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Gesundheitswesen

Wenig Geld, viele Patienten und Gewalt: Türkei droht Ärzte-Exodus

Viele türkische Ärztinnen und Ärzte wollen ihr Land verlassen. Präsident Erdogan versucht, den Trend aufzuhalten – zu spät?

Ankara – Immer mehr Ärztinnen und Ärzte verlassen die Türkei. Laut Türkischer Ärztevereinigung TTB (Türk Tabipleri Birliği) haben in den ersten acht Monaten des Jahres 1064 Ärzte Antrag auf ihr sog. Führungszeugnis gestellt. Mit dem Papier kann man dann im Ausland arbeiten. 315 Anträge wurden erstmals alleine im August gestellt – ein vorläufiger Rekord. Die TTB zeigt sich verärgert und nennt auch die Gründe.

„Gegen die von der Regierung verschärfte Armut, Verzweiflung und eskalierende Gewalt ist es an der Zeit zu sagen: ‚Die Arbeit gehört uns, wir haben das Sagen‘, um wieder für unsere Rechte einzutreten“, teilt die Ärztevereinigung auf dem Kurznachrichtendienst X (vormals Twitter) mit. In den vergangenen Monaten kam es immer wieder zu Protesten von Ärztinnen und Ärzten in der Türkei.

Ärzte-Gehälter liegen unter der Armutsgrenze

Mit ihren Gehältern können viele Ärztinnen und Ärzte offenbar kaum noch alleine ihre Familie ernähren. Das bestätigt auch die Internetplattform „akademik personel“.

Assistenzärzte27,850 TL pro Monat
praktizierende Ärzte32,500 TL pro Monat
Fachärzte37,162 TL
Familienärzte (Hausärzte)38,500 TL pro Monat
Ärzte-Dozenten38,500 TL pro Monat
Chirurgen47,500 TL

Die verschiedenen Ärztegehälter liegen in den meisten Fällen unter der sogenannten „Armutsgrenze“ von 39.886 TL . Damit ist das Geld gemeint, das man braucht, um eine vierköpfige Familie durchzubringen, einschließlich Lebensmittel, Unterkunft und Energiekosten. Es ist hinsichtlich der Wirtschaftskrise und der Mega-Inflation nur eine Frage der Zeit, bis auch die Chirurginnen und Chirurgen unter die Armutsgrenze fallen, weil diese immer höher gesetzt wird.

Gewalt gegen Ärzte

Immer wieder werden Ärztinnen und Ärzte Opfer von Gewalt. Fehlendes Personal und lange Wartezeiten in den Krankenhäusern führen bei den Patientinnen und Patienten sowie ihren Angehörigen zu Wutanfällen, die sich beim Gesundheitspersonal entlädt.

Gesundheitsminister Fahrettin Koca hat dazu mehr Sicherheitspersonal in den Krankenhäusern angekündigt. Zudem soll auch ein Frühwarnsystem mit dem Namen „Code Grau“ eingeführt werden. Damit wird sowohl das Sicherheitspersonal als auch die Polizei informiert. „Unser Ziel mit dem System ist es, Gewalt zu verhindern, bevor sie auftritt, man kann es als Vorwarnsystem betrachten“, erklärte Koca in seiner Erklärung zu den neuen Maßnahmen.

Ärztinnen und Ärzte zu Corona-Zeiten in einem türkischen Krankenhaus: Viele von ihnen verlassen das Land. (2020)

„Wenn sie gehen wollen, dann sollen sie gehen“

Immer wieder hatten die Ärztinnen und Ärzte in den vergangenen Jahren auf ihre schlechten Arbeitsbedingungen aufmerksam gemacht und Verbesserungen gefordert. Doch Präsident Recep Tayyip Erdogan schien das nicht zu interessieren. „Wenn Sie gehen wollen, dann sollen sie gehen. Dann setzen wir die Arbeit mit neu ausgebildeten Ärzten fort“, hatte er im vergangenen Jahr in einer Rede vor laufenden Kameras gesagt. Inzwischen ist der mächtige Mann allerdings zurückgerudert und hat einen Werbefilm in Auftrag gegeben. Darin wird für eine Rückkehr der türkischen Ärztinnen und Ärzte aus dem Ausland geworben. „Ich lade euch ein, in euer Land zurückzukehren“, sagt Erdogan dort.

Menschenrechtsverstöße und Autokratie

Doch nicht nur wegen der Arbeitsbedingungen und der schlechten Bezahlung kehren die türkischen Ärztinnen und Ärzte ihrer Heimat den Rücken, sondern auch die zunehmende Autokratie. Nach dem Putschversuch 2016 wurden Tausende Ärztinnen und Ärzte sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler entlassen. Viele wurden auch verhaftet. Im sogenannten Rechtsstaatlichkeitsindex der Nichtregierungsorganisation „World Justice Project“ liegt die Türkei auf Platz 116 unter 140 Ländern. Regelmäßig wird das Land von Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch und Amnesty International wegen seiner massiven Menschenrechtsverstöße kritisiert.

Rubriklistenbild: © dpa/Yasin Akgul

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