Jung-Unternehmer starten durch
Fliegen-Larven statt Soja und Fischmehl: Proteinfutter für Europa aus Oberbergkirchen
Proteinreiches Futtermittel aus Fliegen-Larven. Das ist die Idee, die hinter dem Konzept von Farminsect steckt. Der größte Produktionsstandort des Startup-Unternehmens steht seit 2021 in Oberbergkirchen. Die Gründer gewähren einen exklusiven Einblick und haben Europa im Blick.
Oberbergkirchen – Was sind eigentlich die größten Klimakiller? Das war die alles entscheidende Frage, mit der sich Thomas Kuehn und Wolfgang Westermeier, die Gründer der Firma Farminsect, auseinandergesetzt haben. Ihre Antwort: Der größte Treiber von CO₂-Emissionen ist die Landwirtschaft. Als 2017 Insekten als Futtermittel in der EU zugelassen wurden, war das Forschungsinteresse der beiden geweckt. Sie forcierten die Produktion von Insektenlarven und stellten fest: Es klappt!
Die Larven der Schwarzen Soldatenfliege sind der Schlüssel
Die ehrgeizigen Jungunternehmer haben sich zum Ziel gesetzt, die Landwirtschaft mit Insekten nachhaltiger zu gestalten. 2021 eröffneten sie ihren ersten kommerziellen Produktionsstandort in Ranersöd, Gemeinde Oberbergkirchen. Mit den Larven der Schwarzen Soldatenfliege haben sie tatsächlich eine Alternative zu Soja und Fischmehl gefunden. „Wir ermöglichen es Landwirten, proteinreiche Futtermittel aus regionalen Reststoffen mithilfe von Insektenlarven herzustellen“, nennt Wolfgang Westermeier, studierter Biologie und Agrarwissenschaftler, nur einen Vorteil.
Regionale Reststoffe als Nährboden
Die Firma setzt auf regionale Reststoffe aus der Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie, zum Beispiel Erntereste, um die proteinreichen Larven zu mästen. „Eine regionale und nachhaltige Lösung also“, betont Thomas Kuehn, studierter Elektrotechniker und Betriebswissenschaftler und scheut nicht den Klima-Vergleich mit herkömmlichen Eiweißlieferanten wie Soja und Fischmehl. „90 bis 95 Prozent dieser Futtermittel werden importiert. 30 Prozent vom Fischfang landen im Tiermehl.“ Nicht zu vergessen die irreparablen Umweltschäden, die bei importiertem Soja durch die Abholzung der Regenwälder Südamerikas entstehen.
Der einzige Zweck ihres Daseins ist die Reproduktion, nach einer Woche sterben sie.
Statt Soja und Fischmehl soll es also die Schwarze Soldatenfliege richten. „Die Fliegen haben weder Mund noch Stachel, das heißt, sie können weder Fraßschäden anrichten noch Krankheiten übertragen. Sie können nicht fressen, sind also passiv. Der einzige Zweck ihres Daseins ist die Reproduktion, nach einer Woche sterben sie.“
Wie muss man sich nun die Produktion der Larven vorstellen? „Betriebsgeheimnis“, schweigt sich Biologe Westermeier darüber aus, verweist auf das Labor im ersten Stockwerk der Produktionsstätte in Ranerding, einem ehemaligen Schweinemastbetrieb, den sie zu einem hochmodernen Produktionsstandort im Landkreis Mühldorf umgebaut haben. Nur soviel: Die beiden Forscher haben eine besondere Ei-Falle entwickelt, in der die Schwarze Soldatenfliege ihre Eier ablegt.
Larven wachsen in einer Woche mit dem Faktor 250
Sind die Larven geschlüpft, werden sie in den Nährboden beziehungsweise in ein Habitat gesetzt, wo sie in erster Linie Abfallprodukte verwerten und rapide schnell wachsen. „In einer Woche um den Faktor 250!“, nennt Wolfgang Westermeier einen konkreten Wert. Aus vier Kilogramm werden dann also eine Tonne. „Das sind dann auch die Larven, die an Geflügel, an Fischen und an Schweinen verfüttert werden“, ergänzt Thomas Kuehn beim Blick in eine der Produktionskammern, in denen bis zu 85 Prozent Luftfeuchtigkeit herrscht und das bei einer Temperatur um die 36 Grad Celsius.
Die Larven in Ranerding verpuppen sich schließlich, schlüpfen und reproduzieren sich weiter. Der ewige Kreislauf. Der Nährboden für die Larven eignet sich als Dünger. Von der Soldatenfliege bleibt nach ihrem Ableben lediglich die Chitin-Hülle übrig. Das Einzige übrigens, was im gesamten Prozess entsorgt werden muss.
Landwirt kann auch selbst als Mastbetrieb fungieren
Farminsect hat diese automatisierte Mastanlage nicht nur für die eigene Produktion entwickelt. Sie kann auch von den Landwirten auf deren Höfen betrieben werden. Der Landwirt agiert also wie ein Mastbetrieb, um die vom Unternehmen laufend bereitgestellten Junglarven zu mästen. „Die gemästeten Larven kann der Landwirt direkt als Futter für seine Tiere einsetzen“, erklärt Westermeier das Konzept. Die Investitionskosten gibt er mit 500.000 bis eine Million Euro an. Zusätzliche Kosten für den Landwirt? Kaum, weil im Endeffekt Reste aus der Landwirtschaft verwertet werden. „Die Amortisationszeit beträgt circa vier Jahre“, sagt Westermeier.
Das Ziel: Soja und Fischmehl als Futtermittel komplett ablösen
Die erste Kundenanlage haben Westermeister und Kuehn 2020 gebaut. Mittlerweile sind es drei, vier weitere sind im Bau. 1.000 Tonnen produziert Farminsect auf dem eigenen Gelände. Bis Ende des Jahres, so das ehrgeizige Ziel, sollen es über 2.000 Tonnen sein. Und auf die Frage, wo sie sich in fünf Jahren sehen, haben sie das Ziel ausgelobt, 100 Kundenanlagen in Betrieb zu haben. In zehn Jahren wollen sie das Soja- und Fischmehl in der EU komplett ersetzen.
Der innovative Ansatz wurde übrigens auch von der Europäischen Union finanzkräftig gewürdigt. FarmInsect wurde von der EU aus über 1.000 Bewerbungen als eines der wichtigsten Deep-Tech-Start-ups mit einer bahnbrechenden Innovation ausgewählt und erhält eine Förderung von 7,5 Millionen Euro.

