Autonome Waffensysteme an der Front
Putin testet „Star Wars“-Technik: Seine neuen Drohnen wählen ihre Ziele selbst aus
Die Russen lernen von der Ukraine: Offenbar wollen sie die Verteidiger mit ihren eigenen Waffen schlagen und setzen autonom entscheidende Drohnen ein.
Moskau – Der Sprengstoff am Himmel wiegt gerade mal so viel wie ein Sack Kartoffeln: Drei bis fünf Kilo. Neu ist, dass eine Maschine entscheidet, auf wen oder was der Tod hinabregnen wird. Mit revolutionären „Kamikaze“-Drohnen in seiner Invasionsarmee wird Wladimir Putin jetzt die nächste Generation autonomer Waffen an die Front schicken. Izdeliye-53 (zu Deutsch: „Produkt-53“) heißt Russlands neuer Drohnen-Typ, der laut dem Magazin Sputnik gebaut ist, um in Schwärmen zu fliegen, und sich untereinander abstimmen kann, was am Boden bekämpft werden soll. Angriffsziele sind vor allem Luftabwehr-Stellungen in stationärer sowie mobiler Form und im Prinzip alles, was sich bewegt. Diese Drohnen sind schlanke Kästen – Lanzetten genannt – , die der Gegenoffensive der Ukraine verheerende Nadelstiche versetzen könnten.
Identifizierbar sollen sie an ihren markanten x-förmigen Flügeln sein und damit entfernt Jagdfliegern der Rebellen-Armee in „Krieg der Sterne“ ähneln – nur eben sind die Izdeliye-53 längst Realität. Bittere Realität, wie Sputnik schreibt, weil sie sich als so wirkungsvoll erwiesen haben, Gegenoffensive im Ukraine-Krieg die Schärfe zu nehmen, dass weder westliche Regierungen noch die ukrainische Öffentlichkeit deren Bedrohung ignorieren könnten. Die Lanzetten-Drohne (englisch Lancet), eine eckige graue Röhre mit zwei Sätzen zu je vier Flügeln, ist laut ukrainischen Soldaten in den letzten Monaten tatsächlich eine zunehmende Bedrohung für die Frontlinien der Ukraine geworden. Das berichtet die Agentur Reuters.
Das russische Verteidigungsministerium habe, so Reuters, eine Steigerung der Lanzetten-Produktion als kostengünstige Möglichkeit ergriffen für den Angriff auf hochwertige westliche Ausrüstung, die die Ukraine für ihre Gegenoffensive erhalten habe, sagt Samuel Bendett, vom Center for a New American Security. Bendett sagt, dass laut öffentlich zugänglichen russischen Quellen eine Lanzetten-Drohne etwa rund 35.000 US-Dollar kostet. Demnach besitzt Russland offenbar genug Mittel auch für eine ökonomische Offensive.
Neues Wissen: Invasoren setzen Drohnen jetzt anders ein
„Jeden Tag schießen wir mindestens ein oder zwei dieser Lancets ab – aber die Abfangquote liegt leider nicht bei 100 Prozent“, sagt Yuriy Sak, ein Berater des ukrainischen Verteidigungsministers, und räumt damit gegenüber Reuters ein, dass den Verteidigern der zunehmende Einsatz von Lanzetten durch Russland tatsächlich Schwierigkeiten bereite. Die Ukraine hatte wiederholt, beispielsweise auf der Krim gegen den Einsatz der Schwarzmeer-Flotte, bewiesen, dass sie der personellen Übermacht der russischen Invasionsarmee mit dem massiven Einsatz von Drohnen Paroli bieten kann. Jetzt dreht Moskau den Spieß offenbar um, Sputnik berichtet jedenfalls von ersten erfolgreichen Einsätzen der neuesten Generation der Lancets.
Drohnen werden künftig nicht nur fliegen können oder schwimmen, sondern auch tauchen. Sie werden auf dem Wasser in Schwärmen auftreten und unter Wasser; und auch über oder unter dem Wasser autonom reagieren. Das prophezeit der deutsche Oberstleutnant Rüdiger Rauch, Drohnenabwehr-Experte im Verteidigungsministerium, im Bundeswehr-Podcast Nachgefragt. Ihm zufolge sind die Drohnen „gekommen, um zu bleiben“. Rauch: „Drohnen spielen im Ukraine-Krieg eine nicht zu unterschätzende, große Rolle – sie haben gezeigt, dass die ursprüngliche Annahme, dass Drohnen in kleinen, asymmetrischen Kriegen eine große Rolle spielen können, falsch ist; sondern dass sie auch tatsächlich in großen Konflikten eine große Rolle spielen“, sagt er.
Neue Strategie: Putins Drohnen bedrohen künftig militärische Ziele
Lancet-Drohnen werden von einem Piloten in Echtzeit geflogen. Berater Yuri Sak sagt, dies unterscheide sie von der im Iran hergestellten Shahed-136-Drohne, die Russland bereits massenhaft zum Angriff auf ukrainische Ziele eingesetzt habe, da eine Shahed zu einem programmierten Ziel fliege und nicht in der Luft gesteuert werden könne. Daher vermutet das Investigativ-Magazin Oryx einen Strategie-Wechsel der Russen in der Ukraine: Die eher statisch operierenden Shahed-Drohnen aus dem Iran stellten eher eine Bedrohung für die ukrainische Infrastruktur und die Zivilbevölkerung dar; militärische Ziele hatten außerhalb des russischen Fokus gelegen. Die von Russland eigenständig entwickelten lanzettförmigen Drohnen, wie die jetzt bekannt gewordene Izdeliye-53, sollen bewegliche militärische Ziele bekämpfen können – beispielsweise die deutschen Patriot-Einheiten. Aber auch einzelne Panzer oder sogar vereinzelte Infanterie geraten verstärkt ins Visier von Drohnen-Angriffen.
Neue Verluste: Ukraine pflückt Drohnen mit Gewehren vom Himmel
Tief und mit rund 50 Kilometern pro Stunde verhältnismäßige träge fliegende Drohnen wie die Lanzett, neigen dazu, herkömmliche Luftverteidigungssysteme zu verwirren. Diese zielen eher auf schnelle Ziele mit einer größeren Hitzesignatur. Je schneller die Bomben den Himmel kreuzen, desto geringer ist die Chance der Ukrainer, sich mit Handfeuerwaffen zu verteidigen. Automatische Maschinenkanonen gelten bisher als effektiv. Mit der britischen MSI-DS Terrahawk Paladin hat die Ukraine deshalb gerade einen echten Drohnen-Killer erhalten.
Ukraine-Krieg reicht jetzt bis nach Moskau: Fotos zeigen den Schaden durch Drohnen-Angriffe




Die bisher erfolgreichste Verteidigungswaffe der Ukraine gegen Drohnen ist der deutsche Gepard-Panzer mit seinen beiden Maschinenkanonen. Aus der Bundesrepublik sind laut Angaben der Bundesregierung inzwischen 46 Flugabwehrkanonen-Panzer Gepard in die Ukraine geliefert worden. Dazu insgesamt mindestens 86.000 Schuss Munition. Die britische MSI-DS Terrahawk Paladin funktioniert nach einem ähnlichen Prinzip mit einer Kombination aus Radar plus selbstgesteuerter Kanone und taugt für sehr kurze Distanzen von rund zehn Kilometern; laut Unternehmensangaben kann das System auch nahezu handtellergroße Drohnen effektiv bekämpfen.
Neue Generation: Putins Drohnen suchen sich ihre Ziele jetzt selbst
Allerdings scheint mit der Izdeliye-53 ein Gegner eines schwereren Kalibers am Horizont heraufzuziehen. Alexander Zakharov, Chefdesigner des Izdeliye-Herstellers Zala Aero erklärt Sputnik, dass deren Bediener lediglich festlegen müssten, in welchem Zielgebiet welche Arten von Zielen bekämpft werden sollten, also entweder nur Panzer-, Artillerie-, Radar- oder Luftverteidigungssysteme; danach würden die Drohnen ins Zielgebiet eindringen und – das ist eben neu: Aufgrund eines neuronalen Netzwerkes – miteinander ihre jeweiligen Ziele priorisieren. Das heißt: Worauf sie sich letztendlich aus dem Himmel herab stürzen, entscheiden sie selbst.
Rubriklistenbild: © IMAGO/Evgeny Biyatov
