Stellvertretender Generalkonsul in Erharting
60 Jahre Élysée-Vertrag: Darum ist der deutsch-französische Jugendaustausch essentiell
60 Jahre ist die Unterzeichnung des Élysée-Vertrags her. Die gelebte Partnerschaft mit Frankreich ist im Landkreis Mühldorf seither fest verankert. Damit das auch in Zukunft so bleibt, ist aber Anschubhilfe nötig.
Erharting - Anlässlich des 60-jährigen Jubiläums des Élysée-Vertrages am 22. Januar 2023 konnte die Europa-Union Mühldorf unter Vorstand Walter Göbl jüngst einen hochkarätigen Gast in den Landgasthof Pauliwirt locken: Pierre Clouet, erst seit fünf Monaten stellvertretender Generalkonsul der Republik Frankreich in München, kam als Ehrengast zum ersten „Kamingespräch“ seiner Art.
Über Kooperationen statt über Krisen reden
Anders als hier und da in der Presse zu lesen, möchte er an diesem Gesprächsabend nicht über Krisenstimmung zwischen Deutschland und Frankreich, nicht über Traumata, Leiden, Entfremdung et cetera sprechen, betont Clouet gleich zu Beginn. Er sei schließlich vom Gegenteil überzeugt: „Es gab doch immer Reibungen. Man spricht nicht mehr davon, weil sie bewältigt wurden. Die Freundschaft ist noch sehr lebendig“, so Clouet.
Und weiter: „Kooperationen haben sich vielleicht im Lauf der Zeit verändert, auf jeden Fall haben sie sich vertieft.“ In Frankreich spreche man heute lieber mit Blick auf das europäische Projekt von „Integration“: „Der Élysée-Vertrag war nicht nur bilateral ausgerichtet. Er stand im Dienst für Europa.“
„Brüder und Schwester“ im Zentrum Europas
Wie man die Verbindung zwischen den Nachbarn diesseits und jenseits des Rheins auch nennen mag: Um innige Bande, nämlich solche zwischen „Brüdern und Schwestern“, geht es Walter Göbl, der einleitend einen tiefen Blick in die Geschichte wirft und dabei mit dem mittelalterlichen Frankenreich auf ein gemeinsames geschichtliches Erbe im Zentrum Europas zurückblickt. Und wie in jeder guten Familie knirsche es manchmal auch zwischen den Geschwistern, blieb der Kreisvorsitzende weiter im Bild.
Doch wie sollen diese „geschwisterlichen“ Bande angesichts aktueller Herausforderungen weiter gepflegt werden? Nicht nur „von oben“ durch die Staatsfrauen und Staatsmänner beider Nationen, die diese besondere Freundschaft als „Motor für die gesamte europäische Bewegung“ (Walter Göbl) nutzten. Auch wenn Deutschlands derzeitiger Kanzler in dieser Hinsicht „getragen werden“ müsse, deutet Göbl in seiner gewohnt subtilen Art an. An dieser Stelle kommen Städtepartnerschaften, Schüleraustausch oder Jugendprojekte ins Spiel.
Viele Bezüge zu Frankreich im Landkreis
Und da wären wir erneut mitten in der illustren Runde, die sich gedanklich rund um den Kamin versammelt hat: Vom in Schönberg ansässigen Elsaß-Bäcker Toni Jung über lokale Polit-Prominenz hin zu Vertretern von Krieger- und Soldatenkameradschaft oder Bildungseinrichtungen. Allein die an diesem Abend im Pauliwirt versammelten Städtepartnerschaftsvereine bilden zwischen Sartrouville im Umkreis von Paris sowie Tours und Azay-le-Ferron mit einem typischen Loire-Schloss eine wunderbare Reise durch die Landschaften Frankreichs ab.
Geradezu fasziniert sei Walter Göbl gewesen, in der Vorbereitung dieser Veranstaltung derart viele Bezüge im Landkreis Mühldorf zu den französischen Nachbarn gefunden zu haben. „Vieles ist heute allerdings bereits selbstverständlich geworden“, gibt Göbl zu bedenken.
Schul- und Städtepartnerschaften sind das A und O
Allem voran der seit Jahrzehnten im Landkreis beheimatete Elsaß-Bäcker Toni Jung, der immer wieder das Wort ergriff - mitunter auch, um den Finger in die Wunde zu legen. „Gerade bei den Schulpartnerschaften haben wir ein Problem: Es kommt nichts nach!“ Im Gegensatz zur „Euphorie“ in den 60er-Jahren sei es für die heutige Jugend nicht mehr so attraktiv, nach Frankreich zu gehen; man lerne lieber Spanisch, wirft Sigmund Hümmrich-Welt, der Vorsitzende des Partnerschaftsvereins Waldkraiburg-Sartrouville ein: „Damals war Frankreich das Tor nach draußen. Heute gibt es eine große Auswahl an Ländern.“
Umgekehrt, wirft Gunter Fuchs, Oberstudiendirektor am Gymnasium Gars, das zwei Partnerschaften mit Frankreich pflegt, ein, dass das Interesse der Franzosen an der deutschen Sprache wie auch der französischen Schulen an Austausch begrenzt seien. Während es nicht so häufig sei, eine französische Partnerschule zu finden, die Deutschunterricht anbietet, sei beispielsweise am Gymnasium Gars Französisch „wieder am Kommen“, führt Fuchs weiter aus.
Franzosen müssen „für Schwung“ sorgen
Damit war der Staffelstab an die politischen Vertreter übergeben, den die stellvertretende Landrätin Ilse Preisinger-Sontag gerne aufnahm. An die französischen Partner adressiert sie in deutlichen Worten, dass es wichtig sei, Schwung in die Angelegenheit hineinzubekommen: „Jetzt ist Frankreich an der Reihe, die deutsche Sprache anzuschieben.“
Karriereaussichten im deutschen Sprachraum
„Die Sprache des anderen spielt eine große Rolle“, so der stellvertretende Generalkonsul Clouet. Die „Mobilität der Jugendlichen“ mache viel an Attraktivität einer Sprache aus. Diesen „pragmatischen Ansatz“, eine Fremdsprache zu lernen, gelte es mit Blick auf „Regionen mit großem Wachstum“ wie Deutschland, Österreich und Schweiz aufzugreifen. Ein Gedanke, den Walter Göbl seinerseits aufgreift und sinngemäß auf den Punkt bringt: Mögliche Jobs und Zukunftsaussichten im deutschsprachigen Raum sind ein gutes Argument für die französischen Jugendlichen, wieder mehr Deutsch zu pauken.



