Verbandschef sogar für Wahlrecht ab 14
Minister Piazolo will junge Bayern ab 16 wählen lassen - bröckelt nach Greta Thunberg der Widerstand?
Seit Jahren trommeln Jugendverbände für ein Wahlrecht ab 16. Mit dem Vorstoß des Kultusministers kommt Bewegung in die Sache. Manche wollen sogar noch mehr.
München – Jugendliche interessieren sich eh nicht für Politik, sind nicht „reif genug“ und sind leicht zu beeinflussen – es sind die gängigen Klischees, die der Bayerische Jugendring entkräften will.
Keiner der gängigen Einwände ziehe, erklärt BJR-Chef Matthias Fack, der sogar ein Wahlrecht ab 14 fordert. „Solange junge Menschen von Wahlen ausgeschlossen sind, solange werden sie als Zielgruppe durch die Parteien nur in geringem Maße wahrgenommen.“ Der Verband zitiert den Jugendforscher Klaus Hurrelmann, der sagt, mit etwa 12 Jahren habe ein junger Mensch „eine stabile intellektuelle Basis“ und „eine grundsätzliche soziale und moralische Urteilsfähigkeit“ erreicht.
Bayern: Wählen ab 16 - CSU blockt seit Jahren ab
Die Absenkung des Wahlalters ist ein Dauerbrenner der politischen Diskussion. Seit Jahren ploppt das Thema auf – seit Jahren blockt in Bayern die CSU ab. Wahlrecht und Volljährigkeit dürften nicht getrennt werden, sagte schon 2016 Innenminister Joachim Herrmann. Auch jetzt äußern sich CSU-Vertreter skeptisch, etwa der CSU-Schulpolitiker Gerhard Waschler („kein akuter Handlungsbedarf“). Allerdings bröckelt die Abwehrhaltung gerade unter dem Eindruck der Klimaschutz-Bewegung „Fridays for future“.
Dem Vorschlag des Kultusministers Michael Piazolo schließen sich jedenfalls Lehrerverbände jedweder Couleur an, mahnen aber an, dass dann auch für die politische Bildung mehr getan werden müsse. „Ich könnte damit gut leben“, sagt Jürgen Böhm vom Bayerischen Realschullehrerverband zu Piazolos Vorschlag. „Jugendliche sind politisch oft interessierter, als man denkt.“ Seine Kollegin Simone Fleischmann vom Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband BLLV sagt: „Der Vorstoß ist richtig, andere Bundesländer sind uns da voraus.“ Auch sie fordert mehr politische Bildung. Im Normalfall gibt es am Gymnasium erst ab der 10. Klasse zwei Stunden für Geschichte und Sozialkunde zusammen, in der Realschule setzt Sozialkunde ebenfalls erst mit der 10. Klasse ein. In der Mittelschule gibt es ab der 5. Klasse ein Mischfach Geschichte, Sozialkunde und Erdkunde – Politik kommt nur am Rande vor. „Da schauen Schüler alt aus“, lästert Heinz-Peter Meidinger vom Deutschen Lehrerverband.
Wählen ab 16 in Bayern: Davor warnen Wahlforscher
In elf Bundesländern dürfen Jugendliche ab 16 wählen, in Niedersachsen als Vorreiter schon seit 1996. Für die 16-Jährigen geöffnet wurde auch die Kommunalwahl in Baden-Württemberg. Der dortige Städtetag ermittelte damals eine Beteiligungsquote von gut 40 Prozent bei den 16- und 17-jährige Erstwählern. In einigen Städten gab es erstaunliche Ausreißer, etwa in Freiburg (58 Prozent) oder Mannheim (26,1 Prozent). Insgesamt aber ist eine Absenkung des Wahlalters kein Allheilmittel. Wahlforscher warnen, dass die Wahlbeteiligung insgesamt dadurch sogar sinkt – weil die Beteiligung 16- und 17-Jähriger stets etwas unterdurchschnittlich ist.
Schon jetzt verweisen Befürworter einer Absenkung des Wahlalters auf Schleswig-Holstein, Brandenburg und Bremen, wo ab 16 auch Landtag bzw. die Bürgerschaft gewählt werden darf. Das wäre ganz nach dem Geschmack von Joshua Grasmüller, Landesschülersprecher für die Gymnasien und noch 16. „Ich bin ein riesiger Verfechter vom Wählen ab 16“, sagt der Gymnasiast vom Landschulheim Kempfenhausen (Landkreis Starnberg). Zu hoffen sei, dass die Politik dann auch die Interessen der jungen Generation stärker berücksichtige.
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Wählen ab 16: Das spricht dafür - Ein Kommentar von Dirk Walter
Die Klimaschutzaktivistin Greta Thunberg ist unstreitig an Politik sehr interessiert. Kleines Problem: In ihrem Heimatland Schweden darf die 16-Jährige nicht wählen – weder auf kommunaler noch auf Landesebene. Schweden ist hier nicht besser als Bayern: Politisch mündig ist man erst ab 18. Mit Verlaub, diese Altersgrenze ist überholt. Man kann von der Bewegung Fridays for Future halten, was man will: Aber klar ist doch, dass sich hier ein neues Interesse an Politik zeigt. Diese Lust auf Veränderung sollte man kanalisieren, nicht abwürgen. Die Kommunalwahlen nun sind als Einstieg in das Wahlrecht ab 16 gewiss gut, aber die Jugendlichen allein darauf zu beschränken, leuchtet nicht ein. Wenn schon wählen, dann auf allen Ebenen! Jugendliche interessieren sich nicht nur für das Jugendheim um die Ecke, sie denken ebenso lokal und global wie die Älteren. Erste Studien zur Beteiligung zeigen übrigens, dass die Jugend nicht besonders extrem wählt. Und beileibe nicht jeder 16-Jährige ist Mitglied in der Greta-Fangemeinde und würde für die Grünen stimmen. Jede Bewegung provoziert auch eine Gegenbewegung, da können auch konservative Gemüter ganz beruhigt sein.
Wählen ab 16: Das spricht dagegen - Kommentar von Christian Deutschländer
Im deutschen Justizsystem ermöglicht der Staat aus gutem Grund dem Richter, je nach Reife des Angeklagten nach Jugendstrafrecht zu urteilen. Im Wahlrecht darf das nicht so einfach individuell laufen, da muss ein verbindliches Mindestalter sein – ob nun ein Jungwähler reif ist oder nicht, um alle Folgen seiner Wahlentscheidung zu kalkulieren. Es gibt nach wie vor keine plausiblere Lösung, als dieses Alter an Volljährigkeit und unbeschränkte Geschäftsfähigkeit zu koppeln. 18 also, was sonst? Mühelos lassen sich 16-Jährige mit starker politischer Urteilskraft finden; aber auch 19-Jährige, die manipulationsanfällig oder desinteressiert Stimmen verschenken. Aus den Freitags-Schulstreiks zu schließen, eine neue hochpolitisierte Jugend werde vom Wählen abgehalten, wäre schon naiv. Die Statistik sagt leider: Seit Jahren ist die Wahlbeteiligung der 18- bis 21-Jährigen niedrig, 2017 zum Beispiel 6,3 Punkte unterm Schnitt. Sie schwankt auch extrem nach Bildungsniveau. Hinzu kommt: Die Wahlalter-16-Debatte hat erkennbar einen parteiischen Spin – die Hoffnung, dass Jugendliche eher links der Mitte wählen. Das Wahlrecht, mächtigstes Recht der Bürger, darf nicht auf parteipolitische Hintergedanken horchen.
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D. Walter