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Urteil aus Karlsruhe

Teilweise gekippte Ampel-Wahlrechtsreform „entfremdet Bürger von der Politik“

Das Verfassungsgericht hebt die Ampel-Wahlrechtsreform teilweise auf. CSU und Linke dürfen sich freuen. Was Experten über die Klage sagen.

Karlsruhe – Als hätte die Entscheidung nicht ohnehin Sprengkraft genug, kam sie auch noch sehr überraschend. Das Bundesverfassungsgericht hebt die Wahlrechtsreform der Ampel-Koalition teilweise auf. Ungewöhnlich für das sonst sehr diskrete Gericht: das Urteil wurde einen Tag vor der offiziellen Verkündung bereits geleaked. CSU und Linke dürfen sich nun freuen – zumindest teilweise. Denn verändern wird sich der Bundestag trotz des Gerichtsurteils.

Mit Spannung blickten die Parteien dieser Tage nach Karlsruhe, wo die Wahlrechtsreform, die die Ampel eingeführt hat und die bei der Wahl 2025 erstmals gelten sollte, in Teilen als nicht verfassungskonform erklärt wurde. Statt CSU und Linke geht nun die Ampel-Koalition als Verlierer vom Platz.

Dem Gericht geht es demnach um die sogenannte Grundmandatsklausel, die früher galt, im neuen Ampel-Wahlrecht aber keinen Platz mehr fand. Sie legte fest, dass Parteien in den Bundestag einziehen, selbst wenn sie an der Fünfprozenthürde scheitern – vorausgesetzt sie bekommen drei Direktmandate. Besonders für CSU und Linke ist diese Regel relevant – sie klagten deshalb auch in Karlsruhe gegen die Abschaffung dieser.

Die Wahlrechtsreform der Ampel landet vor dem Bundesverfassungsgericht

Die möglichen Auswirkungen des neuen Wahlrechts, das für die Bundestagswahl 2025 erstmal gilt, beschrieb Volker Boehme-Neßler, Professor für Öffentliches Recht mit Schwerpunkt auf Verfassungsrecht von der Universität Oldenburg, gegenüber IPPEN.MEDIA beim Verhandlungsbeginn im April. „Es könnte passieren, dass Abgeordnete in ihrem Wahlkreis direkt gewählt werden, trotzdem aber nicht ins Parlament einziehen“, sagte der Experte.

Die Ampel hat die Wahlrechtsreform nach der Bundestagswahl 2021 auf den Weg gebracht, bei der 736 Abgeordnete ins Parlament eingezogen sind – so viele wie nie zuvor. Eine Entwicklung, die durch Ausgleichs- und Überhangmandate von Wahl zu Wahl zunimmt und mehr Abgeordnete zur Folge hat. Durch die Reform soll die Zahl der Abgeordneten auf 630 beschränkt werden. Dieser Grundsatz bleibt vom Gericht unangetastet und damit weiterhin bestehen.

Die Wahlrechtsreform der Ampel-Koalition wurde in Karlsruhe verhandelt. Das neue Wahlrecht, unter dem CSU und Linken drohte, aus dem Bundestag zu fliegen, ist in Teilen nicht mit dem Grundgesetz vereinbar.

Denn alle Beteiligten sind sich darin einig, dass der Bundestag kleiner werden muss. Neu bleibt für die nächste Bundestagswahl also, dass Direktmandate (durch Erststimmen) keine Garantie für einen Platz im Bundestag mehr sind. „Bisher kommen direkt gewählte Abgeordnete auf jeden Fall ins Parlament, unabhängig davon, ob ihre Partei die fünf-Prozent-Hürde bundesweit geschafft hat oder nicht. Diese Regel wird aufgehoben“, erklärte Boehme-Neßler. Nun bekommen Parteien nur noch so viele Sitze, wie ihr Zweitstimmenanteil vorsieht. Vorrang haben dann die Politiker mit den besten Erststimmenergebnissen.

Wahlrechtsreform der Ampel – werden Menschen von Demokratie ausgeschlossen?

Direkt beteiligt an der Verfassungsklage der CSU – die neben der Linken und etlichen Bürgerinnen und Bürgern Beschwerde in Karlsruhe einlegte – war der Jurist und Professor für Öffentliches Recht an der Uni Würzburg, Kyrill-Alexander Schwarz. Schwarz war früh der Meinung, die Ampel verstoße mit ihrem Wahlrecht gegen Prinzipien des Grundgesetzes und vermutete, dass die Ampel den Bundestag aus machtpolitischen Gründen anders zusammensetzen wolle. Denn neben der CSU würde wohl auch die Linke keine Abgeordneten mehr stellen, wäre die Reform in Karlsruhe durchgewunken worden. Sie sollte demnach „der Sicherung der eigenen Macht dienen“.

Schwarz‘ Argument für die Klage war, dass durch die Gefahr des Ausscheidens der CSU die demokratische Teilhabe der Menschen auf Bundesebene „massiv“ ausgeschlossen werde. „Das nunmehr beschlossene Wahlrecht führt dazu, dass die Direktwahl nur noch eine Vorauswahl darstellt“, sagte Schwarz im April zu IPPEN.MEDIA. „Dann aber entscheidet – entgegen einer Grundannahme des Demokratieprinzips – nicht mehr die Mehrheit, sondern der von anderen Faktoren abhängige Zweitstimmenanteil der Partei. Die Wahl mit der Erststimme ist dann keine Wahl mehr, sondern eine bloße Präferenzentscheidung“, so Schwarz.

Für Schwarz, der auf Seite der CSU-Klage stand, war klar, wie Karlsruhe entscheiden sollte. „Dieses Wahlrecht führt zu einer massiven Schwächung des direktdemokratischen Elements der Wahl und erweist damit der Demokratie – gerade in herausfordernden Zeiten – einen Bärendienst. Es bleibt zu hoffen, dass das Bundesverfassungsgericht sich diesen Bedenken nicht verschließt.“ Der Professor dürfte sich durch das Gerichtsurteil bestätigt sehen.

Unabhängiger Experte hält Wahlrechtsreform für „problematisch“

Und auch der unabhängige Verfassungsrechtler Boehme-Neßler hatte Zweifel an der Zulässigkeit der Ampel-Reform: „Wichtig sind die Allgemeinheit und die Gleichheit der Wahl. Das bedeutet: Alle Bürger müssen wählen können, und alle Stimmen müssen den gleichen Wert haben. Vor diesem Hintergrund sind die geplanten Änderungen des Wahlrechts problematisch“, so der Oldenburger Professor. „Denn sie bedeuten, dass viele Wählerstimmen wertlos sein können.“

Zwar sprach sich auch Boehme-Neßler grundsätzlich für eine Reform des Wahlrechts aus, hielt den Ampel-Entwurf wegen der wegfallenden Direktmandate aber für falsch: „Die konkrete Reform, die jetzt vor dem Verfassungsgericht angegriffen wird, halte ich für verfassungswidrig. Das ist ein eklatanter Verstoß gegen das Demokratieprinzip der Verfassung.“ Deshalb konnte sich der Staatsrechtler auch nicht vorstellen, „dass das Gericht in Karlsruhe die Reform in ihrer jetzigen Form absegnet.“ Er sollte Recht behalten.

Verfassungsrechtler über Ampel-Reform: „Halte diese Regelung für dumm“

Boehme-Neßler ging weiter: „Auch unter politischen Gesichtspunkten halte ich diese Regelung für dumm: Sie entfremdet die Bürger weiter von der Politik. Sie verlieren weiter das Vertrauen in das politische System.“ Stattdessen sprach sich der Professor für unkompliziertere Wege aus, den Bundestag zu verkleinern – etwa durch die Reduzierung der Wahlkreise.

Rubriklistenbild: © IMAGO/Lorenz Huter

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