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Warum deutsche Landkreise Flüchtlingen aus der Ukraine das Bürgergeld streichen wollen, was dafür spricht und welche Entscheidung die „völlig falsche“ war.
Berlin – Nur etwa 20 Prozent der ukrainischen Geflüchteten in Deutschland arbeiten laut der offiziellen Datenlage. Rund 700.000 von ihnen erhalten Bürgergeld. Ein Dorn im Auge der deutschen Landkreise. Sie fordern daher Leistungskürzungen für künftige Flüchtlinge aus der Ukraine.
„Neu nach Deutschland kommende Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine sollten nicht mehr unmittelbar Bürgergeld erhalten, sondern künftig wieder Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz“, erläuterte deren Präsident, Reinhard Sager (CDU), die Position der 294 Landkreise im Oktober.
Landkreise fordern: Kein Bürgergeld für ukrainische Flüchtlinge mehr
Auch Matthias Jendricke (SPD), Landrat im thüringischen Nordhausen, äußert sich nun ähnlich. In einem Interview erklärte er gegenüber dem Spiegel, die Erfahrung mit den ukrainischen Geflüchteten sei „ziemlich ernüchternd“. Der Beschluss der Bundesregierung im Juni 2022, dass ukrainische Geflüchtete Bürgergeld statt Asylbewerberleistungen erhalten, sei „die völlig falsche Entscheidung“ gewesen.
„Damit hat man es ihnen zu nett gemacht“, so Jendricke weiter. Da sei „einfach das Sofa gemütlicher als der Deutschkurs“. Ähnlich äußerte sich auch Joachim Walter (CDU), Landrat im Kreis Tübingen in Baden-Württemberg, gegenüber dem Spiegel: „Die Arbeitsbereitschaft von Geflüchteten aus der Ukraine hat mit dem Wechsel hin zum Bürgergeld deutlich nachgelassen“, sagte er.
Bürgergeld setze „falsche Anreize für Flüchtlinge“ – Experten halten das für unplausibel
Auch er mache die „hohen Zahlungen“ dafür verantwortlich: „Das treibt die Menschen nicht unbedingt an, hier zu arbeiten“. Ähnliche Statements finden sich in den Reihen der Ampelkoalition. Der Bundestagsabgeordnete Frank Schäffler (FDP) etwa äußerte: Das Bürgergeld setze „falsche Anreize für Flüchtlinge – auch für die aus der Ukraine“.
Während Sager, Walter und Schäffler weitestgehend den Tenor innerhalb von CDU und FDP wiedergeben, schwimmt SPD-Mann Jendricke beim rot-grünen Teil der Ampelkoalition eher gegen den Strom. Parteikollegin und Bundestagsabgeordnete Helge Lindh sagte gegenüber dem Tagesspiegel: „Was uns nicht helfen wird, sind Leistungskürzungen und Stimmungsmache gegen Geflüchtete.“
Auch Arbeitsmarktexperten halten diese Begründung für unplausibel. Allein die Differenz zu den Leistungen, die Asylbewerber bekämen, sei dafür viel zu gering: Ukrainische Geflüchtete erhalten aufgrund der Bürgergeld-Regelung 502 Euro im Monat statt 410 Euro.
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Geflüchtete aus Ukraine: Zweifel, dass Differenz von 92 Euro „den großen Unterschied“ macht
Herbert Brücker, Leiter des Bereichs Migration, Integration und internationale Arbeitsmarktforschung am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, könne sich nicht vorstellen, dass eine Differenz von 92 Euro „den großen Unterschied“ bei der Arbeitsbereitschaft mache, erklärt er gegenüber dem Tagesspiegel. Er vermute mehrheitlich andere Gründe hinter der geringen Beschäftigungsquote. Etwa 70 Prozent der arbeitslosen ukrainischen Geflüchteten besuchten derzeit Sprachkurse oder machten eine Ausbildung.
„Diese Menschen stehen dem Arbeitsmarkt natürlich nicht wirklich zur Verfügung“, sagte er dem Tagesspiegel weiter. Bei circa 80 Prozent der Geflüchteten handele es sich zudem um Frauen mit Kindern, die deren Betreuung ohne ältere Angehörige oder Bekannte gewährleisten müssten. Einen Kita-Platz zu finden sei bereits für deutsche Familien schwierig, für Geflüchtete sei dies noch viel schwieriger.
Potenzial von rund 400.000 Geflüchteten aus der Ukraine, „die derzeit im Bürgergeld sind“
Außerdem sei zwar das Bildungsniveau unter den ukrainischen Geflüchteten „sehr hoch“, Probleme gebe es allerdings bei der Anerkennung ihrer Berufsabschlüsse. Das ukrainische Bildungssystem unterscheide sich stark vom deutschen. Dadurch würden beispielsweise fertig ausgebildeten ukrainischen Krankenschwestern für ihre Anerkennung in Deutschland praktische Ausbildungselemente fehlen, erläuterte Brücker weiter.
Politische Einigkeit besteht zumindest im Hinblick auf das Ziel, ukrainische Geflüchtete mit einer Bleibeperspektive schneller auf den Arbeitsmarkt zu bringen. Laut Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) geht es dabei um ein Potenzial von rund 400.000 Menschen, „die derzeit im Bürgergeld sind und bereits Sprachkenntnisse erworben haben“. Bei ihnen müsse nun der „Jobturbo“ eingelegt werden, sagte Heil.
Flüchtlingspolitik: Auch Geflüchtete aus der Ukraine sollen arbeiten
Auch Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) sprach sich für eine schnellere Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt aus. „Wir sollten Flüchtlingen ein Recht auf Arbeit geben, statt sie an der Arbeit zu hindern“, sagte er gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Dies würde nach seiner Einschätzung auch dabei helfen, „dass der Hass in der Gesellschaft auf Flüchtlinge nicht mehr bedient werden kann“.
In der kommenden Woche beraten Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und die 16 Ministerpräsidenten und -präsidentinnen, wie es in der Flüchtlingspolitik weitergeht. Die Organisation Pro Asyl fordert von der Bundesregierung dabei Beschlüsse, die über kleine, vermeintliche Besserungen hinausgehen. „Nötig ist, dass alle Arbeitsverbote vollständig abgeschafft werden“, sagte Pro Asyls flüchtlingspolitischer Sprecher Tareq Alaows. (na)