Standort Landkreis Mühldorf
Boomregion vor Abstieg? So blickt die heimische Wirtschaft auf 2025, so gefährdet sind die Jobs
Die Wirtschaft wächst nicht mehr. Unternehmen kündigen Entlassungen an. Bahn und Straßen verfallen. Auch die Wachstumsregion Mühldorf leidet. Das erwartet die Region Mühldorf-Altötting fürs neue Jahr.
Mühldorf – „Die Stimmung ist – wenn man es so nennen mag – bescheiden“, so bringt die Unternehmerin Ingrid Obermeier-Osl die Gemütslage der heimischen Wirtschaft zum Jahreswechsel auf den Punkt. Sie muss es wissen, schließlich ist sie Vorsitzende im Regionalausschuss Altötting-Mühldorf der Industrie- und Handelskammer (IHK) und Vize-Präsidentin der IHK für München und Oberbayern.
Manche Unternehmen hätten zwar noch gut gefüllte Auftragsbücher, so Obermeier-Osl, „aber in Summe schwächelt unsere Wirtschaft – von Wachstum kann leider keine Rede sein.“ Die Wirtschaft im Landkreis „kommt einfach nicht von der Stelle“.
Das spüre auch das Handwerk, so Kreishandwerksmeisterin Helga Wimmer von der Kreishandwerkerschaft Altötting-Mühldorf. Bei den Dienstleistern sei die Stimmung „gut“; anders bei den Bau- und Ausbaugewerken: „Es gibt bereits im dritten Jahr in Folge zu wenig Aufträge für Neubauten.“ Und für 2025 sei „kaum Besserung abzusehen“.
Eher Unsicherheit statt Zuversicht
Insgesamt sei die Stimmung angespannt und es gebe eher Unsicherheit statt Zuversicht, meint auch Thomas Perzl, Wirtschaftsförderer im Landratsamt Mühldorf. „Der Standort Deutschland hat an Stabilität und Attraktivität eingebüßt.“
Obermeier-Osl macht dafür zwei Entwicklungen verantwortlich: „Auf der einen Seite bekommen wir jetzt strukturelle und hausgemachte Schwächen deutlich zu spüren, die jahrelang nicht angegangen wurden.“ Den Investitionsstau in der Digitalisierung sowie der Verkehrsinfrastruktur, die nicht wettbewerbsfähigen Energiepreise und vor allem die zunehmende Flut an Bürokratie und Regulatorik. Letzteres „müssen wir so schnell wie möglich ändern und haben wir in der Hand.“
Hinzu komme die weltweite Lage: Krieg in der Ukraine, militärische Einschüchterung, drohende Handelsschranken, die wirtschaftliche Abschottung Chinas.
„Wer nicht investiert, kann nicht wachsen“
Das Ergebnis: Verunsicherung. Obermeier-Osl: „Unternehmen, die verunsichert sind, investieren nicht – und wer nicht investiert, kann nicht wachsen.“
Die anhaltende Rezession habe „deutliche Spuren hinterlassen“, hat Perzl beobachtet. „Diese Entwicklung ist besonders besorgniserregend, da sie weniger ein globales Problem als vielmehr ein spezifisch deutsches Phänomen darstellt.“ Während vergleichbare Volkswirtschaften wachsen, bleibe Deutschland zurück.
Die zuverlässigen Konjunkturmotoren fallen aus
Die Folgen: Die Industrie und das verarbeitende Gewerbe leiden, fallen „als gewohnt zuverlässige Konjunkturmotoren aus“, so Obermeier-Osl; investiert werde vermehrt im Ausland.
„Ein weiteres Problem ist, dass durch ständige Negativmeldungen die Bürger zusätzlich verunsichert sind und dadurch der Konsum in unserem Land zurückgeht“, so Obermeier-Osl.
Arbeitsplätze sind langsam in Gefahr
Das gefährdet zunehmend auch Arbeitsplätze. „Grundsätzlich sollte ein gut ausgebildeter Handwerksgeselle oder Handwerksmeister keine Probleme haben, einen sicheren Arbeitsplatz zu finden und auch zu behalten“, so Kreishandwerksmeisterin Wimmer, zumal im Handwerk der Fachkräftemangel eine der größten Herausforderungen sei. Sollte aber die Auftragskrise im Bau- und Ausbaubereich anhalten, könnte es Betriebsaufgaben und „im schlimmsten Fall auch die eine oder andere Insolvenz“ geben.
„Unsicherheit und fehlende Wachstumsaussichten dämpfen vor allem die Beschäftigungspläne“, warnt auch Obermeier-Osl. In der Region würden nur noch acht von hundert der Unternehmen neues Personal einstellen wollen, jedes vierte wolle dagegen „Stellen streichen“. Es gebe auch schon erste Beispiele für Kurzarbeit und Schließungen.
Weichen für Aufschwung stellen
Für Wirtschaftsförderer Perzl braucht es „jetzt die Weichen für einen wirtschaftlichen Aufschwung“. Das erfordere eine Wertschätzung für die Leistungen der Unternehmen und „eine positive Haltung gegenüber der Wirtschaft“. Zusätzlich brauche es „bessere Rahmenbedingungen, mehr Planbarkeit und ein grundlegendes Verständnis für die Bedeutung einer florierenden Wirtschaft. Langfristiger Wohlstand lässt sich nur durch eine starke, innovationsfreudige Wirtschaft sichern.“
Obermeier-Osl möchte einen Kurswechsel: „Ein ‚Weiter so‘ gibt es nicht!“ Die neue Bundesregierung müsse „für Verlässlichkeit und eine Generalsanierung des Wirtschaftsstandorts Deutschland“ sorgen. Es brauche eine „klare, verlässliche Agenda für unsere Wirtschaft. Wir brauchen keine Populisten, wir brauchen demokratische Politiker, die in Berlin und Brüssel die Probleme unseres Landes entschieden anpacken“.
Leistung muss sich wieder lohnen
Leistung müsse sich wieder lohnen, Unternehmen bräuchten „Beinfreiheit“ sowie „Steuersenkungen im Wettbewerb mit den Nachbarländern“, so Obermeier-Osl weiter. Alles andere würde das Abwandern beziehungsweise das Aufgeben der kleinen und mittelständischen Unternehmen beschleunigen und „zu katastrophalen Folgen für die Beschäftigtenzahlen, aber insbesondere dann auch für Kommunen wie Gemeinden, Städte und Landkreise führen“.
Abbau der „ausufernden Bürokratie“, wünscht sich Kreishandwerksmeisterin Wimmer. Zudem ein flexibleres Arbeitsrecht, „mehr Netto vom Brutto“ sowie billigeres, einfacheres und schnelleres Bauen. „Nur so kann man die Wohnungsnot bekämpfen.“
Standort Mühldorf langfristig absichern
Für Wirtschaftsförderer Perzl heißt das für 2025, durch Investitionen in erneuerbare Energien und innovative Technologien den Standort Mühldorf langfristig abzusichern und „die Resilienz der regionalen Wirtschaft zu stärken“.
IHK-Regionalchefin Obermeier-Osl sieht für 2025 dagegen aktuell „keine Anzeichen für einen Aufschwung“. Im Herbst sei jedes vierte Unternehmen aus der Region Inn-Salzach von einer Verschlechterung der Geschäfte ausgegangen; nur acht von hundert würden bessere Geschäfte erwarten. „Die Herausforderungen aus diesem Jahr werden wir auch ins neue Jahr mitnehmen“: kleinteilige Rahmenbedingungen, Bürokratie, fehlende Inlandsnachfrage, die Arbeitskosten, hohe Energie- und Rohstoffpreise sowie den Arbeitskräftemangel.
Rasche Fortschritte bei Bahn und A94 gefordert
Für die Region fordert sie „rasche Fortschritte bei längst überfälligen Infrastrukturprojekten“ wie den zweigleisigen Bahnausbau oder die Weiterführung der A 94 sowie die Ausweisung von notwendigen Gewerbeflächen.
Wirtschaftsförderer Perzl ist optimistischer. Der Landkreis habe eine „stabile Wirtschaftsstruktur, eine exzellente Verkehrsanbindung und die starke Präsenz mittelständischer Unternehmen“. Die regionale Wirtschaft sei immer noch „robust und anpassungsfähig“.