„Diese Videos sind eine Frechheit“
Nach Kritik an Medien und Regierung: Einzelne Stars entschuldigen sich - ARD-Rundfunkrat fordert Konsequenzen
Insgesamt über 50 der bekanntesten Film- und Fernsehschauspieler Deutschlands, darunter viele „Tatort“-Stars, haben sich zu einer gemeinsamen Protestaktion gegen die Corona-Politik der Bundesregierung zusammengeschlossen. Ihre ironischen und überschwänglichen Clips gehen gerade viral. Es gibt beißende Kritik, aber auch einige Zustimmung.
Update, 13.46 Uhr - Nach Kritik an Medien und Regierung: Einzelne Stars entschuldigen sich - ARD-Rundfunkrat fordert Konsequenzen
Nach der Internetaktion #allesdichtmachen haben sich mittlerweile immer mehr Prominente, Verbände und Politiker zu Wort gemeldet. „Ich kann gut nachvollziehen, dass es nach 13 Monaten Pandemie schwer fällt, Kraft und Zuversicht zu behalten“, sagte zum Beispiel Berlins Kultursenator Klaus Lederer der dpa in Berlin.
Er teile manche Kritik „an der Pauschalität der sogenannten Notbremse, die uns Wege verschließt, zu lernen, wie unter Pandemiebedingungen kulturelles Leben ermöglicht werden kann.“ Gleichzeitig sagte er: „Wenig Verständnis habe ich für Ignoranz gegenüber den massiven Gefahren und den Folgen, die Covid für unsere Gesellschaft bedeutet. Zynismus und Hohn sind unangebracht“, so Lederer, der aktuell auch der Kulturministerkonferenz der Länder vorsitzt.
Die Schauspielerin Meret Becker (Tatort) und ihr Kollege Ken Duken (Traumfabrik) haben sich unterdessen von der Videoaktion #allesdichtmachen distanziert. Kunst müsse Fragen stellen können, sagte Becker am Freitag in einem Beitrag bei Instagram. „Aber diese Aktion ist nach hinten losgegangen.“ Sie werde das Video runternehmen lassen. „Und ich entschuldige mich dafür, dass das falsch verstanden werden konnte.“
Der nordrhein-westfälische SPD-Politiker und WDR-Rundfunkrat Garrelt Duin forderte am Vormittag Konsequenzen für die beteiligten Schauspieler. In einem Tweet, der mittlerweile wieder gelöscht wurde, schrieb der 53-Jährige:
„Jan Josef Liefers und Tukur verdienen sehr viel Geld bei der ARD, sind deren Aushängeschilder. Auch in der Pandemie durften sie ihrer Arbeit z.B. für den Tatort unter bestem Schutz nachgehen. Durch ihre undifferenzierte Kritik an ‚den Medien‘ und demokratisch legitimierten Entscheidungen von Parlament und Regierung, leisten sie denen Vorschub, die gerade auch den öffentlich-rechtlichen Sendern gerne den Garaus machen wollen. Sie haben sich daher als deren Repräsentanten unmöglich gemacht. Die zuständigen Gremien müssen die Zusammenarbeit – auch aus Solidarität mit denen, die wirklich unter Corona und den Folgen leiden – schnellstens beenden. Viele Grüße, ein Rundfunkrat.“
Erstmeldung:
Mit einer groß angelegten Internetaktion unter dem Motto #allesdichtmachen sorgen jetzt die bekanntesten Schauspieler der Republik für Aufsehen. Künstler wie Ulrich Tukur, Volker Bruch, Meret Becker, Ulrike Folkerts, Richy Müller, Heike Makatsch, Jan Josef Liefers und viele weitere verbreiteten am Donnerstag bei Instagram und auf der Videoplattform Youtube gleichzeitig ironisch-satirische Clips mit persönlichen Statements zur Coronapolitik der Bundesregierung. Andere prominente Schauspielkollegen reagierten entsetzt.
Schauspieler sorgen mit Hashtag #allesdichtmachen für Aufsehen
Die mit den Hashtags #allesdichtmachen, #niewiederaufmachen und #lockdownfürimmer versehene Videos wurden am Abend binnen kurzer Zeit tausendfach geklickt. Auf Twitter und Instagram entwickelten sich hitzige Diskussionen. Während viele Schauspielerkollegen und Politiker die Videos scharf verurteilten, gab es von vielen Social Media-Nutzern Zuspruch. Manch anderer Twitter-User hingegen versuchte, die Aktion in die Coronaleugner-Ecke zu rücken.
Wer die mit Zynismus und Sarkasmus bespickten Videos koordinierte und von wem diese Aktion ausgeht, ist derzeit noch unklar. Liefers zum Beispiel bedankt sich in seinem Clip mit ironischem Unterton „bei allen Medien unseres Landes, die seit über einem Jahr unermüdlich verantwortungsvoll und mit klarer Haltung dafür sorgen, dass der Alarm genau da bleibt, wo er hingehört, nämlich ganz, ganz oben und dafür sorgen, dass kein unnötiger, kritischer Disput uns ablenken kann von der Zustimmung zu den sinnvollen und immer angemessenen Maßnahmen unserer Regierung. In letzter Zeit habe ich das Gefühl, dass einige Zeitungen damit beginnen, alte, überwunden geglaubte Vorstellungen von kritischem Journalismus wieder aufleben zu lassen. Dagegen müssen wir uns wehren. Das dürfen wir nicht zulassen. Wir sollten einfach nur allem zustimmen und tun, was man uns sagt. Nur so kommen wir gut durch die Pandemie.“
Kommentar von OVB24-Redakteur Markus Zwigl
Der Musiker und Schauspieler Ulrich Tukur fordert zudem die Bundesregierung auf, „ausnahmslos jede menschliche Wirkungsstätte und jeden Handelsplatz“ zu schließen. „Nicht nur Theater, Cafés, Schulen, Fabriken, Buchhandlungen, Knopfläden nein, auch alle Lebensmittelläden, Wochenmärkte und vor allem auch all die Supermärkte.“ Und er fügt hinzu: „Sind wir erst am Leibe und nicht nur an der Seele verhungert und allesamt mausetot, entziehen wir auch dem Virus und seiner hinterhältigen Mutantenbagage die Lebensgrundlage.“
Richy Müller atmet in seinem Clip abwechselnd in zwei Tüten und kommentiert ironisch: „Wenn jeder die Zwei-Tüten-Atmung benutzen würde, hätten wir schon längst keinen Lockdown mehr. Also bleiben Sie gesund und unterstützen Sie die Corona-Maßnahmen. Ich geh jetzt mal Luft holen.“
„Für Kollegen schämen“: Corona-Aktion spaltet Schauspielwelt
Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. „Die Schauspieler*innen von #allesdichtmachen können sich ihre Ironie gerne mal tief ins Beatmungsgerät schieben“, twitterte Moderator Tobias Schlegl, der auch Notfallsanitäter ist. Schauspieler Marcus Mittermeier kommentierte: „Niemand hat mich gefragt, ob ich bei #allesdichtmachen mitmachen will. Gott sei Dank!“
Die Schauspieler*innen von #allesdichtmachen können sich ihre Ironie gerne mal tief ins Beatmungsgerät schieben.
— Tobias Schlegl (@TobiSchlegl) April 22, 2021
Elyas M‘Barek schrieb: „Mit Zynismus ist doch keinem geholfen.“ Jeder wolle zur Normalität zurückkehren, und das werde auch passieren. Hans-Jochen Wagner nannte die Aktion peinlich. Er verstehe sie nicht, schrieb der Schauspieler, der an Liefers gerichtet fragte: „Das kann doch nicht Dein Ernst sein.“ Christian Ulmen fühlte sich sogar an den rechten Verschwörungserzähler Ken Jebsen erinnert: Dieser „hätte es nicht schöner sagen können“.
Satiriker Jan Böhmermann hielt der Aktion bei Twitter entgegen, das einzige Video, das man sich ansehen solle, „wenn man Probleme mit Corona-Eindämmungsmaßnahmen hat“, sei die ARD-Doku aus der Berliner Charité mit den Titel „Station 43 – Sterben“. Dazu stellte er den Hashtag #allenichtganzdicht und einen weinenden Smiley.
Das ist das einzige Video, das man sich ansehen sollte, wenn man Probleme mit Corona-Eindämmungsmaßnahmen hat:
— 🔴🔴🔴 Jan Böhmermann 🦠🤨 (@janboehm) April 22, 2021
Charité Intensiv: Station 43 – Sterbenhttps://t.co/EQaMNJzJuh #allenichtganzdicht 😢
#allesdichtmachen: Liefers distanziert sich von Querdenkern
Nach den Querdenker- und Corona-Verleumdungs-Vorwürfen sah sich Jan Josef Liefers am Abend noch gezwungen, eine Klarstellung abzugeben. Der „Tatort“-Star distanzierte sich klar von Verschwörungstheorien und der Querdenker-Bewegung. „Eine da hinein orakelte, aufkeimende Nähe zu Querdenkern u.ä. weise ich glasklar zurück. Es gibt im aktuellen Spektrum des Bundestags auch keine Partei, der ich ferner stehe als der AfD. Weil wir gerade dabei sind, das gilt auch für Reichsbürger, Verschwörungstheoretiker, Corona-Ignoranten und Aluhüte. Punkt. Ich bin bei all denen, die zwischen die Fronten geraten sind, den Verängstigten, den Verunsicherten, den Verstörten und Eingeschüchterten, den Verstummten, den Hin- und Hergerissenen. Denen, die während der ständig erneuerten ineffektiven Lockdowns häusliche Gewalt erleiden müssen und bei den unverzeihlichsten aller Kollateralschäden, den Kindern. Gute Nacht zusammen“, schrieb der 56-Jährige auf Twitter.
Doch nicht alle kritisierten die Videos. Beifall gab es zum Beispiel vom früheren Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, der die Aktion auf Twitter „großartig“ nannte. Der Hamburger Virologe Jonas Schmidt-Chanasit sprach von einem „Meisterwerk“, das „uns sehr nachdenklich machen“ sollte. Die AfD-Bundestagsabgeordnete Joana Cotar twitterte: „Das ist intelligenter Protest.“ Sie feiere Jan Josef Liefers.
Jan Josef Liefer bedankt sich bei den Medien und der Bundesregierung
Wotan Wilke Möhring sieht das Positive am Negativen
Ulrich Tukur fordert die Schließung von allem
Martin Brambach ist auf der Suche nach Menschen, die sich falsch verhalten
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Die Kunst- und Kulturszene leidet seit mehr als einem Jahr schwer unter den Corona-Maßnahmen. Laut dem Bundesverband Schauspiel (BFFS) etwa haben viele der Schauspielerinnen und Schauspieler in Deutschland seit März 2020 kaum Einkommen. Dem Verband zufolge leben zwei Drittel bis drei Viertel aller Schauspielerinnen und Schauspieler von Gastverpflichtungen an Theatern, die aktuell nicht oder kaum arbeiten können. In Deutschland gibt es insgesamt etwa 15 000 bis 20 000 Schauspieler.
mz