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Analyse

Klimaziele werden nicht erreicht: Ist das deutsche Klimaschutz-Programm verfassungswidrig?

Schild mit der Aufschrift Klimaschutz vor Deutschlandfahne
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Klimaschutz in Deutschland (Symbolbild).

Das gesetzliche Klimaziel für 2030 wird wohl weit verfehlt. Juristen und Umweltschützer sehen darin einen Rechtsbruch. Verstößt die Klimapolitik der Ampel gegen die Verfassung? 

Nach zwei Prüfberichten zur Wirkung der deutschen Klimapolitik hat eine Debatte begonnen, ob das deutsche Klimaschutzgesetz (KSG) und das daraus folgende Klimaschutzprogramm (KSP) mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Nach dem Bericht des Expertenrats für Klimafragen und dem Prognosebericht 2023 aus dem Umweltbundesamt werfen Klimaschützer der Bundesregierung „Rechtsbruch“ vor, weil ihre geplanten Maßnahmen für die Ziele des KSG nicht ausreichen. Die Berichte liefern ihnen auch Argumente in den laufenden Klima-Prozessen vor deutschen Gerichten. Das Wirtschafts- und Klimaministerium (BMWK) weist die Vorwürfe dagegen auf Anfrage von Table.Media zurück.

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Dieser Artikel liegt IPPEN.MEDIA im Zuge einer Kooperation mit dem Climate.Table Professional Briefing vor – zuerst veröffentlicht hatte ihn Climate.Table am 25. August 2023.

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Expertenrat: Zu viel CO₂, ungenaue Daten, kein Gesamtkonzept

Am Dienstag hatte der Expertenrat für Klimafragen verkündet, wie er das von der Bundesregierung vorgelegte „Klimaschutzprogramm 2023“ mit etwa 130 Maßnahmen einschätzt. Demnach:

  • verringert Deutschland zwar die „Klimaschutzlücke“ bei den Emissionen bis 2030 von etwa 1.100 auf etwa 200 Millionen Tonnen: Das Programm habe damit einen „hohen, aber gemäß Klimaschutzgesetz unzureichenden Minderungsanspruch“.
  • ist die Datengrundlage „umfänglich, insgesamt aber unzureichend“, die angegebene „Minderungswirkung“ nicht zu bestätigen.
  • gibt es im Bericht „erhebliche Unschärfen und Unsicherheiten“. Die Lücke im Klimaschutz bleibe wahrscheinlich größer als von der Regierung angenommen, die Minderungswirkung werde überschätzt.
  • beträgt die kumulierte Lücke bis 2030 im Gebäudebereich 35 Millionen Tonnen, beim Verkehr 117 bis 191 Millionen Tonnen. Die Maßnahmen „erfüllen damit nicht die Anforderungen an ein Sofortprogramm gemäß Klimaschutzgesetz“.
  • fehlen ein „zusammenhängendes, in sich schlüssiges und konsistentes Gesamtkonzept und ein übergreifender Maßnahmenrahmen“.

Das Versagen könnte 15 bis 30 Milliarden Euro kosten

Das Umweltbundesamt (UBA) hatte am selben Tag seinen Projektionsbericht 2023 vorgelegt. Auch er bestätigt, dass Deutschland seine Ziele laut Klimaschutzgesetz mit bisherigen Anstrengungen nicht erreichen werde. Bis 2030 würden mit den heutigen Maßnahmen 331 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalent zu viel ausgestoßen, mit weiteren Maßnahmen gelangten immer noch 194 Millionen Tonnen zu viel in die Atmosphäre. Mit bisherigen Maßnahmen würde das Minderungsziel des KSG von 65 Prozent in 2030 mit minus 63 Prozent verfehlt.

Nach ersten Schätzungen könnte die Zielverfehlung im Bereich der europäischen Klima-Anstrengungen für Deutschland auch teuer werden. Werden die Ziele verfehlt, wäre Deutschland gezwungen, für einen Teil der Emissionen unter dem „Effort-Sharing“-Kapitel Emissionslizenzen von anderen EU-Ländern zu kaufen. Geschätzte Kosten bis 2030 sind 15 bis 30 Milliarden Euro.

„Zielverfehlung verfassungsrechtlich bedenklich“

Diese angekündigte Zielverfehlung beim KSG könnte verfassungswidrig sein, befindet ein juristisches Gutachten, das in der vergangenen Woche von der Denkfabrik Agora Verkehrswende und Agora Energiewende veröffentlicht wurde. Demnach „entspricht das Klimaschutzprogramm aus mehreren Gründen nicht den rechtlichen Anforderungen“. Die darin angelegten „erheblichen Zielverfehlungen sind auch verfassungsrechtlich bedenklich“, so das Gutachten. Es wurde erstellt von der Kanzlei Günther, unter anderem von der bekannten Anwältin Roda Verheyen. Verheyen war an der Verfassungsklage beteiligt, aufgrund derer das Bundesverfassungsgericht 2021 seinen wegweisenden Beschluss zum Klimaschutz fasste.

Das vorliegende Gutachten findet im „Gesamtpaket“ der Regierung aus den Entwürfen für Klimaschutzgesetz, Klimaschutzprogramm und Projektionsdaten „erhebliche Mängel“, die „in der Gesamtschau auch verfassungsrechtlich problematisch sind“. Zwar sei der KSG-Entwurf für sich verfassungs- und EU-Rechtskonform, aber seine Vorgaben müssten eben auch umgesetzt werden, um das Klima und die künftigen Freiheitsrechte kommender Generationen zu schützen – und da gebe es „strukturelle Hürden“, die eine effektive Umsetzung erschwerten: zum Beispiel den Wegfall der Sektorverantwortung in der Novelle des KSG.

Durch die „Erfüllungslücke“ von etwa 200 Millionen Tonnen und die Unklarheit zu Daten und Maßnahmen wiederum sei der Klimaschutzplan „klar rechtswidrig“. Die Zielverfehlungen seien „verfassungsrechtlich bedenklich“, weil durch sie die Belastung von Klimaschutzmaßnahmen weiter in die Zukunft verlagert würden, was der Sicherung der „intertemporalen Freiheit“ wie vom Bundesverfassungsgericht gefordert widerspreche.

Ministerium: Viel erreicht, trotzdem Handlungsbedarf

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) wehrt sich auf Anfrage gegen diese Vorwürfe. Eine Sprecherin erklärt: „Mit dem KSP 2023 wird die Klimaschutzlücke, die sich aus vorherigen Legislaturperioden aufgestaut hat, von ca. 1.100 Millionen Tonnen auf ca. 200 Millionen Tonnen deutlich verkleinert. Das bedeutet, dass schon viel erreicht wurde, zugleich aber noch Handlungsbedarf besteht. Es ist selbstverständlich das gute Recht jeder Bürgerin und jedes Bürgers, rechtlich gegen die Klimaschutzpolitik der Regierung vorzugehen. Unsere Aufgabe ist es, diesen Klagen die Notwendigkeit zu entziehen.“

Umweltverbände dagegen sprechen von „Rechtsbruch“ der Regierung. „Die Klimapolitik der Bundesregierung verstößt gegen Recht und Gesetz“, sagt etwa Christoph Bals von Germanwatch. Auch die Gruppe „Letzte Generation“ moniert: Die „Regierung bricht weiter Klimaschutzgesetz“. Die Deutsche Umwelthilfe etwa, die bereits mehrere Klimaklagen erhoben hat, sieht im Bericht des Expertenrats eine willkommene Argumentationshilfe für ihre Prozesse.

Auch Felix Ekardt, Jurist und Leiter der Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik in Leipzig, sagte: „Bereits die aktuellen Klimaschutzziele im KSG sind verfassungswidrig und verletzen auch das Pariser Klima-Abkommen. Wenn die Regierung diese unzureichenden Ziele nun erneut deutlich verfehlt, ist das erst recht verfassungswidrig.“

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