten. Die wohl schwerwiegendste Behauptung belegte der Standard mit einer Unterlassungserklärung: Schilling darf demnach nicht mehr behaupten, ein bekannter österreichischer Publizist habe seine Ehepartnerin, ebenfalls eine bekannte Publizistin, geschlagen und sie habe daraufhin ein Kind verloren. Ihre Partei teilte der Zeitung mit, dass Schilling die Äußerungen „aus Sorge um eine Freundin in ihrem engsten persönlichen Umfeld getätigt“ habe. Gerüchte hinsichtlich der Vorwürfe habe es schon länger gegeben. Einen Monat vor der Europawahl verdichteten sie sich nun zu einem Artikel. Im Herbst wählt Österreich ein neues Parlament.
Die Publizistin meldete sich nach Veröffentlichung des Artikels über die Onlineplattform X (vormals Twitter) zu Wort, der Standard hatte den Fall anonymisiert wiedergegeben. Sie wünschte, die „furchtbaren Vorwürfe“, die Schilling „frei erfunden“ habe, wären niemals öffentlich geworden. Sie warf den Grünen vor, von der Angelegenheit gewusst zu haben, und Schilling trotzdem zur Spitzenkandidatin gemacht zu haben.
Anonym betonte eine grüne Abgeordnete gegenüber dem Standard, es gehe nicht um eine „moralische Bewertung“ von Schillings Verhalten, sondern um die Frage, wie professionell ihr Verhalten sei. Die „allermeisten Gesprächspartner“ des Standards sorgten sich auch darum, dass Schilling „verheizt“ werde. Eine ehemals enge Freundin wünschte ihr via Spiegel, „dass sie die Hilfe bekommt, die sie braucht, und sie auch annimmt“.
Schilling soll zwei Journalisten Fehlverhalten im Privaten vorgeworfen habe – ohne Belege
Viele der Vorwürfe gegen Schilling berühren ihr Privatleben und das anderer beteiligter Personen. Alle weiteren Anschuldigungen, die Spitzenkandidatin habe Lügen verbreitet, wurden anonym geäußert, und meist mit weiteren Indizien versehen. So soll Schilling in ihrem Freundes- und Bekanntenkreis behauptet haben, ein Journalist eines „privaten Medienunternehmen“, mit dem sie häufig zu tun hatte, habe sie belästigt. Das soll eine Untersuchung in besagten Medienunternehmen ausgelöst haben. Der Journalist habe „ohne zu zögern“ zugestimmt, seine Chats mit Schilling der Personalabteilung zu übergeben. Ergebnis dieser Untersuchung sei gewesen, dass es „kein relevantes Fehlverhalten“ gegeben habe. Offiziell wollte sich das Unternehmen demnach nicht äußern.
In einem weiteren Fall überlegte ein Betroffener, ein „bekannter Fernsehjournalist“, gegen Schilling zu klagen, entschied sich aber dagegen, um größere Aufmerksamkeit zu vermeiden. Schilling soll eine Affäre mit ihm erfunden, und ihm auch noch weitere Affären mit „anderen Grünen“ unterstellt haben.
Streuen „gekränkte Egos“ aus der österreichischen Klimabewegung Gerüchte gegen Schilling?
Die im Standard erhobenen Vorwürfe reichen zurück bis in Schillings Zeit als Klimaaktivistin: Ein langjähriger Mitstreiter aus der Bewegung sprach von einem „mehr als hinterfragenswerten Umgang mit sehr jungen Menschen, die zu ihr aufschauen“. Minderjährige hätten demnach das „Gefühl“ geäußert, Schilling habe sie als Sprecherin einer Aktivistengruppe „gegeneinander ausgespielt“, um ihre Macht zu „zementieren“. Nach den Vorwürfen habe sie sich von der Gruppe und der Klimabewegung distanziert. Hier scheint sich die Recherche auf Aussagen mehrerer Personen zu stützen, zumindest wird kein Dokument oder Chat als Beleg angeführt.
Ein anderer langjähriger Klimaaktivist gab nach der Veröffentlichung des Artikels per X zu Bedenken, dass es sich bei diesen Vorwürfen aus der Klimabewegung um das Ergebnis „gekränkter Egos“ handeln könnte. Es wäre auch nichts besonders Neues, dass radikal linke Kreise ehemaligen Mitstreiterinnen den Marsch durch die Institutionen sehr übel nehmen.
Österreichs Grüne wehren sich gegen Vorwürfe gegen ihre EU-Spitzenkandidatin Lena Schilling
„Eine für Alle. Alle für Lena.“, schrieb die grüne Bundespartei am Mittwochvormittag auf eine Instagram-Kachel. So lässt sich auch die Reaktion der Parteispitze zusammenfassen. Parteichef Kogler sagte, es sei absehbar gewesen, dass der Wahlkampf „immer dreckiger“ werde. Und so werde jetzt besonders aggressiv gegen die „junge, kompetente Frau“ Lena Schilling agitiert, sagte Kogler.
Fraktionschefin Maurer sprach hingegen von einer „organisierten Kampagne“ gegen Schilling, durch die die Unterlassungserklärung an mehrere Redaktionen herangetragen worden sei. Ganz schlossen sich die Reihen jedoch nicht: Kati Schneeberger, ebenfalls auf der Liste zum EU-Parlament, schrieb auf X, sie könne die Reaktion der Parteispitze „nicht mittragen“. Die Recherchen des Standards als „Gerüchte“ zu bezeichnen, schade dem Journalismus und spiele schlussendlich Demokratiefeinden in die Hände.
Rechtsradikale Kampagne gegen Schilling und die Grünen durch die FPÖ und von ihr finanzierte Medien
Und genau diese Feinde der liberalen Demokratie starteten noch am Mittwochabend eine Kampagne gegen Schilling: Die FPÖ, die unter ihrem Chef Herbert Kickl zuletzt inhaltlich immer weiter nach rechts gerutscht ist, und von ihr mit Inseraten finanzierte Pseudomedien schossen sich auf Schilling ein. Dabei bedienten sie sich der Sprache des autoritären Populismus. Generalsekretär Michael Schnedlitz, aus dem besonders radikalen niederösterreichischen Landesverband, unterstellte den Grünen „moralische Verwahrlosung“. Ein Begriff, den auch Kickl verwendet, häufig gepaart mit offen antisemitischen Sprachbildern. Ein von einem ehemaligen FPÖ-Abgeordneten betriebenes Medium wittert „Vertuschung“ durch die grüne Parteispitze, weil die Bundesparteizentrale zum Schutze Schillings im Gerichtsverfahren angegeben wurde.
Ausgehend davon ergehen sich rechtsradikale Troll-Accounts in sozialen Medien in frauenfeindlichen Beschimpfungen gegen Schilling. Die gab am Mittwochmorgen zu bedenken, dass sie „nicht aus Teflon“ sei. Wer sie kenne, wisse, dass ihr diese Vorwürfe „sehr nahe“ gingen. Sie wolle sich allerdings „nicht unterkriegen lassen“. (kb)
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