Analyse
Der lange Arm von China: So werden Dissidenten in Deutschland von chinesischen Behörden bedroht
Chinesische Aktivisten berichten, dass sie in Deutschland überwacht und unter Druck gesetzt werden. Die Beteiligung chinesischer Behörden gilt als sicher.
Im Jahr 2010 floh Su Yutong aus China nach Deutschland. In ihrer Heimat war die Aktivistin, Journalistin und Bloggerin zur Zielscheibe der Behörden geworden, nachdem sie die Tagebücher des ehemaligen Ministerpräsidenten Li Peng in Umlauf gebracht hatte. Li Peng war maßgeblich am Tian‘anmen-Massaker 1989 beteiligt.
In Deutschland fühlte Su sich ursprünglich sicher. Inzwischen sieht sie sich auch hier bedroht und unter Druck gesetzt. Sie prangert von Deutschland aus Menschenrechtsverletzungen durch den chinesischen Staat an, zum Beispiel über das US-Medium Radio Free Asia. Regelmäßig nimmt sie an Demonstrationen teil, etwa vor der chinesischen Botschaft in Berlin, und zeigt dabei als eine der wenigen Aktivistinnen chinesischer Herkunft ihr Gesicht.
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Diese Analyse liegt IPPEN.MEDIA im Zuge einer Kooperation mit dem China.Table Professional Briefing vor – zuerst veröffentlicht hatte sie China.Table am 16. August 2023.
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Drohanrufe und Nachrichten via Whatsapp
Seit Jahren erhält Su Drohanrufe und Nachrichten via Whatsapp und Telegram. In den vergangenen zwei Jahren habe die Bedrohung jedoch eine neue Qualität erreicht. Fremde Männer klingelten an ihrer Tür. Jemand hatte Fotos von ihr auf Sex-Dating-Webseiten hochgeladen und mitsamt ihrer Adresse veröffentlicht.
Es gab Hotelbuchungen in Sus Namen, die dann über anonyme Hinweise bei der Polizei mit Bombendrohungen in Verbindung gebracht wurden, ähnlich jenen, wie sie zuletzt die niederländische Journalistin und ehemalige China-Korrespondentin Marije Vlaskamp öffentlich gemacht hatte. Es seien Zermürbungstaktiken, darauf ausgerichtet, ihre psychische Gesundheit zu zerstören, sagt Su.
„Sie wollen mein Sozialleben zerstören“
„Das Ziel dieser Leute ist, mich ängstlich und nervös zu machen, und mein Sozialleben zu zerstören. Ich habe mir aber gesagt, dass ich ihnen nicht dabei helfen darf, dieses Ziel zu erreichen.“ Sus Strategie ist daher die Flucht nach vorn. Auf ihren Social-Media-Kanälen macht sie die Belästigungen und Bedrohungen öffentlich. Sie spricht mit Medien und kontaktiert Polizei und Behörden, so oft es geht. „Ich bewahre die Ruhe, das zeigt ihnen, dass ich keine Angst habe.“
Das Gefühl, in Gefahr zu sein, begleitet sie dennoch ständig. Nachdem immer wieder Männer an ihrer Wohnungstür in Berlin aufgetaucht waren, riet ihr das eingeschaltete LKA, umzuziehen. Su glaubt, dass die chinesische Regierung und die chinesische Botschaft in Deutschland aktiv daran beteiligt waren, ihre Adresse auszuspionieren, und dass sie Menschen dafür bezahlen, sie unter Druck zu setzen.
Buchungen in Hotels unter ihrem Namen in Städten wie Houston, Los Angeles und Istanbul seien teilweise für viel Geld bezahlt worden. Auch deshalb glaubt Su nicht, dass einzelne chinesische Patrioten, sogenannte Little Pinks 小粉红, dahinterstecken, die ihr als „Verräterin Chinas“ einen Denkzettel verpassen wollen. Dabei verweist sie auch auf die jüngst bekanntgewordenen Fälle, in denen Chinas Behörden über Polizeistationen im Ausland gezielt Dissidenten verfolgt haben.
Regelmäßig Besuch von Behörden
Auf Demonstrationen tauchten zudem immer wieder chinesisch sprechende Menschen auf, die sie und andere Teilnehmer unverhohlen filmten. Andere Demonstranten wie der in Aachen studierende Tian Ruichen bestätigen das: „Gerade in einer kleinen Stadt wie Aachen können die Teilnehmer leicht identifiziert werden, selbst wenn sie Masken und Sonnenbrillen tragen.“
Die Gefahr bestehe jedoch nicht nur in einer direkten Überwachung vor Ort. Tian glaubt, dass die Behörden auch Fotos von Social-Media-Kanälen wie Wechat auswerten. „Diese Bilder können von der chinesischen Internetüberwachung gesammelt werden, um die Teilnehmer zu identifizieren und die Proteste zu überwachen.“
„Verleumdung und Verunglimpfung Chinas“
Eine übliche Vorgehensweise ist Tian und Su zufolge, zusätzlich Verwandte von Demonstranten und Aktivisten zu Hause in China mit Anrufen und persönlichen Besuchen unter Druck zu setzen. Besonders zu Jahrestagen des Tian‘anmen-Massakers oder politischen Treffen wie dem jährlichen Volkgskongress erhalten ihre Eltern, aber auch ihr Bruder regelmäßig Besuch von den Behörden, sagt Su. In diesem Zusammenhang werde sie dann als „Anti-China-Agentin“ gebrandmarkt, die man gemeinsam von ihren Aktivitäten im Ausland abbringen müsse. Andernfalls drohen ernste Konsequenzen. „Früher hatte ich mehr Kontakt zu meiner Familie, aber es wird immer weniger. Ich möchte nicht noch mehr Druck auf sie ausüben“, sagt Su.
Die chinesische Botschaft in Berlin erklärte auf Anfrage deutscher Medien diesen Monat, die Berichte über Repressalien gegenüber Chinesen in Deutschland seien unwahr. „Die Vorwürfe von denjenigen, die behaupteten, dass sie von China belästigt, bedroht oder durch Geldangebot zum Schweigen gebracht wurden, sind reine Erfindung und dienen nur der Verleumdung und Verunglimpfung Chinas“, zitieren SZ und Tagesspiegel aus einer Mail der Botschaft.
Die Polizei fühlt sich nicht zuständig
Die Zeitungen berichteten weiter, dass sich in solchen Fällen weder die Polizei noch die Nachrichtendienste richtig zuständig fühlen. Denn es handelt sich um grenzüberschreitende Unterdrückung. „Fälle wie meiner werden von der Polizei nur als gewöhnliche Drohungen und Belästigungen angesehen. Ich möchte das deutsche Parlament und die Regierung deshalb auffordern, einen Gesetzentwurf einzubringen, nach dem chinesische Agenten und deren Spionage gestoppt und bestraft werden können“, sagt Su Yutong.
Andernfalls werde Peking noch mehr Tür und Tor geöffnet, um seinen Einfluss kritiklos auszuweiten. Schon jetzt spüre man Chinas langen Arm in deutsch-chinesischen Freundschaftsvereinen oder in den Lobeshymnen „nützlicher Idioten“ in den Medien, dem Universitätsumfeld und der Geschäftswelt. „Diese Menschen sind ausschließlich an Chinas Wirtschaft interessiert und lassen demokratische Werte wie Meinungsfreiheit und Menschenrechte unter den Tisch fallen“, glaubt Su. „Eines Tages werden die demokratischen Länder den Preis dafür zahlen.“