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Foreign Policy

„Wer uns Nazis nennt, wird angezeigt“ – ein Blick in die neue Basis der AfD

Sonneberg ist Heimat eines aufkeimenden rechten Aufschwungs. Die Stadt zeichnet ein Bild von der AfD-Ideologie. Wie gefährlich ist sie?

  • Die AfD und ihre Anhängerschaft haben sich in den letzten Jahren von Euroskepsis und Corona-Leugnung zu rechtsextremen und ausgrenzenden Inhalten radikalisiert.
  • In der AfD-Hochburg Sonneberg werden soziale Probleme mit Patriotismus beantwortet.
  • Die AfD ist weiterhin attraktiv für viele Menschen und nimmt sogar an Beliebtheit zu, trotz Einstufung als „rechtsextremistisch“.
  • Dieser Artikel liegt erstmals in deutscher Sprache vor – zuerst veröffentlicht hatte ihn am 30. März 2024 das Magazin Foreign Policy.

Sonneberg – Zuerst wurden in wahrer deutscher Manier die Regeln festgelegt: kein Alkohol auf dem Gelände, Fahnenmasten mit einer Obergrenze von drei Metern, keine Proteste nach 20 Uhr. Dann folgte die Demonstration, bei der sich Hunderte auf dem Stadtplatz versammelten und Beleidigungen gegen die amtierende Regierung ausstießen, Witze auf Kosten von Flüchtlingen, der LGBTQ+-Gemeinschaft und der Medien machten und ein Meer von deutschen Flaggen schwenkten, unter denen sich auch ein paar russische befanden.

„Jeder, der es wagt, uns als Nazis zu bezeichnen, wird bei der Polizei angezeigt“, rief einer der Demonstranten von einer behelfsmäßigen Bühne vor dem Sonneberger Rathaus, einem weißen Herrenhaus aus der Zwischenkriegszeit. „Deutschland zuerst“, fuhr der Demonstrant fort und forderte die Menge auf, unter dem regnerischen, dunklen Himmel die Nationalhymne mitzusingen.

Von Corona-Protesten zu Regierungsstürzern – die AfD zeigt Flagge bei Demonstrationen

Um Punkt 20 Uhr löste sich die Menge schnell auf – aber sie wird nächsten Montag wiederkommen, wie jede Woche. Während der COVID-19-Pandemie protestierten sie gegen die Abriegelung. Jetzt fordern sie den Sturz der derzeitigen Regierungskoalition, und in den letzten Monaten hat sich die Zahl der Demonstranten vervielfacht. Viele von ihnen gehören der rechtsgerichteten Partei Alternative für Deutschland (AfD) an.

Die AfD-Spitze im Wandel der Zeit: von Bernd Lucke bis Alice Weidel

Die AfD liegt in den Umfragen zur Bundestagswahl 2025 an zweiter Stelle.
Die AfD liegt in den Umfragen zur Bundestagswahl 2025 an zweiter Stelle. Anders als jahrelang üblich, gab es bei ihrem Bundesparteitag im Januar 2025 in Riesa kaum große Streitthemen. Auch die Mitglieder des AfD-Bundesvorstands verbreiteten Harmonie (von links nach rechts): Carsten Hütter, Alice Weidel, Tino Chrupalla, Peter Boehringer und Heiko Scholz. In Riesa beschloss die AfD ihr Wahlprogramm.  © Sebastian Kahnert/dpa
Auf dem Parteitag wurde Parteichefin Alice Weidel zur Kanzlerkandidatin gekürt.
Im Mittelpunkt des Parteitags stand Alice Weidel, die die AfD mit einer schrillen Rede auf den Wahlkampf einschwor. Vor allem mit ihrer rigorosen Wortwahl schien sie den Nerv der Partei zu treffen. So forderte sie Rückführungen im großen Stil: „Wenn es dann Remigration heißen soll, dann heißt es eben Remigration.“ Zuvor hatte sie diesen Begriff vermieden.  © Jens Schlüter/AFP
AfD-Bundesparteitag in Riesa
Tatsächlich ist nach Riesa rhetorisch kein Unterschied mehr zwischen Weidel und den Rechtsextremen auszumachen. Immer wieder gelang es ihr, die düstere AfD-Seele mit ihrer scharfen Wortwahl zu massieren. So prägte sie auch den irren Begriff ,,Windmühlen der Schande“.  © Sebastian Kahnert/dpa
AfD Parteitag 2013 in Berlin
Wie aber kam es zum Aufstieg der AfD? Los ging alles am 6. Februar 2013, als 18 Menschen im hessischen Oberursel (Taunus) die Partei „Alternative für Deutschland“ gründeten. Der erste AfD-Parteitag fand bereits am 14. April 2013 statt (im Bild). Bei der Bundestagswahl im selben Jahr erzielte die neue Partei aus dem rechten Spektrum auf Anhieb 4,7 Prozent – das beste Ergebnis, das eine neu gegründete Partei jemals bei ihrer ersten Bundestagswahl erzielen konnte.  © imago
Landesparteitag der AfD am 11. Januar 2014 in Gießen
Nahezu von Anfang begleiten Gegendemonstrationen die AfD-Veranstaltungen - wie hier der Landesparteitag am 11. Januar 2014 in Gießen. Der rechtspopulistischen Partei werden immer wieder Demokratie- und Europafeindlichkeit vorgeworfen. © imago stock&people
Dr. Konrad Adam, Journalist und Mitgebründer der Alternative für Deutschland (AfD)
Als einer der Gründungsväter der AfD gilt Konrad Adam. Der 1942 in Wuppertal geborene Journalist arbeitete für die Tageszeitungen FAZ und Welt. Zunächst war er Gründungsmitglied der eurokritischen Wahlalternative 2013 und wurde noch im selben Jahr einer von drei Bundessprechern der neu gegründeten AfD. Wie viele andere war Adam ursprünglich CDU-Mitglied, ehe er – vermutlich aus Enttäuschung über die als linksliberal wahrgenommene Politik von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) – eine neue Heimat in der AfD fand. Zwei Jahre blieb Adam Bundessprecher, doch bereits im Dezember 2015 begann er, sich von der Partei zu distanzieren. 2020 kündigte er seinen Austritt aus der AfD an, der am 1. Januar 2021 in Kraft trat. © imago
Konrad Adam, Bernd Lucke und Alexander Gauland auf dem ersten Parteitag der AfD in Berlin.
Das bekannteste Gesicht der AfD-Gründungsphase gehört dem Mann mit erhobenen Armen: Bernd Lucke. Geboren 1962 in West-Berlin und aufgewachsen in Nordrhein-Westfalen, studierte Lucke Volkswirtschaftslehre und wurde später in Hamburg Professor. Mit 14 Jahren trat Lucke in die CDU ein und verließ die Union 33 Jahre später, weil er mit der Eurorettungspolitik nicht einverstanden war. Der Euro und die EU wurden zu den zentralen Kritikpunkten, die Lucke in den folgenden Jahren bezogen auf die Bundespolitik äußerte. Ergebnis dieser Kritik war zunächst die eurokritische Wahlalternative 2013, aus der am 14. April 2013 die AfD hervorging. © imago
rof. Dr. Bernd Lucke im Wahlkampf für die AfD
Bereits im September 2013 engagierte sich Prof. Dr. Bernd Lucke im Wahlkampf für die AfD, wie hier auf einer Veranstaltung in Magdeburg. © IMAGO/Zoonar.com/Axel Kammerer
Bernd Lucke als Vorsitzender der AfD auf einem Parteitag
Auch Bernd Luckes Zeit in der AfD war nur eine kurze. 2014 ging er noch als Spitzenkandidat der „Alternative für Deutschland“ in den Wahlkampf für die anstehende Europawahl. Bis 2019 war Lucke im Anschluss Mitglied im Europäischen Parlament. Doch bereits 2015 deutete sich an, dass Lucke im internen Machtkampf in der AfD den Kürzeren ziehen könnte. Führende Köpfe der AfD wie Björn Höcke gerieten in Konflikt mit dem Vorsitzenden. Lucke ging und trat 2015 aus der AfD aus. Er gründete die nächste Partei: die Allianz für Fortschritt und Aufbruch (ALFA). © imago
Olaf Henkel GER Berlin 20150112 Alternative für Deutschland Prof Hans Olaf Henkel Veranstaltun
Anfang 2014 wurde die AfD-Mitgliedschaft von Professor Hans-Olaf Henkel bekannt. Einen Namen machte sich Henkel als erfolgreicher Manager bei IBM. Später wechselte er auf die Verbandsebene und wurde Präsident des BDI (Bundesverband der Deutschen Industrie). 2014 zog er für die AfD ins Europaparlament ein. Für ein Jahr war Henkel sogar stellvertretender Bundessprecher der „Alternative für Deutschland“. 2015 trat Hans-Olaf Henkel wieder aus der AfD aus. © imago
Hans-Olaf Henkel, hier mit Ehefrau Bettina und ihrer Zwillingsschwester Almut
Seinen Bruch mit der AfD begründete Hans-Olaf Henkel, hier mit Ehefrau Bettina und ihrer Zwillingsschwester Almut beim Bundespresseball 2019, mit dem Rechtsruck der Partei. Gegenüber dem WDR bezeichnete Henkel die AfD im Jahr 2015 als „eine Art NPD-light, vielleicht sogar identisch mit der NPD“. Sein Engagement bei der AfD sieht Henkel mittlerweile offenbar kritisch: „Wir haben ein Monster erschaffen.“ © VISTAPRESS / G. Chlebarov via www.imago-images.de
Deutschland Essen Grugahalle 4 Ausserordentlicher AfD Parteitag Bernd Lucke nach der Wahl von F
Auf Bernd Lucke folgte an der Parteispitze der AfD Frauke Petry. Die studierte Chemikerin wurde 1975 in Dresden geboren. 2013 war sie bereits neben Lucke eine der drei Parteisprecherinnen der AfD. Außerdem wurde sie im selben Jahr zur Vorsitzenden der AfD Sachsen gewählt.  © imago
Frauke Petry AfD
Im Juli 2015 schließlich kam es zum internen Machtkampf in der AfD, den Petry für sich entscheiden konnte. Doch schon zwei Jahre später war auch für sie wieder Schluss. Ende September 2017 trat sie aus der AfD aus und gründete wie Lucke ihre eigene kleine Partei: Petry nannte sie „Die blaue Partei“. © Michael Kappeler/dpa
Prof. Dr. Jörg Meuthen (M.), Bundessprecher der AfD, Deutschland, Berlin, Bundespressekonferenz, Thema: AfD - Zu den Bu
Ein ähnliches Schicksal wie Petry und Lucke ereilte auch Jörg Meuthen (Mitte). Der 1961 in Essen geborene studierte Volkswirt wurde 2015 zu einem der zwei Bundessprecher der AfD gewählt. 2019 gelang ihm der Sieg bei der Wahl zum ersten Bundesvorsitzenden der AfD. Doch schon 2021 erklärte Meuthen, nicht erneut für den Vorsitz kandidieren zu wollen. 2022 folgte dann der endgültige Austritt aus der Partei. Der ließ sich auf seine Niederlage im Machtkampf mit Björn Höcke und den rechtsextremen Kräften innerhalb der AfD zurückführen. © M. Popow/Imago
Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (PEGIDA)
Auftrieb erhielt die AfD auch durch ihre Nähe zur Pegida-Bewegung. Die „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (Pegida) demonstrierten ab 2014 in Dresden und später in weiteren Städten. Immer wieder schlossen sich AfD-Leute den Demonstrationen an, darunter 2018 in Chemnitz auch Björn Höcke. © Ralf Hirschberger/dpa
Beatrix von Storch, geborene Herzogin von Oldenburg
Auch Adel findet sich unter den Führungspersönlichkeiten der AfD: Beatrix von Storch, geborene Herzogin von Oldenburg, war einst bei der FDP und gehörte 2013 zu den Gründungsmitgliedern der AfD. Sie war von Dezember 2019 bis Juni 2022 stellvertretende Bundessprecherin ihrer Partei. Seit Oktober 2017 ist sie eine der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Bundestagsfraktion. © Moritz Frankenberg/dpa
Doris Fürstin von Sayn-Wittgenstein im Sitzungssaal des schleswig-holsteinischen Landesverfassungsgerichts.
Auch Doris Fürstin von Sayn-Wittgenstein wurde aus der AfD ausgeschlossen. Sayn-Wittgenstein soll für einen rechtsextremistischen Verein geworben haben, der auf der sogenannten Unvereinbarkeitsliste der AfD stand. Doch die 1954 geborene Rechtsanwältin wehrte sich erfolgreich gegen den Parteiausschluss, den ein Bundesschiedsgericht 2019 beschlossen hat. Im April 2021 urteilte das Landgericht Berlin, dass der Ausschluss aufgrund formaler Fehler unwirksam sei. Damit war sie wieder Parteimitglied. Im Februar 2024 zog der AfD-Bundesvorstand seine Berufung beim Berliner Kammergericht zurück, wodurch das Urteil rechtskräftig geworden ist.  © Marcus Brandt/dpa
Alexander Gauland, heute AfD-Mitglied, früher Herausgeber der Märkischen Allgemeinen Zeitung
Ein Urgestein der AfD, das all die personellen Wechsel überstanden hat und immer noch da ist: Alexander Gauland. Geboren 1941 in Chemnitz, war Gauland vor seiner aktiven politischen Karriere Herausgeber der Märkischen Allgemeinen Zeitung (MAZ). CDU-Mitglied wurde der gelernte Jurist bereits 1973, ab 1987 übernahm er verschiedene politische Ämter, vor allem für die Union in Hessen. CDU-Mitglied blieb Gauland bis 2013, ehe er die AfD mitgründete. Im Jahr 2017 wurde Gauland Bundessprecher der AfD (bis 2019). Von 2017 bis 2021 war er neben Alice Weidel einer von zwei Fraktionsvorsitzenden der Bundestagsfraktion. 2021 gab er dieses Amt wieder ab, blieb der Partei aber als Ehrenvorsitzender erhalten. © imago
AfD-Chefin Alice Weidel
Alice Weidels Aufstieg in der AfD begann mit ihrem Parteieintritt im Jahr 2013. Zwei Jahre später wurde sie bereits in den Bundesvorstand gewählt. 2017 ernannte sie die Partei zur Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl. Im selben Jahr wurde Weidel neben Alexander Gauland Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion, die sie vier Jahre lang führte. © Sebastian Kahnert/dpa
Alice Weidel wohnt mit ihrer Partnerin Sarah Bossard
Alice Weidel wohnt mit ihrer Partnerin Sarah Bossard in einer eingetragenen Partnerschaft zusammen. Das Paar hat zwei Söhne. (Archivbild) © Michael Buholzer/dpa
Tino Chrupalla bei der AfD
Neben Alice Weidel machte in den vergangenen Jahren vor allem Tino Chrupalla bei der AfD von sich reden. Einst Mitglied der Jungen Union und nach eigenen Angaben langjähriger CDU-Wähler, trat Chrupalla 2015 in die AfD ein. 2017 zog er für die Rechtspopulisten in den Bundestag ein. Im selben Jahr wurde er zu einem von fünf stellvertretenden Vorsitzenden der AfD-Bundestagsfraktion gewählt. © imago
Tino Chrupalla neben Jörg Meuthen
Im Jahr 2019 wurde Tino Chrupalla neben Jörg Meuthen zum Bundesvorsitzenden der AfD.  © Julian Stratenschulte
Alice Weidel und Tino Chrupalla
In den Wahlkampf für die Bundestagswahl 2021 zog die AfD mit einer Doppelspitze, bestehend aus Alice Weidel und Tino Chrupalla. Beide stehen seitdem als Bundessprecherin und Bundessprecher an der Spitze der Partei.  © Kay Nietfeld/dpa
Björn Höcke war zwar nie Vorsitzender der AfD,
Björn Höcke war zwar nie Vorsitzender der AfD, gilt aber dennoch als einer der einflussreichsten Personen innerhalb der rechtspopulistischen Partei. Wie Chrupalla gibt auch er an, einst überzeugter Anhänger der CDU und Mitglied der Jungen Union gewesen zu sein. 2013 trat er der AfD bei. © Christoph Soeder/dpa
Björn Höcke den AfD-Landesverband
Ebenfalls 2013 gründete Björn Höcke den AfD-Landesverband in Thüringen. Kurze Zeit später kam es zum Streit mit dem damaligen Bundesvorstand der AfD, der 2017 sogar den Parteiausschluss Höckes beantragte. Den Machtkampf mit der alten Garde der AfD gewann aber Höcke. Er ist weiterhin Parteimitglied, während Widersacher wie Bernd Lucke, Frauke Petry oder Jörg Meuthen die Partei verlassen haben. © Sebastian Kahnert/dpa
André Poggenburg in Leipzig
Anders erging es da einem einstigen Verbündeten von Björn Höcke: André Poggenburg. Gemeinsam mit Höcke hatte der ehemalige Vorsitzende der AfD Sachsen-Anhalt 2015 ein Positionspapier des „AfD-Flügels“ verfasst und damit wie Höcke den Ärger der Parteiführung auf sich gezogen. 2019 plante der AfD-Bundesvorstand, Poggenburg für zwei Jahre von allen Parteiämtern auszuschließen. Dazu kam es nicht, denn Poggenburg trat kurz darauf aus der AfD aus und gründete in alter Tradition ehemaliger AfD-Politiker eine eigene Partei unter dem Namen „Aufbruch deutscher Patrioten – Mitteldeutschland“. Inzwischen ist er parteilos. © Sebastian Willnow/dpa
AfD-Parteitag Riesa - Proteste
Mit dem Aufstieg der AfD zur bundesweiten Größe und dem Einzug in zahlreiche Landesparlamente sowie den Deutschen Bundestag mehrte sich auch der Protest gegen die Rechtspopulisten. Der AfD-Bundesparteitag in Riesa im Januar 2025 wurde von zahlreichen Demonstrationen begleitet. © Daniel Wagner/dpa
AfD-Bundesparteitag in Riesa mit Alice Weidel
Die Proteste hielten die Delegierten auf dem AfD-Bundesparteitag aber nicht davon ab, Alice Weidel zur Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl 2025 zu ernennen. Die AfD stellt damit erstmals in ihrer Geschichte eine eigene Kanzlerkandidatin. © Sebastian Kahnert/dpa

Und obwohl die Mitglieder sagen, dass sie das, wofür Nazi-Deutschland stand, entschieden ablehnen, steht ein regionaler Vorsitzender der Partei, Björn Höcke, vor Gericht, weil er eine Rede im Jahr 2021 mit dem Satz „Alles für Deutschland“ abschloss. Ein Slogan, der von den Nazis häufig verwendet wurde. (Nach deutschem Recht ist die Verwendung von Sprache, Propaganda und Symbolik, die mit der Nazipartei und anderen terroristischen Gruppen in Verbindung gebracht werden, verboten).

Im Landkreis Sonneberg, in dem 56.000 Menschen leben, hat die AfD ihren bisher größten Erfolg gefeiert: Letztes Jahr wurde Robert Sesselmann, 51, in einer Stichwahl mit 52,8 Prozent der Stimmen zum Landrat gewählt. Damit war Sonneberg der erste Landkreis in Deutschland, in dem seit der Nazizeit ein rechtsextremer Kandidat gewählt wurde. Der Thüringer AfD-Landesverband, in dem Sonneberg liegt, hat jedoch bereits die Legitimität staatlicher Institutionen infrage gestellt und behauptet, die Bundesrepublik Deutschland sei kein souveräner Staat, sondern werde von externen Mächten gesteuert.

„Stresstest für Deutschland“: Thüringer AfD bekommt Zulauf trotz rechtsextremistischer Gesinnung

Der Thüringer Landesverband der AfD wurde vom Thüringer Verfassungsschutz juristisch als „rechtsextremistisch“ eingestuft, und das Bundesamt entscheidet nun, ob die Partei auf Bundesebene als Verdachtsfall des Rechtsextremismus eingestuft werden kann.

Die Frage ist relevant, da die AfD nicht nur in Thüringen, sondern bundesweit an Zulauf gewinnt. Dieser Trend hat sich um die Zeit der letzten Bundestagswahl 2021 verstärkt. Bundesweit ist die AfD auf 22 Prozent der Wählerstimmen angewachsen, gegenüber 10,4 Prozent im Jahr 2021. In drei östlichen Bundesländern – Thüringen, Brandenburg und Sachsen – wird in diesem Herbst gewählt, und ein Sieg der AfD scheint wahrscheinlich, da sie in allen drei Bundesländern bei rund 30 Prozent liegt.

„Dies ist ein Stresstest für Deutschland, und 2024 ist ein entscheidendes Jahr“, sagte Olaf Sundermeyer, Redakteur beim Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) und langjähriger Experte für Rechtsextremismus in Deutschland. Seit der Gründung der AfD im Jahr 2013 „hat sich die Partei kontinuierlich radikalisiert“, so Sundermeyer.

Von Euroskepsis zu Nationalismus und Populismus: Die Ideologie der AfD im Zeitverlauf

Ursprünglich als euroskeptische Partei gestartet, die vor allem den Umgang der Europäischen Union mit der Eurokrise kritisierte, hat sich die Partei - und ihre Führung - kontinuierlich in Richtung nationalistischer und populistischer Positionen entwickelt, insbesondere seit 2015, als die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel rund eine Million Flüchtlinge im Land willkommen hieß.

Das Erbe und die Schande des Nationalsozialismus beeinflussen weiterhin die Politik des Landes, und bis zum Aufstieg der AfD lehnte die deutsche Gesellschaft rechtsextreme Ideologien entschieden ab. Doch die wirtschaftlichen Auswirkungen der Finanzkrise von 2008 und der Flüchtlingskrise von 2015 haben – zumindest teilweise – zu einer veränderten öffentlichen Wahrnehmung geführt.

„Die AfD hat es erfolgreich geschafft, die Wahrnehmung des Rechtsextremismus zu verändern, ihn von seinem historisch belasteten Stigma des Nationalsozialismus zu befreien und ihn damit tatsächlich gesellschaftsfähig zu machen“, sagte Sundermeyer gegenüber Foreign Policy. Genau das sei in Sonneberg geschehen.

Die abgelegene Waldstadt Sonneberg als AfD-Metropole – abgehängt und frustriert?

Das neue Kernland der AfD, ein abgelegener Teil des ländlichen Raums, war bis zur Wiedervereinigung 1990 Teil der kommunistischen Deutschen Demokratischen Republik. Umgeben von den Hügeln des Thüringer Waldes, stammen Sonnebergs kopfsteingepflasterte Hauptstraße und die stattlichen Häuser aus der Gründerzeit vor dem Ersten Weltkrieg. Die nächstgelegene Autobahn ist etwa eine halbe Autostunde entfernt.

Foreign Policy Logo

Seit der Wiedervereinigung sind viele Menschen in den Westen gezogen, sodass viele Häuser leer stehen. Die Anwohner berichten, dass die jungen Leute hier mit Drogenmissbrauch zu kämpfen haben, dass es für sie nur wenige Orte gibt, an denen sie sich aufhalten können. Und dass die öffentlichen Verkehrsmittel die weiter entfernten Dörfer des Bezirks nicht angemessen miteinander verbinden, was den Zugang zu Bildungs- und Arbeitsmöglichkeiten erschwert.

Der Osten des Landes hat seit der Wiedervereinigung in Bezug auf die wirtschaftlichen Möglichkeiten gegenüber dem ehemaligen Westdeutschland aufgeholt, aber in Sonneberg – und im gesamten ehemaligen Ostdeutschland – fühlen sich viele Menschen weiterhin akut benachteiligt.

Erst Sonneberg, dann Deutschland aufbauen: Patriotismus statt Klassenfrage bei Arbeitern

Eine Gruppe junger Männer, die nach der Demonstration noch verweilte, wiederholte diese Klagen, während sie Marlboros rauchten und Trillerpfeifen und Fahnen einpackten. Sie hätten sich für praktische Berufe wie Bau-, Klempner- und Dachdeckerarbeiten entschieden, erklärte einer, um „Sonneberg und Deutschland insgesamt aufzubauen“.

Die Männer, die in ihren Firmenuniformen – grauen Overalls und Arbeitshosen – an der Demonstration teilnahmen, zögerten zunächst, mit der Lügenpresse, wie sie es nannten, zu sprechen. „Keine Namen, bitte“, baten sie höflich, nachdem sie sich zum Gespräch bereit erklärt hatten. („Lügenpresse“, ein von den Nazis verwendeter Begriff, ist in rechten Kreisen in Deutschland wieder aufgetaucht, ebenso wie bei Verbündeten des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump.)

„Die Leute nennen uns ‚Ratten‘, nur weil wir die AfD unterstützen“, sagte einer der Männer. „Hier gibt es keine Redefreiheit, keine Gedankenfreiheit. Unser Land wird in Kriege verwickelt, an denen wir nicht teilhaben wollen. Die Regierung manipuliert die Presse, unsere deutsche Kultur und unsere Traditionen verschwinden durch die Masseneinwanderung – die Lebensmittel- und Energiepreise sind in die Höhe geschossen. Es ist schlimmer als zu Zeiten der Deutschen Demokratischen Republik, und wir brauchen dringend eine Veränderung – wir brauchen eine Alternative.“

In Sonneberg amtiert seit 2023 ein AfDler als Landrat.

Er machte eine Pause, um einen langen Zug an seiner Zigarette zu nehmen, und fügte dann hinzu: „Deutschland ist zuerst für die Deutschen da – wir können anderen nicht helfen, wenn wir uns nicht selbst helfen.“ „Es besteht die Möglichkeit, dass die Partei zu weit nach rechts abdriftet“, sagte er, „und das wollen wir sicher nicht. Wir wollen keine Rückkehr der Nazi-Zeit, aber wir brauchen einen Wandel“.

Rechtsextrem ohne Scham – Rassismus, Ethnopluralismus und Religion im Wahlprogramm der AfD

Das politische Programm der Partei ist unverblümt rechtsextrem. So vertritt die AfD in Bezug auf die Einwanderung die Auffassung, dass „die Ideologie des Multikulturalismus eine ernsthafte Bedrohung für den Frieden und den Fortbestand der Nation als kulturelle Einheit darstellt“. Die Partei setzt sich für eine „deutsche Leitkultur“ ein, die auf den Werten des Christentums basiert und nicht auf Multikulturalismus. Afrika, so heißt es auf der Website der Partei, sei ein „Haus der Armut“, und die Migration von diesem Kontinent müsse begrenzt werden.

Bei einem verdeckten Treffen im November letzten Jahres, das vom unabhängigen deutschen Enthüllungsmagazin Correctiv aufgedeckt wurde, diskutierten AfD-Politiker zusammen mit Neonazis und mehreren wohlhabenden Geschäftsinhabern über die „Remigration“ von Millionen von Menschen – darunter auch deutsche Staatsbürger – auf der Grundlage rassischer und religiöser Kriterien.

Die Gruppe junger Männer in Sonneberg, die mit Foreign Policy sprach, sprach ebenfalls über die Notwendigkeit der „Remigration“ von Einwanderern, und einige hatten dies sogar auf Schilder geschrieben. Nach der Kundgebung gingen sie jedoch zum Abendessen in das einzige Restaurant, das noch geöffnet hatte: eine Dönerbude, die einem irakischen Kurden gehört. Ihr Kellner war ein Syrer, der vor drei Jahren nach Deutschland gekommen war.

Mehr als ein Viertel der Deutschen von AfD-Programm betroffen – AfD-Gesinnung im Alltag versteckt

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes haben mindestens 28,7 Prozent der deutschen Bevölkerung – mehr als jeder Vierte – einen Migrationshintergrund, d. h. sie sind selbst nach Deutschland eingewandert oder wurden in Familien mit Migrationsgeschichte geboren. Die Zuwanderung nimmt zu: 2015 kamen 2,1 Millionen Menschen nach Deutschland, im Jahr 2022 sollen es 2,6 Millionen sein. Die deutsche Regierungskoalition hat erklärt, dass sie jährlich 400.000 qualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland anwerben will, um dem Arbeitskräftemangel und dem demografischen Ungleichgewicht entgegenzuwirken.

Der Wunsch nach einer starken Führung nimmt auch in Deutschland zu, da Russlands Krieg in der Ukraine anhält. Mehrere Mitglieder der AfD haben eine Trennung von der Nato und sogar der EU gefordert; viele haben sich zumindest rhetorisch an Russland gewandt und argumentiert, dass Deutschland mit seinen Nachbarn zusammenarbeiten müsse. Sundermeyer sagte gegenüber Foreign Policy: „Die AfD ist zutiefst antiamerikanisch, aber prorussisch; anti-Nato und -EU, aber für die Hinwendung zu alternativen Regierungsstrukturen wie dem Autoritarismus.“

Unterdessen bezeichnet die deutsche Innenministerin Nancy Faeser den Rechtsextremismus immer wieder als die „größte extremistische Bedrohung für die deutsche Demokratie“.

Doch für all die Sonneberger, die für den AfD-Kandidaten Sesselmann gestimmt haben – der auf Interviewanfragen von Foreign Policy nicht reagierte – gibt es fast ebenso viele Menschen, die das nicht getan haben. Und wenn es nicht gerade bei den wöchentlichen Montagsdemonstrationen geschieht, zeigen die Menschen ihre politische Meinung normalerweise nicht offen. Am Tag nach der wöchentlichen Demonstration drehten sich die Gespräche an einem Bratwurststand in der Mittagspause um die Arbeit, das Wetter, die gestiegenen Lebensmittel- und Energiepreise und sogar um die deutsche Wiedervereinigung – „früher war alles besser“, waren sich mehrere Leute einig.

„In Sonneberg haben viele aus Trotz AfD gewählt, andere interessieren sich nicht für Politik, haben aber trotzdem AfD gewählt“, sagte Regina Müller, eine 61-jährige Grünen-Wählerin, die einen mit Antikriegsslogans geschmückten Bioladen besitzt. Aber, so fügte sie hinzu, „was viele hier nicht sehen, ist, dass [die AfD] Wölfe im Schafspelz sind.“

Zur Autorin

Stefanie Glinski ist Journalistin und berichtet über Konflikte und Krisen mit Schwerpunkt auf Afghanistan und dem Nahen Osten. Twitter (X): @stephglinski

Wir testen zurzeit maschinelle Übersetzungen. Dieser Artikel wurde aus dem Englischen automatisiert ins Deutsche übersetzt.

Dieser Artikel war zuerst am 30. März 2024 in englischer Sprache im Magazin „ForeignPolicy.com“ erschienen – im Zuge einer Kooperation steht er nun in Übersetzung auch den Lesern der IPPEN.MEDIA-Portale zur Verfügung.

Rubriklistenbild: © IMAGO / Funke Foto Services / Sascha Fromm

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