Gemeinde in Sorge wegen Höcke
„Die AfD ist ein Wolf im Schafspelz“: Jüdischer Kantor vor Thüringen-Wahl in Sorge wegen Höcke
Milán Andics, Kantor der jüdischen Gemeinde in Erfurt, sorgt sich, dass die AfD mehr Einfluss bekommt. Vor allem ein Aspekt beunruhigt ihn.
Erfurt – Fürs Foto drapiert Milán Andics noch schnell einen Gebetsschal über sein blaues Hawaii-Hemd, dann erst öffnet er die Tür zur Neuen Synagoge. „Sonst ist mir das etwas zu salopp“, sagt er und grinst. Der 40-Jährige mit dem Lockenkopf und dem dunklen Bart ist seit einigen Monaten neuer Kantor der jüdischen Gemeinde in Erfurt, leitet dort die Gottesdienste. Studiert hat er am renommierten Abraham-Geiger-Kolleg in Potsdam, das für ein progressives Judentum steht. Wenige Wochen vor der Thüringen-Wahl macht er sich Sorgen, denn die AfD und deren Spitzenkandidaten Björn Höcke hält er für gefährlich.
Thüringen-Wahl: Jüdischer Kantor macht sich Sorgen wegen Höcke
„Es sind antidemokratische Populisten“, sagt er und schlendert gemächlich durch die geschichtsträchtige Synagoge. Sanftes Licht fällt durch schmale, hohe Fenster auf die Bankreihen im eher schlicht gehaltenen Innern: ein Sakralbau aus den 1950er Jahren, zwischen Plattenbauten aus DDR-Zeiten und pittoresken Altstadt-Villen.
Früher stand hier die Große Synagoge aus dem 19. Jahrhundert. Die Nazis zerstörten sie während der Novemberpogrome. Lange Zeit gab es fast keine Jüdinnen und Juden mehr in Thüringen. Seit dem Mauerfall ist die Landesgemeinde wieder auf knapp 700 Mitglieder angewachsen, Erfurt ist ihr Zentrum.
Mitglied der jüdischen Gemeinde vor Thüringen-Wahl: „AfD ist ein Wolf im Schafspelz“
Dass nun eine Rechtsaußen-Partei bald mehr Einfluss im Landtag haben könnte, davor grusele es ihm. Aktuell liegt die AfD ihrem Spitzenkandidaten Björn Höcke in Umfragen bei 30 Prozent „Die Partei ist ein Wolf im Schafspelz“, findet Andics. Gerade vor Wahlen gebe sich die AfD besonders judenfreundlich, sei auf Stimmenfang bei Jüdinnen und Juden. Auch, indem sie besonders den Antisemitismus im Islamismus betone und so Feindbilder befeuere, die in ihr politisches Konzept passe.
Die Beobachtung macht auch der Zentralrat der Juden schon länger. „Die AfD versucht seit geraumer Zeit, mit ihrer vermeintlichen Verbundenheit mit dem Staat Israel und ihrer angeblichen Sorge um die Sicherheit der Jüdischen Gemeinschaft in Deutschland zu punkten“, heißt es in einem Papier des Zentralrats.
Typisch für die Neue Rechte: „Viktor Orbán macht es genauso“
„Das ist ganz typisch für die Neue Rechte. Ich kenne diesen AfD-Trick aus Ungarn. Viktor Orbán macht es genauso“, sagt Kantor Milán Andics. Er stammt von dort, hat große Teile seines Lebens in Ungarn verbracht. Der ungarische Ministerpräsident Orbán, Gründer der rechtspopulistischen und nationalkonservativen Fidesz-Partei, fährt dort einen Kurs, den Beobachter autoritär und autokratisch nennen. Auch deshalb habe er schließlich das Land verlassen, erzählt Andics: „In so einer Atmosphäre möchte ich nicht leben. Hoffentlich bekommen wir das nicht auch hier.“
Der AfD würde er auch dann nicht seine Stimme geben, wenn er ihr glauben würde, dass sie sich für Jüdinnen und Juden einsetzt. „Wenn man wissen will, wie eine Partei ist, muss man sich die Wählerschaft anschauen“, sagt der Kantor. Es gelte keineswegs für alle AfD-Wähler, aber: „Ich bekomme mit, dass viele von ihnen antisemitisch, rassistisch und antidemokratisch eingestellt sind. Wenn ihnen die Partei gefällt, kann dahinter nichts Gutes stecken“, so Andics.
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