„Keine gute Nachricht“
Özdemir reagiert auf Erdogans Ergebnis bei Türkei-Wahl - und fordert deutsche Reaktion
Cem Özdemir, Bundeslandwirtschaftsminister, will, dass die deutsche Politik „das Spiel“ Erdogans nach bei der Türkei-Wahl nicht mehr mitspielt.
Ankara (Türkei)/ Berlin (Deutschland) - Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) blickt ernüchtert auf das vorläufige Wahlergebnis in der Türkei, wo nach ersten Auszählungen Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan die meisten Stimmen bekommen hat. Er sorgt sich um die Frauen- und Minderheitenrechte in dem Land, aus dem seine Eltern 1960 nach Deutschland kamen.
Selbst wenn Oppositionskandidat Kemal Kilicdaroglu in der nun wahrscheinlichen Stichwahl gegen Amtsinhaber Erdogan gewinnen sollte, werde „er ein zutiefst gespaltenes Land vorfinden“, sagte Özdemir im Bayerischen Rundfunk am Montag. Im Rennen um das Präsidentenamt liegt Erdogan nach Angaben der Wahlbehörde vorne, muss sich aber voraussichtlich einer Stichwahl stellen. Demnach erhielt der Präsident 49,49 Prozent der Stimmen, Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu 44,79 Prozent. Die Endergebnisse wurden noch nicht verkündet.
Özdemir ernüchtert nach Wahl in Türkei: Vorwürfe an Integrationspolitik in Deutschland
Die gleichzeitig stattfindende Parlamentswahl habe die Nationalversammlung so konservativ gemacht wie noch nie. Dies sei „für Frauenrechte, für LGBT-Rechte, für Menschenrechte, Minderheitenrechte sicherlich keine gute Nachricht“, sagte Özdemir. Bei der Präsidentschaftswahl sah er den Drittplatzierten, den nationalistischen Kandidaten Sinan Ogan, nun als Königsmacher. „Auch das zeigt, wie sehr die Türkei nach rechts gerückt ist“, sagte Özdemir.
Dass viele Türken in Deutschland wohl Erdogan gewählt haben, liegt nach Meinung Özdemirs auch an Versäumnissen in der Integrationspolitik.
Hätte man früher den Menschen aus der Türkei signalisiert, hier spielt die Musik, bringt euch hier ein, hätte es geholfen.
Er appellierte an alle demokratischen Parteien in Deutschland, „dass man das Spiel nicht mehr mitmacht, dass man einerseits den Demokraten gibt und dann andererseits ultranationalistische, fundamentalistische Positionen unterstützt.“
Türkei-Wahlen: Sorge vor Forderungen aus der extremen Rechten
In der Türkei hätten sich die mit Erdogan nicht mehr einverstandenen Wählerinnen und Wähler nicht der Opposition zugewandt. „Stattdessen haben sich diese Unzufriedenen anderen Parteien in Erdogans Bündnis zugewandt: zur rechtsradikalen MHP, zur islamistischen YRP“, schreibt der Türkei-Korrespondent der Welt, Denis Yücel. „Erdogan hat das Bündnis der extremen Rechten geschmiedet, das die Mehrheit im Parlament stellen wird, inklusive der Nachfolgeorganisation der islamistisch-terroristischen Hisbollah. Mit Kräften, die bereits dafür gesorgt haben, dass die Türkei die einst in Istanbul beschlossene Konvention zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen aufgekündigt hat.“
Kemal Kilicdaroglu: Die Geschichte von Erdogans Herausforderer




Er mache sich große Sorgen um die Zukunft der Türkei. Das Bündnis stelle noch radikalere Forderungen: „Man will Gesetze zum Schutz von Kindern vor sexuellem Missbrauch schleifen, sodass schariakonform auch Kinder verheiratet werden können, man will Homosexualität strafrechtlich verfolgen etc. Es ist ein Bündnis gegen die Frauen und gegen den Laizismus, das die absolute Mehrheit im Parlament errungen hat.“
Özdemir (Grüne) und Roth (SPD): Wahlen in der Türkei waren nicht manipuliert, aber auch nicht fair
Von Wahlmanipulationen hat Özdemir keine Kenntnis. Er betonte aber, dass es im Vorfeld der Wahl keine fairen Bedingungen für die Opposition gab: „Fairness heißt auch, dass man Zugang hat zu den Medien. Davon konnte keine Rede sein.“ Ein Teil der Oppositionspolitiker und Journalisten sei im Gefängnis oder im Exil. „Aber das Wahlergebnis selber dürfte schon die Stimmung wiedergeben. Da darf man sich nichts vormachen.“
Auch der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, Michael Roth (SPD), hat den Ausgang der Wahl in Türkei als ernüchternd bezeichnet. Er rechne damit, dass Präsident Recep Tayyip Erdogan den Wahlkampf im Fall einer Stichwahl weiter mit aller Härte führen werde. „Er wird weiter versuchen, den Oppositionskandidaten zu diskreditieren und seine Glaubwürdigkeit zu schwächen.“ Sollte Erdogan sein Amt verteidigen, erschwere das die deutsch-türkischen Beziehungen. (dpa/kat)