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Kein Bargeld mehr

Geflüchteter über neue Bezahlkarte: „Hauptsache, die Diskussionen hören auf“

Verhindert eine blaue Social Card zum Bezahlen, dass Menschen nach Deutschland kommen? Ein junger Asylbewerber aus der Türkei sagt, welchen Vorteil er in der Karte sieht.

Ümran Tekin ist vor drei Monaten aus der Türkei nach Deutschland geflüchtet. Momentan lebt der Asylbewerber in einer Gemeinschaftsunterkunft im Ortenaukreis (Baden-Württemberg). Der 21-Jährige ist einer der ersten Geflüchteten, der vom Staat kein Bargeld mehr bekommt, sondern eine blaue Social Card im Visa-Style. Mit der kann er keine Überweisungen tätigen, sondern Dinge für seinen täglichen Bedarf kaufen. Das Geld dafür schreibt ihm der Landkreis monatlich gut.

Langfristig ist so eine Art von Bezahlkarte bundesweit geplant. Sie soll nicht nur den Verwaltungsaufwand in den Behörden reduzieren, sondern auch verhindern, dass Geflüchtete Geld an Familie oder Freunde im Heimatland überweisen. Ein „Meilenstein“ in den Bemühungen, die Anreize für irreguläre Migration zu senken, sagt Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP).

Eine Bezahlkarte, wie sie in Ortenau schon an Geflüchtete ausgegeben wurde (Symbolbild).

„Stört mich nicht“, sagt Tekin BuzzFeed News Deutschland, ein Portal von Ippen.Media, über diese Maßnahme. Für ihn sei es selbstverständlich, dass er Sozialleistungen nicht in die Türkei überweise. „Selbst wenn ich das könnte, würde ich es nicht tun“, sagt Tekin. Auch deswegen, weil es ja gerade so für sein Leben reiche.

„Es gibt Leute, die eher Geld aus der Heimat brauchen als etwas hinzuschicken“, sagt der 21-Jährige. Für Hobbys, für die er in der Türkei Geld hatte, reichen die Sozialleistungen ohnehin nicht. „Wir können nicht einfach so irgendwo hingehen und etwas unternehmen.“

Mehr zum Thema: Bayern geht bei der Bezahlkarte einen Sonderweg

Bezahlkarte für Geflüchtete gilt nur in ausgewählten Geschäften

Einmal schon hat der Ortenaukreis Tekin 460 Euro auf seine blaue Bezahlkarte überwiesen. Im Internet bestellen kann er damit nicht. Die Karte gilt nur in vier bis fünf ausgewählten Geschäften in seiner Ortschaft. Kein Problem, sagt Tekin. Dann gehe er eben in diesen Läden einkaufen.

Wir fragen Tekin, ob er jemanden kenne, der nur wegen der Sozialleistungen nach Deutschland gekommen sei. Der 21-Jährige verneint. Die Personen, die er kennengelernt habe, seien alle hier, um zu arbeiten – nicht um Sozialleistungen in die Heimat zu schicken.

Ümran Tekin ist vor drei Monaten nach Deutschland gekommen und testet als einer der ersten Geflüchteten die neue Bezahlkarte.

Mehr zum Thema: Deutschland braucht 1,5 Millionen Zuwanderer, findet die Wirtschaftsweise Spitzer

„Höhe der Sozialleistungen hat keinen nachweisbaren Effekt auf Migration“

Tim Müller vom Berliner Institut für Integrations- und Migrationsforschung der Humboldt-Universität bestätigt den Eindruck des 21-Jährigen: „Wenn ein Landrat sagt, er hat konkrete Fälle von Menschen, die Sozialleistungen ausnutzen, dann kann ich das nicht widerlegen. Aber anhand der Daten kann ich sagen: In der Masse existiert dieses Phänomen nicht“, sagt er BuzzFeed News Deutschland. „Die Höhe der Sozialleistungen hat keinen nachweisbaren Effekt auf Migration.“

In einer Studie haben er und sein Team sich angeschaut, warum Menschen in ein bestimmtes Land einwandern. Das Ergebnis: Die Größe des Landes, dessen Wirtschaftsleistung und soziale Kontakte haben einen nachweisbaren Effekt – nicht das ausgezahlte Bargeld. „Zu denken, die Leute hätten eine Vorstellung davon, wie hoch die jeweiligen Sozialleistungen sind, ist eine vollkommen übertriebene Erwartungshaltung.“

Was Rücküberweisungen anbelange, so spielten diese global betrachtet schon eine Rolle, gingen aber meistens von Menschen aus, die arbeiten. „Daran ist ja nichts verwerflich“, so Müller. Politikern wie Markus Söder, der mit der Bezahlkarte „Härte“ demonstrieren will, wirft er „Symbolpolitik“ vor. Damit würden sie nicht erreichen, dass weniger Leute einwandern. Stattdessen diffamierten sie die Geflüchteten, die bereits da seien. „Sozialleistungen gibt es schließlich nicht zum Spaß, sie sind dafür da, Existenzen zu sichern.“

Caritas fordert bei Bezahlkarten: Schluss mit „wirkungslosen Einschränkungen“

„Elektronische Zahlungen sind eigentlich eine Selbstverständlichkeit und es ist überfällig, sie auch Geflüchteten zu ermöglichen“, sagt Steffen Feldmann aus dem Vorstand des Deutschen Caritasverbands BuzzFeed News Deutschland. „Für die Kommunen kann die Auszahlung mit der Bezahlkarte unkomplizierter und weniger personalintensiv werden.“

„Leider gibt es aus unserer Sicht einen großen Haken: Die Bezahlkarte soll Migration steuern und enthält daher restriktive Elemente“, kritisiert Feldmann: „Die Erfahrung zeigt, dass weder die Modalitäten der Auszahlung noch die Leistungshöhe Auswirkungen auf das Fluchtgeschehen haben.“

Es sei „eine massive Beeinträchtigung der persönlichen Freiheit“, dass Geflüchtete die Karte nur in bestimmten Regionen oder Geschäften, nicht aber im Internet oder für Überweisungen an einen Anwalt einsetzen können und das Abheben von Bargeld begrenzt werden soll. „Wir rufen die Länder und Kommunen auf, die Vorzüge der Bezahlkarte zu nutzen – aber ohne wirkungslose und zweifelhafte Einschränkungen“, fordert Feldmann.

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Geflüchteter: „Vielleicht ist die Bezahlkarte sogar gut“

„Falls es wirklich Geflüchtete gibt, die nur wegen des Geldes hier sind, ist die Karte von Vorteil und lässt uns in besserem Licht dastehen“, sagt Tekin. „Vielleicht ist die Bezahlkarte sogar gut. Hauptsache, die Diskussionen hören auf“, sagt sein 25-jähriger Kumpel Hüseyin Tosun, der in derselben Unterkunft in Ortenau lebt.

Was sie sich von der deutschen Asylpolitik wünschen? „Dass Politiker mal zu uns in die Unterkunft kommen und sehen, mit welchen Schwierigkeiten wir es zu tun haben“, sagt Tosun. Vielleicht gebe es dann keine politischen Diskussionen mehr über Anreize für Geflüchtete, die angeblich nur wegen des Geldes nach Deutschland kommen.

Mehr zum Thema: So wird das Geld an Asylbewerber momentan ausbezahlt

Rubriklistenbild: © privat, Philipp von Ditfurth/dpa, Collage

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