Reaktionen auf Flugblatt
Fall Aiwanger: Söder kauft sich etwas Zeit
Markus Söder hält an der Regierung mit den Freien Wählern fest. Sein Angebot an die Freien Wähler: ein Bündnis ohne Aiwanger. Aber ist das realistisch?
München – Wie ernst eine Lage ist, kann man an kleinen Dingen erkennen. Markus Söder steht am Dienstagmittag im Münchner Prinz-Carl-Palais mit angespannter Miene vor der Presse – und liest vom Blatt ab. Das macht der Ministerpräsident selten, allenfalls bei Regierungserklärungen oder Trauerveranstaltungen. Und noch ungewöhnlicher: Söder beantwortet keine Fragen der Journalisten. Als er seine knapp sechsminütige Erklärung verlesen hat, verlässt er fast fluchtartig das Gebäude und braust im schon wartenden Dienstwagen davon.
Fall Aiwanger: Söder beruft Krisensitzung ein – und distanziert sich vom Flugblatt
Die Kernpunkte sind schnell erzählt: Söder distanziert sich maximal vom antisemitischen Flugblatt – noch stärker als zuletzt: „So wie das Flugblatt geschrieben ist, merkt man, dass da eine ganz andere Energie dahintersteckt. Das ist nicht nur ein Dummer-Jungen-Streich.“ Söder stellt auch klar, dass er mit Aiwangers Krisenmanagement in den letzten Tagen nicht zufrieden ist. Man könne sich keine Hängepartie leisten. „Es gibt keinen Platz für Antisemitismus in der bayerischen Staatsregierung.“ Man habe den Minister zwar gehört. „Die heutigen Aussagen reichen aber definitiv nicht aus.“ Der Ministerpräsident verdonnert seinen Stellvertreter also, 25 schriftlich gestellte Fragen ebenfalls schriftlich zu beantworten. Dann müsse er den Sachverhalt „fair, objektiv, seriös zu bewerten“.
Schriftliche Fragenkataloge unter Koalitionspartnern? Mehr als ungewöhnlich. Söder kauft sich also etwas Zeit. Ausnahmsweise gänzlich unverschuldet ist er in eine sehr schwierige Lage geraten. Wäre nicht in sechs Wochen Wahl, hätte er vielleicht härter durchgegriffen. Aber aktuell sind die Risiken auch für die CSU kaum kalkulierbar. Am Morgen hat Söder das noch einmal zu hören bekommen. Erweiterter Fraktionsvorstand der CSU. Aiwanger nervt viele. Aber Schwarz-Grün? Um Gottes willen!
Söder, Merkel, Aiwanger: Regenschirm-Rüpelei für Herzdamen bei Richard-Wagner-Festspielen




Söder hält weiterhin an Regierung mit Freien Wählern fest
Das weiß natürlich auch der Parteivorsitzende, der seit Monaten von Bierzelt zu Bierzelt eilt. Dort trifft er zwar nicht unbedingt auf den Querschnitt der Bevölkerung, wohl aber auf seine Parteibasis. Und wer in Berlin nicht versteht, warum der Ministerpräsident nicht härter durchgreift, der kennt eben die bayerischen Befindlichkeiten nicht. Schwarz-Grün ist bei sehr vielen ein echtes Schreckgespenst. Söder will und muss bürgerlich regieren. Und weil er keinerlei Gewissheit hat, dass die FDP nach der Wahl noch im Maximilianeum sitzt, kann er die Freien Wähler nicht einfach fallen lassen.
Trotzdem wächst der Verdruss in der CSU. Im eigens einberufenen Koalitionsausschuss am frühen Vormittag beantwortet Aiwanger die Fragen nur unzureichend. Später im Ministerrat versucht er dann, zur Tagesordnung überzugehen. Aiwanger referiert über Wasserstoffkraftwerke und Windenergie. Kein Wort zur Koalitionskrise.
Also tritt Söder allein vor die Kameras. Es lohnt sich, die so sorgfältig vorbereitete Erklärung noch einmal genauer zu sezieren. Ein bisschen wie im Deutsch-Leistungskurs – um in dieser schulisch geprägten Debatte im Bild zu bleiben. Denn einen wichtigen Aspekt versteckt Söder in einem Nebensatz. „Die Zusammenarbeit mit den Freien Wählern als Ganzes hat sich bewährt, ist gut und wir wollen sie auch fortsetzen“, sagt er. Und schiebt nach: „Koalitionen hängen übrigens auch nicht an einer einzigen Person. Es geht mit oder ohne bestimmte Personen ganz genauso.“ Will heißen: Die FW sollten darüber nachdenken, die neue Ministerriege vielleicht ohne Aiwanger zu bestücken.
Opposition: „Söder ist zu schwach, um sich gegen Aiwanger durchzusetzen“
Doch darauf deutet aktuell nichts hin. Die FW-Reihen scheinen geschlossen. Söders Entscheidung, am Wirtschaftsminister festzuhalten, überrasche ihn nicht, sagt Fraktionsgeschäftsführer Fabian Mehring. „Es wäre nicht vermittelbar gewesen, Aiwanger auf Basis einer Verdachtsberichterstattung zu entlassen, die sechs Wochen vor Wahlen auftaucht und sich auf anonyme Quellen zu Geschehnissen stützt, die sich vor 35 Jahren auf einer niederbayerischen Schultoilette ereignet haben sollen.“ Es sei „absurd“, Aiwanger für antisemitisch zu halten. „Ihn angesichts seines aktuellen Zuspruchs in die rechte Ecke zu stellen, ist ein ebenso durchschaubares wie unfaires Manöver, das hoffentlich viele Menschen durchschauen“, sagt Mehring.
Die Opposition sieht das naturgemäß anders. „Söder ist zu schwach, um sich gegen Aiwanger durchzusetzen“, findet Florian von Brunn (SPD). „Das Mindeste wäre gewesen, dass Hubert Aiwanger sein Amt ruhen lassen muss.“ Und Bayerns FDP-Chef Martin Hagen moniert: „Die schwerwiegenden Vorwürfe gegen Hubert Aiwanger sind keine exklusive Sache zwischen CSU und Freien Wählern. Das betrifft ganz Bayern und darf nicht hinter verschlossenen Türen verhandelt werden.“
Wirbel um Aiwanger: Opposition fordert Sondersitzung des Landtages
Die Opposition fordert deshalb eine Sondersitzung des Landtags – trotz Sommerpause. Das kann ein Drittel der Abgeordneten veranlassen. Doch so einfach ist die Sache nicht. Die Parlamentsverwaltung jedenfalls wird kalt erwischt. Denn in der – eigentlich – außergewöhnlich langen Pause bis nach der Wahl im Oktober wird der Plenarsaal aufwendig umgebaut. Getagt werden müsste deshalb im Saal des 1998 abgeschafften Senats, der aktuell als Werkstatt und Lager für die Umbauarbeiten dient, wie ein Sprecher berichtet.
Vermutlich dürfte es auf eine kleine Lösung hinauslaufen – den sogenannten Zwischenausschuss, der lediglich aus 51 Mitgliedern besteht, die aber das ganze Parlament repräsentieren. Der genaue Termin steht noch nicht fest, es könnte aber der 6. oder 7. September werden.
Rubriklistenbild: © ; Hildenbrand/dpa
