Druck und Abkommen
Die Asylzahlen steigen – nur nicht in Österreich: Wie Wien die Wende versucht
Österreich setzt auf eine harte Linie: Anders als in Deutschland ging die Zahl der Asylanträge bis Ende Juni um 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zurück.
München – Ein Satz macht den Unterschied zwischen Wien und Berlin. „Es ist eine gute Bilanz, es ist eine positive Bilanz“, sagte Österreichs Innenminister Gerhard Karner Ende Juli. Der ÖVP-Politiker hatte da gerade neue Asylzahlen bekannt gegeben und konnte aus seiner Sicht Gutes berichten: Im ersten Halbjahr 2023 wurden nur noch 22.990 Anträge auf Asyl gestellt – etwa 30 Prozent weniger als im gleichen Zeitraum 2022.
Gleich zwei Mal erwähnte der Minister bei der Gelegenheit auch Deutschland, abgrenzend allerdings, als Negativbeispiel. Hier entwickeln sich die Zahlen nämlich komplett anders: gut 175 000 Erstanträge bis Ende Juli, satte 78 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Man könnte es so zusammenfassen: Während die Ampel-Koalition mit jeder Entscheidung ringt, ist Schwarz-Grün laut Karner „massiv auf die Asylbremse gestiegen“.
Asylpolitik: Österreichs ergreift Maßnahmen - die Ampel pflegt noch Problemfelder
Bis vor Kurzem sah die Sache noch anders aus. 2022 verzeichnete Österreich mit 112.000 Anträgen die vierthöchste Zahl nach Deutschland, Frankreich und Spanien. Antragsteller waren vor allem Afghanen, Syrer und Inder. Der Druck war entsprechend groß. Die Regierung hatte zu dem Zeitpunkt aber schon die Weichen gestellt, die sich nun möglicherweise auszahlen.
Aus Sicht Karners tragen vier Maßnahmen zum Rückgang der Zahlen bei: schnelle Asylverfahren, konsequente Abschiebungen, gut organisierte Grenzkontrollen und internationale Abkommen. Diese Schlagworte kennt man natürlich auch in Berlin – bislang allerdings vor allem als Problemfelder.
Österreichs Asylverfahren: Öfter schneller - Wien setzt auch auf Grenzschutz
Da wäre etwa das Tempo bei Asylverfahren. 2022 dauerte es laut Ampel-Regierung im Schnitt 7,6 Monate, bis eine behördliche Entscheidung vorlag, unanfechtbar war sie nach durchschnittlich 21,8 Monaten. Schnellverfahren sind selten – Österreich setzt indes immer mehr darauf. Bis Ende Juni gab es laut offiziellen Angaben 4360 Verfahren, die nur 72 Stunden (Eil) oder 28 Tage (Schnell) lang dauerten. Außerdem schob Österreich im ersten Halbjahr 5900 Menschen ab, ähnlich viele wie das große Deutschland. Asylbewerber waren aber nur die wenigsten – meist wurden Slowaken, Serben und Rumänen rückgeführt.
Wien setzt außerdem auf strikten Grenzschutz. Während die Ampel Kontrollen zu Ost-Nachbarn wie Polen trotz hoher Fluchtzahlen ablehnt, hat Österreich seine Kontrollen zu Slowenien und Ungarn unlängst um sechs Monate verlängert – trotz Protests der slowenischen Nachbarn.
300 moderne Drohnen helfen den Grenzschützern, außerdem Herzschlagdetektoren, mit denen sich Menschen in Lkw aufspüren lassen. Auch unterstützen 130 österreichische Polizisten Ungarn, Serbien und Nordmazedonien bei deren Grenzkontrollen. Im Rahmen der „Operation Fox“ gehen 31 Beamte mit ungarischen Kollegen im Grenzgebiet auf Schleusersuche.
Asyl-Politik: Österreich setzt auf Druck und Abkommen - Experte Knaus bleibt aber skeptisch
Die Zusammenarbeit in der Region scheint also zu funktionieren. Bei Fehlverhalten der Nachbarn setzt Wien aber auch auf Druck. Gemeinsam mit der EU-Kommission drängte die Regierung zuletzt Belgrad, die Visafreiheit für Inder und Tunesier auszuheben. Hintergrund: 2022 kamen rund 19.500 irreguläre Migranten aus Indien über Serbien nach Österreich. Vor einigen Wochen schloss Wien zudem ein Migrations-Abkommen mit Neu-Delhi, das sich verpflichtete, Staatsbürger zurückzunehmen. In Deutschland soll der FDP-Politiker Joachim Stamp solche Abkommen aushandeln. Der Sonderbevollmächtigte ist seit Februar im Amt, konkrete Erfolge: bisher keine.
„Pro Kopf vergibt Österreich seit Jahren und auch 2023 die meisten positiven Asylbescheide in der EU.“
Gelingt Österreich das, was Deutschland sich bislang nur vornimmt? Der Migrationsexperte Gerald Knaus, selbst Österreicher, sieht das etwas anders. Ja, es gebe Dinge, die in Österreich gut gelängen, etwa die schnelle Abwicklung aussichtsloser Asylanträge. Auch der diplomatische Druck der EU auf Serbien habe sich ausgezahlt, weil irreguläre Migranten aus Indien, Tunesien und Burundi 2023 wegfielen.
„Das ändert aber nichts daran, dass auch 2023 pro Kopf mehr Asylanträge in Österreich gestellt werden als in Deutschland“, sagte Knaus dem Münchner Merkur. „Pro Kopf vergibt Österreich seit Jahren und auch 2023 die meisten positiven Asylbescheide in der EU.“ Die österreichische Strategie der Schließung der „Balkanroute“ seit 2016 sei krachend gescheitert. Wer die Zahlen senken wolle, komme an Migrationsabkommen nicht vorbei, meint Knaus. Vielleicht wird das Thema beim Besuch von Kanzler Olaf Scholz in Wien sein. Nächsten Freitag reist er dorthin.
Marcus Mäckler