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IPPEN.MEDIA-Interview

Estlands Ex-Befehlshaber: „Zwei Kaffee mehr und Putin verliert den Ukraine-Krieg“

Putin führt einen regellosen Krieg in der Ukraine, sagt der stellvertretende Vorsitzende des neuen EU-Ausschusses für Verteidigung.

Straßburg – Die Europäische Union will Europa wehrhafter machen. Ein Anzeichen dafür ist der neue Posten des Verteidigungskommissars – ein anderes der ebenso neue Ausschuss für Sicherheit und Verteidigung im EU-Parlament. Riho Terras ist der stellvertretende Vorsitzende. Von 2011 bis 2018 war er Befehlshaber der Verteidigungsstreitkräfte der Republik Estland. Terras begann seine militärische Laufbahn noch in der sowjetischen Marine. Bereits vor Jahren warnte der 57-Jährige vor einem Einmarsch Russlands in die Ukraine.

Herr Terras, in Europa wächst die Sorge vor einem Krieg mit Russland. Militärexperten und westliche Geheimdienste vermuten, dass das russische Militär in vier bis fünf Jahren in der Lage sein könnte, die Nato zu testen und einen Mitgliedsstaat anzugreifen. Rechnen Sie mit einer Attacke?
Man muss immer damit rechnen. In den vergangenen Jahrhunderten hat Russland uns Esten alle 25 Jahre angegriffen. Für uns ist diese Bedrohung nichts Neues. Aus gutem Grund gab Estland im zurückliegenden Jahr 3,9 Prozent seines Bruttoinlandsproduktes für die Verteidigung aus. Zurzeit sind die russischen Streitkräfte nicht in der Lage, Europa und die Nato anzugreifen. Aber: Wenn wir als Union nicht stärker in unsere Abschreckung investieren, dann wächst die Gefahr. Falls Wladimir Putin ein Nato-Land attackiert und die restlichen Partner nicht zur Hilfe eilen, wäre dieses Szenario das Ende des Verteidigungsbündnisses.

Russland-Experte warnt: EU steht vor großen Problemen

Der neue US-Präsident Donald Trump fordert, dass alle Nato-Staaten fünf Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für die Sicherheit ausgeben sollen. Während seiner ersten Amtszeit sagte er, dass die USA europäische Nato-Partner nicht verteidigen, wenn sie ihre Rechnung nicht bezahlen. Fürchten Sie eine Schwächung der Nato durch Trump?
Ich fürchte gar nichts. Auch die USA wissen, wie wichtig die Nato ist – auch für die Sicherheitsinteressen unseres transatlantischen Partners. Trump ist nicht der erste US-Präsident, der von den europäischen Ländern höhere Ausgaben fordert. Das tat bereits Barack Obama. Und ich finde diese Forderung absolut richtig. Wir müssen alle mehr ausgeben. Dank der Friedensdividende waren die Ausgaben für Verteidigung in Europa in den letzten 30 Jahr sehr überschaubar. Nun stehen wir vor zahlreichen Problemen: Wir haben viel zu wenige Soldaten und die Munitionslager sind leer. Europa muss den militärisch-industriellen Komplex hochfahren. Wir brauchen höhere Produktionskapazitäten.
Wie lässt sich das einfädeln?
Ein gutes Beispiel ist Finnland: Seit dem Kalten Krieg hatten die Finnen immer Reserven, weil die Regierung mit bestimmten Firmen Verträge abschloss. Das Ziel: Wenn ein Krieg ausbricht, müsst ihr die Produktion schnellstmöglich hochfahren. So konnte die Munitionsherstellung verfünffacht werden – in einem Jahr. Es wäre toll, wenn dazu auch andere Länder in der Lage wären. Idealerweise würden wir das gemeinsam als Union schaffen. Aber davon sind wir weit weg.  
Riho Terras ist der stellvertretende Vorsitzende des neuen EU-Ausschusses für Sicherheit und Verteidigung.
Was kann die EU gegen diese Infrastruktur-Probleme tun?
Ich hoffe, dass unser neuer EU-Verteidigungskommissar Andrius Kubilius die europäische Verteidigungspolitik konsolidieren wird. Welche Fähigkeiten brauchen wir? Wo sind unsere größten Lücken in der Verteidigung? Diese Fragen müssen dringend beantwortet werden. Und wir brauchen gemeinsame Antworten. Wenn jedes Land alleine handelt, wären die Kosten viel höher. 

Ehemaliger Befehlshaber sieht zahlreiche Schwächen in der europäischen Verteidigungsarchitektur

In welchen Bereichen sehen Sie aktuell den größten Nachholbedarf?
Der Luftraum über Europa ist nicht ausreichend geschützt. Ein weiteres Problem ist die bereits angesprochene Munitionsknappheit. Das Gleiche gilt für Lenkwaffensysteme, von denen wir zu wenige haben – und Drohnen. Wir haben zwar einzelne Unternehmen, die gute Drohnen herstellen. Allerdings fehlt eine systematische Produktion. Vor zwei Jahren durften man das Wort „umbenannte Systeme“ nicht in den Mund nehmen. Zu groß war die Kritik. Nun sehen wir in der Ukraine, wie wichtig diese Systeme für das Militär und den Schutz der Bevölkerung sind. In dieser technologischen Entwicklung müssen wir schnell einiges aufholen.
Apropos einiges aufholen: Kanzler Olaf Scholz hat der Ukraine mehrfach deutsche Unterstützung zugesichert – solange diese eben notwendig ist. Nun stockt die Freigabe von drei Milliarden Euro, weil sich die Parteien uneinig über die Finanzierung sind. Wie passt dieses zögerliche Verhalten zur aktuellen Bedrohungslage und sollte Deutschland eine Führungsrolle in der EU und der Nato übernehmen?
Ja, absolut. Deutschland sollte mehr Führung übernehmen. Als Scholz das Sondervermögen für die Bundeswehr angekündigt hatte, fiel mir vor Schreck eine Tasse aus der Hand. Damit hatte ich nicht gerechnet. Das Sondervermögen war und ist ein gutes Zeichen. Das Problem dabei: Das Sondervermögen reicht nicht aus, um die Bundeswehr kampfbereit zu machen – und das wissen alle in Deutschland. Als stärkstes Land in der EU muss Deutschland für mehr Sicherheit in Europa sorgen. Ein Beispiel: Estland besitzt zurzeit drei bis vier einsatzbereite Brigaden. Deutschland könnte jetzt keine vier Brigaden in den Einsatz schicken. Die Bundesregierung sollte jährlich ein Prozent des Bruttoinlandsproduktes mehr in die Bundeswehr stecken. Und wenn jemand behauptet, dass Deutschland dazu nicht in der Lage ist, lügt er. Dann fehlt alleine der politische Wille. In Estland haben wir eine sogenannte Verteidigungssteuer eingeführt, um mehr Geld in unsere militärischen Fähigkeiten investieren zu können.
Ein russischer „Grad“-Mehrzweckraketenwerfer feuert auf ukrainische Stellungen, während sich ein Soldat auf den Abschuss von Drohnen in der Ukraine vorbereitet.
Stärkere Investitionen in die eigenen Truppen sind vor allem mittelfristig wichtig. Kurzfristig benötigt die Ukraine finanzielle und militärische Unterstützung. Muss Europa mehr tun – insbesondere mit Blick auf Trump, der die Hilfe für die Ukraine zurückfahren könnte?
Unbedingt. Im letzten Jahr haben die europäischen Länder gemeinsam 0,1 Prozent ihrer Wirtschaftsleitung genutzt, um die Ukraine zu unterstützen. Umgerechnet bedeutet das auch: Jeder Bürger hat eine Tasse Kaffee investiert. Wenn wir diese Zahl auf zwei bis drei Tassen erhöhen, würde Russland diesen Krieg verlieren. Aber wir bleiben gemütlich und geben nicht genug Geld aus. Zu viele verstehen immer noch nicht, dass es im Ukraine-Krieg nicht nur um die Ukraine geht. Wenn Russland tatsächlich ein anderes Land angreift, wird die Rechnung für alle deutlich teurer. Ich plädiere dafür, dass jedes Land 0,25 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Ukraine-Hilfe ausgibt. Wir sind eine starke Union – aber mental nicht bereit. Wir müssen zusammenhalten und unsere Wertegemeinschaft verteidigen.

Terras sagt: Die Bezeichnung „hybrider Krieg“ verharmlost Russlands Aggression

Wir haben jetzt viel über die Zukunft gesprochen. Allerdings führt Russland bereits einen hybriden Krieg gegen Europa. Welche Mittel nutzt der Kreml und welche Ziele verfolgen die Machthaber?
Ich mag die Bezeichnung „hybrider Krieg“ nicht. Diese Umschreibung verharmlost das russische Vorgehen, denn: Menschen denken, dass niemand durch eine hybride Kriegsführung stirbt. Das stimmt leider nicht. Ich spreche lieber von einer mehrdimensionalen Kriegsführung. Und: Diese Kriegsführung ist in allen Dimensionen gefährlich. Russland ist jedes Mittel recht. Es beeinflusst politische Prozesse, attackiert Bankensysteme, setzt auf Cyberangriffe, schafft diplomatische Konflikte und agiert verdeckt mit Spionen. Und letztlich setzt der russische Staat auch Waffengewalt ein, um seine Ziele zu erreichen – wie der Ukraine-Krieg zeigt. Russlands ist jedes Mittel recht. Im Kalten Krieg wurden immerhin noch gewisse Regeln eingehalten. Heute führt Putin einen regellosen Krieg.

Promis, Premieren und Problemfälle: Das ist Ursula von der Leyens neue EU-Kommission

Informeller EU-Gipfel
Ursula von der Leyen (Deutschland): Von der Leyen ist zum zweiten Mal EU-Kommissionschefin. Eine ihrer wichtigen Aufgaben ist es, den EU-eigenen Institutionen Gewicht zu verleihen und Kompromisse zu finden – auch im Austausch mit den Staats- und Regierungschefs, im „EU-Rat“. Hier ist sie bei einem informellen Treffen in Budapest zu sehen; im EU-blauen Blazer. © Kay Nietfeld
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Kaja Kallas (Estland, Liberale): Sechs Kommissions-Vizepräsidentinnen und -präsidenten hat von der Leyen. Eine davon ist Kaja Kallas. Als Außenbeauftragte der EU ist ihr ohnehin eine besondere Rolle zugedacht. Die Estin gilt als vehemente Unterstützerin der Ukraine und Vertreterin eines harten Kurses gegenüber Wladimir Putins Russland. Ihr großes Ziel: Die 27 Staaten auf eine gemeinsame Position und Stimme zu einen. © Kay Nietfeld/dpa
Am Ende ist es gutgegangen: Italiens neuer EU-Kommissar Raffaele Fitto und Giorgia Meloni bei einer Militärparade.
Raffaele Fitto (Italien, EKR): Über die Personalie Fitto wurde im EU-Parlament heftig gestritten. Der Grund: Der Italiener gehört Giorgia Melonis Partei Fratelli d‘Italia an. Er ist der erste Politiker rechts der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP), der Kommissions-Vizepräsident wird. Vorgeworfen wurden ihm unter anderem Voten zugunsten Ungarns im Rechtsstaats-Streit mit Viktor Orbán. Mit seinem Fach, der Regionalentwicklung in der EU, kennt sich Fitto aber recht gut aus. Er gehörte jedenfalls lange dem zugehörigen Ausschuss an.  © Luigi Mistrulli/picture-alliance/dpa/IPA/Zuma
Teresa Ribera Rodriguez (Spanien, Sozialdemokraten): Auch für Kommissions-Vizepräsidentin
Teresa Ribera Rodriguez (Spanien, Sozialdemokraten): Auch für Kommissions-Vizepräsidentin Teresa Ribera war die Bestätigung durch das EU-Parlament kein Spaziergang. Die neue Wettbewerbs-Kommissarin amtierte zuvor als Spaniens Ministerin für „ökologischen Umbau“. Die Konservativen im Land machten ihr Vorwürfe in Zusammenhang mit der Flutkatastrophe in Valencia. Vielleicht auch aus taktischen Erwägungen. Der Streit endete mit einem Kuhhandel: Die Sozialdemokraten ließen Fitto passieren, die EVP Ribera. © IMAGO/Belga
Stéphane Séjourné (Frankreich, Liberale)
Stéphane Séjourné (Frankreich, Liberale): Eher indirekten Theaterdonner gab es um die Nominierung von Industrie-Kommissar und Vizepräsident Sejourné. Eigentlich wollte Emmanuel Macron noch einmal Thierry Breton als Kommissar sehen. Breton hatte in Brüssel polarisiert, unter anderem mit seinem Einsatz für Atomkraft – von der Leyen bat um eine Alternative. Die wurde in Sejourné gefunden. Der amtierte zuvor einige Monate lang als Frankreichs Außenminister. © Kay Nietfeld/dpa/picture-alliance
Henna Virkkunen (Finnland, Konservative) kommissarin technische souveränität
Henna Virkkunen (Finnland, Konservative): Auch Finnland bekommt eine Vizepräsidentin. Von 2008 bis 2014 war Virkkunen Ministerin in der Heimat – nacheinander für Bildung, öffentliche Verwaltung und (kurz) auch Verkehr. Ab 2014 war die 1972 geborene Konservative EU-Abgeordnete und zuletzt Leiterin der finnischen Delegation in der konservativen EVP. Ihr neuer Posten hat durchaus Relevanz: Als Kommissarin kümmert sich Virkkunen um „Technische Souveränität, Sicherheit und Demokratie“ – Stichwort Cyberattacken und Desinformation. © IMAGO/Nicolas Landemard/Le Pictorium
Roxana Minzatu (Rumänien, Sozialdemokraten) Kompetenzen Vorsorge Kommissarin
Roxana Minzatu (Rumänien, Sozialdemokraten): „Menschen, Kompetenzen und Vorsorge“ sind die inhaltlichen Aufgaben der ersten rumänischen Vizepräsidentin in der Geschichte der Kommission. Kleinere Verstimmungen gab es eher zu ihrem Titel als zu ihrer Person: Einige Abgeordnete hätten gerne auch die Worte „Bildung“ und „Beschäftigung“ über ihrem Portfolio gesehen. In der Heimat war Minzatu schon Staatssekretärin und kurzzeitig Ministerin. Beide Male ging es auch um die Verteilung von EU-Mitteln. © Denis Lomme/EP
Andrius Kubilius litauen konservative verteidigungs kommissar eu
Andrius Kubilius (Litauen, Konservative): Erstmals gibt es einen EU-Verteidigungskommissar – bemerkenswerterweise kommt er wie die Außenbeauftragte aus dem Baltikum. Kubilius ist in seiner Heimat höchst bekannt. Und in Russland Persona non grata. Kubilius war Litauens Premier, Chef der konservativen Vaterlandsunion und später Berater des damaligen ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko. Der Kreml verhängte ein Einreiseverbot. © Philipp von Ditfurth/dpa/picture-alliance
Valdis Dombrovskis (Lettland, Konservative) kommissar eu wirtschaft
Valdis Dombrovskis (Lettland, Konservative): „Sie kennen mich“ hätte Dombrovskis (li.) den EU-Parlamentariern zurufen können – der dritte Balte im Reigen ist schon seit 2014 Kommissar. Zuerst war er für den Euro zuständig, dann für Wirtschaft, ab 2020 schließlich für Handel. Nun heißt sein Portfolio wieder „Wirtschaft“; hinzu kommt „Vereinfachung“. Dombrovskis kennt das Feld und auch viele Minister auf dem internationalen Parkett. Mit einem kleinen Dämpfer muss er aber leben: 2019 noch machte ihn von der Leyen zu einem ihrer Vize. Das ist nun passé. © IMAGO/Nicolas Landemard
Dubravka Šuica (Kroatien, Konservative) EU-Kommissarin bei einer Papst-Audienz
Dubravka Šuica (Kroatien, Konservative): Unter der schönen Überschrift „Neuer Schwung für die Europäische Demokratie“ war Šuica schon Mitglied der Kommission „von der Leyen I“ – Demokratie und Demografie lauteten ihre Aufgaben. Eine Privataudienz beim Papst (im Foto) stand auch auf dem Programm. Die Kroatin hat nun ein taufrisches Amt bekommen: Kommissarin für den Mittelmeerraum. Diesen Posten gab es seit den 90ern nicht mehr. Eng zusammenarbeiten wird Šuica wohl mit der Außenbeauftragten Kaja Kallas. Anders als die ist aber nicht (mehr) Vize-Präsidentin. © IMAGO/VATICAN MEDIA / ipa-agency.net
Hadja Lahbib kommissarin Katastrophenmanagement befragung brüssel belgien
Hadja Lahbib (Belgien, Liberale): Kritische Fragen musste sich Lahbib bei ihrer Befragung im Europaparlament anhören: Sie galt einigen Beobachtern als zu unerfahren – und hat mit „Resilienz und Krisenmanagement“ sowie „Gleichstellung“ ein gewichtiges Portfolio. Lahbib hatte zwar seit 2022 als belgische Außenministerium schon eine herausgehobene Position. Schon diese Nominierung war aber eine massive Überraschung. Lahbib arbeitete bis dahin als Journalistin und war Quereinsteigerin in die Politik. Beruflich hatte sie allerdings schon mehrfach aus Kriegs- und Krisengebieten berichtet. © Virginia Mayo/dpa/picture alliance
Maria Luís Albuquerque (Portugal, Konservative): Einen interessanten Posten hat Portugals Vertreterin erhalten:
Maria Luís Albuquerque (Portugal, Konservative): Einen interessanten Posten hat Portugals Vertreterin erhalten: Maria Luís Casanova Morgado Dias de Albuquerque ist Kommissarin für Finanzdienstleistungen und für die „Spar- und Investitionsunion“. In den schwierigen Jahren 2013 bis 2015 war die 57-Jährige Finanzministerin. Später wechselte sie zu den Finanz-Playern Arrow Global und Morgan Stanley. Die Finanzwirtschaft findet das gut – im Parlament sorgte es auch für Argwohn. Die Politikerin versprach nun, sie werde sich vor allem um finanzielle Stabilität kümmern. © IMAGO/Wiktor Dabkowski
Piotr Serafin (Polen, Konservative) Haushalt EU Kommission PO
Piotr Serafin (Polen, Konservative): Der Machtwechsel in Polen hat auch Folgen in Europa. Die letzten fünf Jahre kam Warschaus Kommissar aus der PiS. Der neue Regierungschef Donald Tusk sendet nun mit Serafin einen engen Vertrauten. Schon von 2008 bis 2010 war der – in zweiter Reihe – in polnischen Tusk-Kabinetten dabei. Als Tusk 2014 bis 2019 EU-Ratschef war, stand ihm Serafin als Büroleiter zur Seite. Er gilt als zuverlässiger Arbeiter. Nun soll er von der Leyens EU-Haushalt erst schmieden, dann zusammenhalten. © IMAGO/Wiktor Dabkowski
Dan Jørgensen (Dänemark, Sozialdemokraten) Energie wohnen eu kommission
Dan Jørgensen (Dänemark, Sozialdemokraten): Jørgensen war eine Art Megatalent der dänischen Politik: 2004 mit 29 ins Europaparlament gewählt, seit dem 38. Lebensjahr Minister. Seit 2019 war der Sozialdemokrat für Klimapolitik zuständig. In der Kommission kümmert er sich nun um „Energie und Wohnen“ – da gibt es jedenfalls Schnittpunkte. Als Dänemarks Vertreter folgt Jørgensen auf die prominente Wettbewerbspolitikerin Margrethe Vestager. © IMAGO/Thomas Traasdahl
Apostolos Tzitzikostas (Griechenland; Konservative) Kommissar Verkehr
Apostolos Tzitzikostas (Griechenland; Konservative): 2015 wollte Tzitzikostas Parteichef der konservativen Nea Dimokratia werden – und verpasste die Stichwahl. Das Rennen machte Kyriakos Mitsotakis. Er entsandte den Ex-Rivalen jetzt nach Brüssel, die Nominierung gilt als Wink an rechte Hardliner. Denn Tzitzikostas ist einerseits ein erfahrener Regionalpolitiker, hat andererseits aber schon für Trouble gesorgt; etwa mit einer freundlichen Haltung gegenüber der mittlerweile verbotenen faschistischen Partei „Goldene Morgenröte“. Lenken soll Tzitzikostas das eher unheikle Ressort Verkehr und Tourismus. © IMAGO/Nicolas Landemard/Le Pictorium
Ekaterina Sachariewa (Bulgarien; Konservative) kommission forschung startups innovation
Ekaterina Sachariewa (Bulgarien; Konservative): Sachariewa ist keine Unbekannte auf europäischem Parkett – das Foto zeigt sie 2020 als bulgarische Außenministerin mit den Amtskollegen Jean Asselborn (li.) und Luigi Di Maio. Ministerin für regionale Entwicklung und Justizministerin war Sachariewa auch schon. Kritiker – darunter die Organisation LobbyControl – sehen Verdachtsfälle fragwürdiger Amtsführung nicht ausgeräumt. So oder so darf sich Sachariewa jetzt in ein neues Feld einarbeiten: Start-ups, Forschung und Innovation.  © picture alliance/dpa/European Council
Michael McGrath (Irland, Liberale) kommissar justitz demokratie rechtsstaat
Michael McGrath (Irland, Liberale): Ein konservativer Liberaler kommt aus Irland nach Brüssel. McGrath hat sich in Dublin vor allem mit Finanzen befasst, auch als Minister. Das passte offenbar ganz gut: Er hat zuvor unter anderem als Wirtschaftsprüfer gearbeitet. Das Portal „Politico“ beschreibt McGrath als Freund harter Arbeit und eher scheu gegenüber strategisch-taktischen Politikspielen. Der siebenfache Vater amtiert nun als Kommissar für Demokratie, Justiz und Rechtsstaatlichkeit. Zumindest ein wenig kontrovers wirkten dabei McGraths Skepsis gegenüber gleichgeschlechtlicher Ehe und liberalem Abtreibungsrecht. © IMAGO/Nicolas Landemard/Le Pictorium
Magnus Brunner (Österreich, Konservative) oevp kommissar migration
Magnus Brunner (Österreich, Konservative): Mitte August 2024 waren Brunner (Mi.) und Christian Lindner (2.v.r.) noch Finanzminister-Amtskollegen. Ende des Jahres ist der Österreicher bereits EU-Kommissar und Lindner einfacher Abgeordneter. Gemütlicher hatte es ÖVP-Mann Brunner daheim aber auch nicht: Erst kurz vor der Nationalratswahl im September veröffentlichte er nach oben korrigierte Defizitzahlen – ein Eklat. Trotzdem ist er in Brüssel nun für ein Großthema verantwortlich: Inneres und Migration. Eher überraschend votierten dabei auch die Sozialdemokraten für Brunner. © Gian Ehrenzeller/picture alliance/dpa/KEYSTONE
Jessika Roswall (Schweden, Konservative) eu kommissarin umwelt
Jessika Roswall (Schweden, Konservative): Mit der EU hatte Roswall schon vor ihrer Nominierung als Kommissarin zu tun. Ab 2019 war sie EU-politische Sprecherin der schwedischen Moderater, ab Oktober 2022 sogar Ministerin für EU-Angelegenheiten. Nicht ganz so firm schien die Juristin bei ihrer Parlamentsbefragung zum neuen Metier zu sein: Umwelt, Wasser und Kreislaufwirtschaft. Bei den Antworten zu letzterem Gebiet waren die Abgeordneten noch zufrieden. An den umweltpolitischen Kenntnissen gab es hörbare Zweifel, wie unter anderem „Euractiv“ berichtete. © IMAGO/Mikaela Landeström/TT
Christophe Hansen (Luxemberg, Konservative) landwirtschaft kommissar
Christophe Hansen (Luxemberg, Konservative): Hansen ist ein Kind der EU – jedenfalls beruflich. 2007, mit Mitte 20, wurde er Mitarbeiter der Abgeordneten Astrid Lulling. Fortan bekleidete er verschiedene Funktionen rund um das Thema EU, meist aus Luxemburger Perspektive. Seit 2019 ist Hansen Parlamentarier, seit 2022 als „Quästor“ Verbindungsmann zwischen Parlamentsverwaltung und Abgeordneten. Hansen hat mit dem Thema Landwirtschaft ein auch finanziell gewichtiges Ressort erhalten. Als Handels- und Umweltpolitiker hatte er schon mit einigen Aspekten zu tun. © IMAGO/Dwi Anoraganingrum
Wopke Hoekstra (Niederlande, Konservative) kommission von der leyen klima shell
Wopke Hoekstra (Niederlande, Konservative): Hoekstra ist eine Konstante in von der Leyens Kommission. Er behält die Zuständigkeit für das Klima – allerdings hatte er das Amt auch erst im Oktober 2023 von Frans Timmermans übernommen. Für Unruhe sorgte, dass Hoekstra seine berufliche Karriere just beim Öl-Riesen Shell begonnen hatte. In seinem Lebenslauf steht auch Minister-Erfahrung – fünf Jahre war Hoekstra Finanz-Ressortchef, 21 Monate lang Außenminister. Kritiker meinen, der Niederländer sei eher Experte für die steuerlichen Dimensionen seines Amtes. Die Bestätigung des Parlaments erhielt er 2024 dennoch nahezu geräuschlos. © IMAGO/Dominika Zarzycka/SOPA Images
Glenn Micallef (Malta, Sozialdemokraten) kommissar kommission bruessel jugend sport kultur
Glenn Micallef (Malta, Sozialdemokraten): Auch Brüssel-Insidern dürfte dieser Name kaum geläufig gewesen sein. Bis Sommer 2024 war Micallef vier Jahre lang Stabschef des maltesischen Premiers Robert Abela – zuvor kümmerte er sich um die Brexit-Vorbereitungen des Landes. Nun wird sich der jüngste Kommissar um die Themen Jugend, Kultur und Sport kümmern.  © IMAGO/Nicolas Landemard/Le Pictorium
Costas Kadis (Zypern, parteilos) kommissar fischerei eu leyen
Costas Kadis (Zypern, parteilos): Noch ein Ex-Minister in Ursula von der Leyens Kabinett: Kadis war von 2014 bis 2018 Kultusminister und von 2018 bis 2023 Agrarminister Zyperns. Außerdem ist er Professor der Naturschutzbiologie. Dass Kadis mit dieser Vorerfahrung für den Inselstaat Kommissar für „Fischerei und Ozeane“ wird, wirkt recht plausibel. Aus dem Parlament gab es dann auch breite Zustimmung. Allerdings ist das Ressort ungewöhnlich klein – seit 2014 war das Fischerei-Portfolio mit Umweltschutzbelangen verknüpft, bis 2004 meist mit dem Ressort Landwirtschaft. © Nicolas Landemard/IMAGO/Le Pictorium
Jozef Síkela (Tschechien, Konservative) handel kommission eu
Jozef Síkela (Tschechien, Konservative): Der Herr links ist der neue EU-Kommissar für „Internationale Partnerschaften“. Verträge gestaltet hat Síkela bereits: Als Prags Industrie- und Handelsminister – und sicher auch in 25 Jahren Karriere im Bankenwesen. Deals schließen ist weiterhin die Marschroute. Síkela soll die „Global Gateway Initiative“ voranbringen, das EU-Pendant zu Chinas „Neuer Seidenstraße“. Er geißelte in seiner Parlamentsanhörung „Neokolonialismus“ aus China und Russland. Zu Sikelas Aufgaben werden aber wohl auch Migrationsabkommen gehören. © Britta Pedersen/dpa/picture alliance
Marta Kos (Slowenien, parteilos) kommissarin erweiterung ukraine
Marta Kos (Slowenien, parteilos): Jugoslawische Schwimmmeisterin, Rundfunk-Korrespondentin in Deutschland, slowenische Regierungssprecherin, Chefin der Handelskammer, Botschafterin in Berlin und Bern – Marta Kos hat eine bewegte Biografie. Nur mit einer Präsidentschaftskandidatur scheiterte die Ex-Diplomatin 2022. Und verließ dann wenig später auch die liberale „Freiheitspartei“. Deren Regierungschef Robert Golob hat sie jetzt doch wieder nominiert, wenn auch im zweiten Anlauf: Im Frühjahr lehnte Kos laut „Politico“ einen Sprung nach Brüssel noch ab. Als im Spätsommer Alternativkandidat Tomaž Vesel das Handtuch warf, sagte sie doch zu. Als Kommissarin für Erweiterung (inklusive der östlichen Nachbarn und dem Wiederaufbau der Ukraine) hat Kos eine komplexe Aufgabe vor sich. © Ilaria Rota/EP
Olivér Várhelyi (Ungarn, parteilos): gesundheit orban eu kommission
Olivér Várhelyi (Ungarn, parteilos): Bislang war Olivér Várhelyi Kommissar für die EU-Erweiterung. In der Kommission „von der Leyen II“ soll(te) er sich um Gesundheit und Tierschutz kümmern. Das war dem Parlament aber in Teilen zu heikel. Um nicht den gesamten Prozess zu torpedieren, wurde der Ungar durchgewunken, einzelne Kompetenzen dafür entzogen. Sexuelle Diskriminierung und Selbstbestimmung etwa fallen weg, genauso wie Pandemievorsorge. Várhelyi ist zwar parteilos, gilt aber als Gefolgsmann Viktor Orbáns. Er hatte sich ausweichend zum Recht auf Abtreibung geäußert. © Christoph Soeder/dpa/picture alliance
Welches primäre Ziel verfolgt Russland? Geht es um die Destabilisierung Europas?
Die Destabilisierung ist nur das Mittel zum Zweck. Russland will die Sicherheitsordnung in Europa umgestalten. Die Machthaber schwärmen über die gute alte Sowjetzeit. Für Putin war die Auflösung der Sowjetunion das größte Verbrechen im letzten Jahrhundert. Er will die Zeit vor 1990 wiederherstellen und die Union zersplittern. Dass wir nach Beginn des Ukraine-Krieges Einigkeit bewiesen hatten, war für Putin die größte Überraschung. Wir müssen uns weiter gegen die Feinde der Demokratie wehren. Dabei geht es nicht nur um Russland. Auch China und Iran sind sehr gefährlich.
An welche konkreten Maßnahmen denken Sie?
Ein gutes Beispiel sind die zwei zerstörten Kabel in der Ostsee. Wir müssen besser gegen Putins Schattenflotte vorgehen und etwaige Unternehmen stärker sanktionieren. Zudem könnte die EU beispielsweise folgende neue Verpflichtung beschließen: Alle Schiffe müssen ihre Aktivitäten transparent mit Kameras aufzeichnen. Wer das nicht tut, wird verstärkt beschattet. Nicht immer müssen unsere Abwehrmaßnahmen teuer und kompliziert sein. Im Kampf gegen Russland ist eines besonders wichtig: der europäische Zusammenhalt. (Interview: Jan-Frederik Wendt)

Rubriklistenbild: © IMAGO / Smoliyenko Dmytro / Ukrinform / ABACA

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