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Experten warnen

Hunderttausende Tote und eine neue Virusvariante: Das droht nach dem Ende von Chinas Null-Covid-Politik

China hat seine Corona-Maßnahmen überraschend gelockert. Experten befürchten bis zu einer Million Todesfälle – und einen „Sprung“ in der Evolution des Coronavirus.

München/Peking – Unter die Freude über das Ende der Null-Covid-Politik mischt sich in China zunehmend auch Sorge. „Ich habe bereits Medikamente gekauft und warte jetzt darauf, dass das Fieber beginnt“, schreibt ein Nutzer in Chinas sozialem Netzwerk Weibo. „Trefft alle Vorsichtsmaßnahmen!“, warnt ein anderer. Und ein dritter findet es „unwissenschaftlich“, dass sich Menschen, die sich mit dem Coronavirus infiziert haben, ab sofort zu Hause isolieren dürfen: „In Peking leben die Menschen eng beieinander, da ist eine Ansteckung wahrscheinlich!“ Seine Forderung: „Infizierte müssen ins Krankenhaus!“

Am Mittwoch hatte Chinas Regierung eine Kehrtwende in ihrer Corona-Politik verkündet. Nach fast drei Jahren, in denen das Land versucht hatte, mit Lockdowns, Massentests und Zwangsquarantäne jeden Virusausbruch im Keim zu ersticken, will man nun offenbar mit dem Virus leben. Neben der Möglichkeit für Menschen ohne Symptome oder mit leichten Krankheitsverläufen sowie für Kontaktpersonen, sich in den eigenen vier Wänden in Isolation zu begeben, wurden unter anderem auch die Pflicht zu häufigen PCR-Tests und die ständige Kontrolle über die Corona-App zum Einscannen gelockert. Zudem sollen Lockdowns nur noch gezielt über einzelne Gebäude, Stockwerke oder Haushalte verhängt und nicht mehr „willkürlich“ auf ganze Stadtbezirke oder Straßenzüge ausgeweitet werden.

Im März kam es in Hongkong zu vielen Infektionen und Todesfällen. Dem Rest Chinas könnte nun ähnliches drohen.

Ende von Chinas Null-Covid-Politik: Fachleute warnen vor rasantem Ansteigen der Infektionen.

Chinas Regierung verkündete die Lockerungen nur wenige Tage, nachdem massive Proteste gegen die Corona-Maßnahmen in Dutzenden Städten im ganzen Land ausgebrochen waren. Gleichzeitig verzeichnet das Land seit Wochen die höchsten Fallzahlen seit Beginn der Pandemie vor knapp drei Jahren. Laut der Nationalen Gesundheitskommission wurden am Donnerstag rund 21.000 Neuinfektionen gemeldet. Die wirkliche Zahl dürfte allerdings deutlich höher liegen. Seit Wegfallen der Testpflicht in vielen Bereichen sind seit Kurzem wieder Selbsttests erlaubt. Bewohner der Hauptstadt Peking berichten von Infektionen im Bekanntenkreis, die nach Selbsttest entdeckt worden seien, aber nicht an die Behörden gemeldet wurden. Noch immer ist die Furcht, in Zwangsquarantäne geschickt zu werden, offenbar groß.

Hinzu kommt nun wachsende Angst vor einer Infektion. Gefährdet sind vor allem ältere Menschen: Nur rund zwei Drittel der über 80-Jährigen haben bislang zwei Impfungen erhalten. Den Booster, der einen vollen Impfschutz mit den in China eingesetzten Totimpfstoffen bietet, bekamen sogar nur rund 40 Prozent. Viele Impfungen sind lange her. Zudem konnte sich in China aufgrund der strengen Schutzmaßnahmen der vergangenen Jahre keine Herdenimmunität entwickeln. Laut offiziellen Zahlen gab es in China seit Ausbruch der Pandemie nur rund 5.200 Todesfälle im Zusammenhang mit dem Virus und lediglich 1,8 Millionen Infektionen – bei einer Bevölkerung von 1,4 Milliarden Menschen.

Chinas Staats- und Parteichef: So stieg Xi Jinping zum mächtigsten Mann der Welt auf

Chinas heutiger Staatschef Xi Jinping (2. von links) mit anderen Jugendlichen im Mao-Anzug
Xi Jinping wurde am 15. Juni 1953 in Peking geboren. Als Sohn eines Vize-Ministerpräsidenten wuchs er sehr privilegiert auf. Doch in der Kulturrevolution wurde er wie alle Jugendlichen zur Landarbeit aufs Dorf geschickt. Das Foto zeigt ihn (zweiter von links) 1973 mit anderen jungen Männer in Yanchuan in der nordwestlichen Provinz Shaanxi. Dort soll Xi zeitweise wie die Einheimischen in einer Wohnhöhle gelebt haben. © imago stock&people
Xi Jinping steht vor der Golden Gate Bridge in San Francisco
Xi Jinping 1985 vor der Golden Gate Bridge in San Francisco: Damals war er als junger Parteichef des Landkreises Zhengding in der nordchinesischen Agrarprovinz Hebei Delegationsleiter einer landwirtschaftlichen Studienreise nach Muscatine im US-Bundesstaat Iowa. Dort nahm die Gruppe nach offiziellen Berichten „jeden Aspekt der modernen Landwirtschaft unter die Lupe“. Anschließend reiste Xi weiter nach Kalifornien. Es war sein erster USA-Besuch. © imago stock&people
Xi Jingping und Peng Liyuan
Zweites Eheglück: Xi Jinping und seine heutige Ehefrau, die Sängerin Peng Liyuan, Anfang 1989. Zu dieser Zeit war Xi Vizebürgermeister der ostchinesischen Hafenstadt Xiamen. Die beiden haben eine gemeinsame Tochter. Xis erste Ehe war nach nur drei Jahren an unterschiedlichen Lebenszielen gescheitert. Seine erste Frau, die Diplomatentochter Ke Lingling, zog in den 1980er-Jahren nach Großbritannien. © imago
Xi Jinping gräbt mit Parteikollegen an einem Damm zur Verstärkung eines Deiches in Fujian
Aufstieg über die wirtschaftlich boomenden Küstenregionen: 1995 war Xi Jinping bereits stellvertretender Parteichef der Taiwan gegenüberliegenden Provinz Fujian – und noch ganz volksnah. Im Dezember 1995 arbeitet er mit an der Verstärkung eines Deiches am Minjiang-Fluss. © Imago/Xinhua
Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigt Chinas Vizepräsident Xi Jinping das Regierungsviertel in Berlin
Vizepräsident Xi Jinping 2009 im Kanzleramt bei Angela Merkel: Die deutsch-chinesischen Beziehungen waren unter Merkel relativ eng und von wirtschaftlicher Zusammenarbeit geprägt. Merkel und Xi reisten aus Berlin weiter nach Frankfurt, um die dortige Buchmesse zu eröffnen. China war als Ehrengast geladen. © GUIDO BERGMANN/Pool/Bundesregierung/AFP
Die Vizepräsidenten Xi Jinping aus China und Joe Biden aus den USA halten T-Shirts mit einer Freundschaftsbekundung in die Kamera
Ein Bild aus besseren Zeiten: Aus ihrer jeweiligen Zeit als Vizepräsidenten kamen Joe Biden und Xi Jinping mehrmals zusammen. Im Februar 2012 demonstrierten sie bei einer Reise Xis nach Los Angeles in einer Schule „guten Willen“ zur Freundschaft mit T-Shirts, die ihnen die Schüler überreicht hatten. Damals fehlten Xi nur noch wenige Monate, um ganz an die Spitze der Kommunistischen Partei aufzusteigen. © FREDERIC J. BROWN/AFP
Ein alter Mann in Shanghai schaut auf Xi bei seiner ersten Rede als Parteichef im Fernseher.
Xi Jinping hat es geschafft: Zum Ende des 18. Parteitags am 15. November 2012 wurde Xi als neuer Generalsekretär der Kommunisten präsentiert – und ganz China schaute zu. Xi gelobte in seiner ersten kurzen Rede als Parteichef, die Korruption zu bekämpfen und ein „besseres Leben“ für die damals 1,3 Milliarden Menschen des Landes aufzubauen.  © PETER PARKS/AFP
Der neue Staatschef Xi Jinping geht hinter seinem Vorgänger Hu Jintao zu seinem Platz in der Großen Halle des Volkes in Peking.
Übernahme auch des obersten Staatsamtes: Xi Jinping wurde auf dem Nationalen Volkskongress im März 2013 Präsident und schloß damit den Übergang von seinem Vorgänger Hu Jintao (vorn im Bild) zur Xi-Ära ab. © GOH CHAI HIN/AFP
Chinas Präsident und seine Ehefrau Peng Liyuan gehen über den Flughafen Orly in Paris.
Xi Jinpings Ehefrau Peng Liyuan ist die erste First Lady Chinas, die auch öffentlich in Erscheinung tritt. Hier kommt das Ehepaar zu einem Staatsbesuch in Frankreich an. Die Gattinnen von Xis Vorgängern hatten sich nie ins Rampenlicht gedrängt. Vielleicht auch, weil Maos politisch aktive dritte Ehefrau Jiang Qing nach dem Tod des „Großen Vorsitzenden“ als Radikale verurteilt worden war. © YOAN VALAT/Pool/AFP
Funktionäre der Kommunistischen Partei Chinas auf dem Weg zum Parteitag in Peking
So sehen KP-Funktionäre aus: Delegierte des 19. Parteitags auf dem Weg zur Großen Halle des Volkes in Peking im Oktober 2017. Auf diesem Parteitag gelang es dem Staats- und Parteichef, seine „Xi Jinping-Gedanken zum Sozialismus Chinesischer Prägung in der Neuen Ära“ in die Parteiverfassung aufzunehmen. Er war der erste nach Mao, der zu Lebzeiten in der Verfassung eine Theorie mit seinem Namen platzieren konnte. Einen Kronprinzen präsentierte Xi auf dem Parteitag nicht – entgegen den normalen Gepflogenheiten. © GREG BAKER/AFP
Xi Jinping nimmt in einer Staatslimousine „Rote Fahne“ die Parade zum 70. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik China ab.
70 Jahre Volksrepublik China: Staatschef Xi Jinping nahm 2019 in einer offenen Staatslimousine Marke „Rote Fahne“ die Militärparade in Peking zum Jahrestag der Staatsgründung ab. © GREG BAKER/AFP
Wirtschaftsforum in Wladiwostok
Xi Jinping pflegt eine offene Freundschaft zu Russlands Präsidenten Wladimir Putin – bis heute, trotz des russischen Angriffskrieges in der Ukraine. Putin und Xi teilen die Abneigung gegen die von den USA dominierte Weltordnung. Hier stoßen sie 2018 bei einem gemeinsamen Essen auf dem Wirtschaftsforum von Wladiwostok, auf dem sich Russland als Handelspartner und Investitionsziel im asiatischen Raum präsentierte, miteinander an. © Sergei Bobylev/POOL TASS Host Photo Agency/dpa
Xi Jinping besucht im weißen Kittel ein Labor und lässt sich die Impfstoffentwicklung erklären
Ende 2019 brach in China die Corona-Pandemie aus. Im April 2020 informierte sich Xi Jinping in einem Labor in Peking über die Fortschritte bei der Impfstoffentwicklung. Xi ist bis heute überzeugt, dass China die Pandemie besser im Griff hat als der Rest der Welt. Seine Null-Covid-Politik beendet er nicht, wohl auch wegen der viel zu niedrigen Impfquote unter alten Menschen. © Ding Haitao/Imago/Xinhua
Xi Jinpings Konterfei lächelt von einem Teller mit rotem Hintergrund
Auf dem 20. Parteitag im Oktober 2022 ließ sich Xi Jinping zum dritten Mal zum Generalsekretär der Kommunisten ernennen. Damit ist er der mächtigste Parteichef seit Mao Zedong. © Artur Widak/Imago

Fachleute warnen deshalb vor einem rasanten Ansteigen der Infektionen. So geht der frühere Vizedirektor des nationalen Gesundheitsamtes, Feng Zijian, davon aus, dass sich 80 bis 90 Prozent der Bevölkerung mit dem Virus anstecken werden, wie Staatsmedien am Donnerstag berichteten. In der ersten Welle dürfte die Infektionsrate nach Modellrechnungen rund 60 Prozent erreichen. Es müssten „angemessene Maßnahmen“ ergriffen werden, um den Höhepunkt dieser Welle niedrig zu halten und die Belastung des Gesundheitswesens zu verringern, sagte der Regierungsberater bei einem Online-Forum der Pekinger Tsinghua-Universität. Der Höhepunkt der Welle werde „enormen Druck“ auf das medizinische System ausüben, warnte Feng, der die Arbeitsgruppe der Regierung zum Umgang mit der Pandemie berät. Deswegen müssten Vorbereitungen getroffen werden.

Analysten rechnen mit einer Million Corona-Toten in China

Die Analysten von Wigram Capital Advisors, einer Beratungsgruppe, die Regierungen während der Pandemie mit Modellen unterstützt hat, rechnen gar mit bis zu einer Million Corona-Toten in China. Sollte die Regierung die Corona-Maßnahmen weiter lockern, könnten den Berechnungen zufolge bis Mitte März täglich 20.000 Menschen an einer Corona-Infektion sterben. „China hat nichts getan“, um sich auf die Lockerungen vorzubereiten, sagte Rodney Jones von Wigram der Financial Times. Staats- und Parteichef Xi Jinping „scheint dies eher spontan als Reaktion auf die Proteste zu tun, denn als Teil eines sorgfältigen politischen Programms“. Auch Jones verweist auf die niedrige Impfquote in China. Das Land setzt bislang ausschließlich auf selbst entwickelte Vakzine und weigert sich, die als effektiver geltenden ausländischen mRNA-Impfstoffe einzusetzen. Zudem liegen viele Auffrischungsimpfungen bereits viele Monate zurück.

Chinas überraschende Öffnungspolitik könnte Experten zufolge auch die weltweite Entwicklung der Pandemie beeinflussen. So befürchtet etwa der deutsche Virologe Christian Drosten die Entstehung einer neuen Virusvariante. „Das Virus kann sich immer dann besonders gut entwickeln, wenn es sehr viele Infektionen gibt. Und das könnte in China bald der Fall sein“, sagte Drosten Ende November – also noch vor Ende der Null-Covid-Politik – in einem Interview mit der Zeit. Weil in China die Immunität in der Bevölkerung nicht hoch sei, können man „nicht ausschließen, dass dort in puncto Evolution noch einmal ein Sprung passiert“. Er erwarte eine solche Entwicklung allerdings nicht in nächster Zeit, so Drosten. „Und es kann genauso gut sein, dass erst einmal gar nichts mehr passiert“. Mit Material der dpa

Rubriklistenbild: © Dala de la Rey/AFP

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