S-Bahnunfall bei München
Mühldorfer Lokführer ohne Angst auf eingleisigen Strecken, bei anderen fährt die Sorge mit
Der S-Bahn-Unfall mit einem Toten bei München wirft die Frage nach der Sicherheit eingleisiger Strecken auf, wie sie in der Region üblich sind. Lokführer und Fahrgäste fühlen sich sicher, obwohl sie um die Gefahren wissen.
Mühldorf – Die Ursache für den Zusammenstoß zweier S-Bahnen südlich von München ist noch nicht geklärt, vermutlich ist menschliches Versagen der Grund.
Damit wirft der Unfall die Frage nach der generellen Sicherheit eingleisiger Strecken auf. Das Streckennetz der Südostbayernbahn (SOB) ist fast durchgehend eingleisig.
„Es kann und darf nichts passieren“
Marco Beyer ist Lokführer und Ortsvorsitzender der Gewerkschaft Deutscher Lokführer (GDL). Er sitzt gerade als Fahrgast im Zug, als ihn der Anruf über den jüngsten Unfall erreicht. Ein schlechtes Gefühl habe er nicht. „Die Strecken sind technisch gesichert, im Normalfall kann und darf nichts passieren“, sagt er. Deshalb könne er seine Arbeit machen, ohne an mögliche Zusammenstöße zu denken.
Bei anderen fährt ein mulmiges Gefühl mit
Er weiß aber von Lokführer-Kollegen, die nach solchen Unfällen verunsichert sind. „Es braucht schon Vertrauen, wenn man bei Nebel mit Tempo 120 auf einer eingleisigen Strecke unterwegs ist.“
Auch der Mensch spielt eine Rolle
Dieses Vertrauen gilt für Beyer auch für den Fall, dass die Technik ausfällt und ein Fahrdienstleiter die Koordination übernimmt. „Er lässt dann den Zug manuell auf die Strecke“, sagt Beyer. Bevor es aber soweit ist, durchlaufe die Freigabe einen genau festgelegten Prozess.
Wie diese Prozesse aussehen, wollte die Bahn gestern nicht mitteilen. Eine Unternehmenssprecherin war trotz zweimaliger Anfrage nicht bereit, sich zu den konkreten Sicherheitsmaßnahmen im Netz der SOB zu äußern. Sie gab lediglich eine allgemein gehaltene Stellungnahme ab.
Immer nur in eine Richtung freigegeben
Nach der sind die Regeln auf eingleisigen Strecken ähnlich wie bei einer Baustellenampel im Straßenverkehr: „Ein eingleisiger Streckenabschnitt darf abwechselnd nur in jeweils einer Richtung befahren werden. Entgegenkommende Züge müssen zunächst in einem mehrgleisigen Abschnitt – zum Beispiel in einem Bahnhof – warten, bis das eingleisige Teilstück frei ist“, teilte die Sprecherin schriftlich mit. „Dann bekommen sie von den Fahrdienstleitern ein grünes Fahrtsignal.“ Dabei würden die Fahrdienstleiter in den Stellwerken unterstützt von Technik, wenn sie Streckenabschnitte für die Zugfahrten freigäben.
Automatisches System stoppt Züge
„Seit einigen Jahren sind bundesweit alle Strecken mit dem Sicherungssystem PZB 90 ausgestattet“, so die Sprecherin. „Die Technik löst bei der Vorbeifahrt eines Zuges am haltzeigenden roten Signal eine Zwangsbremsung aus.“
Was die Bahnsprecherin nicht erläutert, übernimmt Günter Polz vom Fahrgastverband „Pro Bahn“. Die punktförmige Zugbeeinflussung (PZB) besteht aus Magneten entlang der Strecken.
Diese sollen sicherstellen, dass ein Zug die geltenden Geschwindigkeitsbegrenzungen einhält. Der Zug reagiere auf die Frequenzen der Magnetfelder. Notfalls lasse sich das Fahrzeug auf der Strecke so auch bremsen. Spätestens, wenn der Zug ein rotes Haltesignal überfahren hat.
Weniger gefährlich als das Auto
Allerdings können Lokführer diesen Zwangshalt mit einer Freitaste beenden, um den Betrieb aufrecht zu erhalten. Und so komme der der Faktor Mensch und seine Fehlbarkeit ins Spiel, sagt Polz. Denn die Fahrdienstleiter könnten die Zugführer beispielsweise anweisen, ihr Sicherungssystem auszuschalten, um Haltesignale zu überfahren, die nur aufgrund eines Defekts einen Streckenabschnitt sperren. Die Lokführer kämen dieser Anweisung widerspruchslos nach, will Polz erfahren haben.
Sicherheit kein Thema im Kundenbeirat
Im Kundenbeirat der Mühldorfer Südostbayernbahn sei das Thema Sicherheit vor einigen Jahren diskutiert worden, sagt Wilhelm Mack, Vorsitzer des Beirats. Dabei habe der damalige Geschäftsführer Christoph Kraller versichert, dass die Bahn alles tue, um einen unfallfreien Verlauf zu gewährleisten. Anfragen von Bahnkunden zu dem Thema schlügen im Kundenbeirat kaum auf.
Immer mit gutem Gefühl im Zug
Mack betont, dass er niemals ein ungutes Gefühl habe, wenn er täglich nach München zur Arbeit fahre. „Ich bin kein Technikspezialist und verlasse mich da ganz auf die Bahn“, sagt er. Wichtig ist ihm ein anderer Aspekt. „Wir sollten die hohe Sicherheit der Bahn nicht aus dem Blick verlieren“, sagt Mack angesichts der großen Aufmerksamkeit, die ein Bahnunglück wie jetzt immer auf sich ziehe. „Die Wahrscheinlichkeit, in einem Zug zu Schaden zu kommen, ist wesentlich geringer als im Straßenverkehr.“ Endgültige Sicherheit wird es – zumindest auf der Strecke nach München – aber erst geben, wenn sie komplett zweigleisig ausgebaut ist und es keinen Gegenverkehr mehr gibt. Das wird nach Angaben von Projektleiter Klaus Zellmer frühestens 2030 der Fall sein.
Auf ihrer Internetseite spricht die SOB von insgesamt 587 Kilometern Streckennetz.
Mehr als 300 Kilometer eingleisig
Die Frage, wie viele davon eingleisig sind, beantwortete die Bahnsprecherin nicht. Im Gegenverkehr können aktuell aber nur wenige Kilometer genutzt werden, da die Strecke lediglich zwischen Ampfing und Mühldorf und weiter Richtung Tüßling zweigleisig ausgebaut ist. Wenn der komplette Ausbau zwischen München und Freilassing abgeschlossen ist, gilt das für 145 Kilometer. Alle anderen Strecken bleiben auf unabsehbare Zeit eingleisig.