Nach Landkreis-Gipfeltreffen in Mühldorf
„Bürger sollten selbst vorsorgen“: Was Oberbayerns Landräte angesichts der Dauer-Krise fordern
Besorgniserregende Corona-Zahlen, die Unterbringung von immer mehr Flüchtlingen und die Gefahr von Blackouts – es waren keine rosigen Themen, die man sich im Landratsamt Mühldorf bei der Tagung des Bezirksverbands Oberbayern vorgenommen hatte.
Mühldorf – „Es sind unruhige Zeiten für die Landkreise“, leitete Eichinger seine Zusammenfassung des Treffens der oberbayerischen Landräte ein. Die Corona-Pandemie entwickle sich besorgniserregend.
In den Verwaltungen fielen Mitarbeiter reihenweise aus. Bei der Quarantänepflicht für symptomlos Infizierte sieht er deshalb „Handlungsbedarf des Gesetzgebers“. Auch in den heimischen Kliniken „schlägt Corona massiv zu“, so Heimerl, „sowohl was die zu behandelnden Patienten als auch die erkrankten Mitarbeiter angeht.“
„Wirtschaftlichkeit der Kliniken gerät überall in Schieflage“
Auch, wenn die Schwere der Fälle abgenommen hat, müssten derzeit immer mehr Patienten von immer weniger Personal versorgt werden. Die Schließung des Klinikums Haag, um den Betrieb im Haus Mühldorf zu sichern, nannte er eine „dramatische Entwicklung, wir müssen die verbliebenen Kräfte bündeln“.
Der Bund habe seine Corona-Ausgleichszahlungen eingestellt, obwohl die Klinik-Einnahmen durch die Aussetzung planbarer Operationen wegen Corona weiter sinken. „Dazu kommen Inflation und die Energiepreisentwicklung“, so Heimerl. „Die Wirtschaftlichkeit der Kliniken gerät überall in Schieflage.“
Kliniken sind Energiefresser
„Im Jahr 2023 werden über 80 Prozent der Krankenhäuser rote Zahlen schreiben“, prophezeit Thomas Eichinger. Kliniken seien Energiefresser. Allein die Gaskosten des Klinikums in seinem Landkreis Landsberg am Lech würden sich mehr als verachtfachen, von 300.000 Euro auf 2,5 Millionen Euro pro Jahr. Auch das „InnKlinikum“ heizt mit Gas. Wie sich diese Kosten entwickelt haben, dazu nannte Heimerl keine Zahlen.
„Es könnte zu einer kalten Bereinigung der Kliniklandschaft kommen mit der Schließung kleiner, ländlicher Standorte“, mutmaßt Eichinger. Und weiter: „Wahrscheinlich käme das dem Bund gar nicht ungelegen.“ Die Fusion der Kliniken Altötting und Mühldorf im Jahr 2019 sei in dieser Hinsicht gerade noch rechtzeitig gekommen, um eine relativ sichere wirtschaftliche Größe zu erreichen, stellte Mühldorfs Landrat mit gedämpfter Freude fest. Denn anstatt in den Folgejahren die Konzentration im „InnKlinikum“ voranzutreiben, seien seit Beginn der Pandemie in der Hauptsache nur noch Krisen gemanagt worden.
„Verständnis und das Engagement für Flüchtlinge nimmt ab“
Das Asyl- und Flüchtlingsgeschehen sieht Eichinger „in ungeahnter Dringlichkeit angewachsen“. Über die Landkreise hinweg wurden aktuell jeweils 50 Zugänge aus den Ankerzentren zugewiesen. „Diese Unterbringung haben wir nicht bestellt, sie wurde uns vor die Tür gestellt“, so Eichinger. Dem gegenüber stehe die veränderte Stimmungslage in der Bevölkerung: „Jeder hat in der momentanen Krisenlage individuelle Sorgen. Das Verständnis und das Engagement für Flüchtlinge nimmt ab.“
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Auch der Landkreis Mühldorf versucht dringend, private Unterkünfte für Geflüchtete zu finden, egal ob aus der Ukraine oder aus nicht-europäischen Staaten. Mit mäßigem Erfolg. Als Plan B für die Unterbringung nennt Landrat Max Heimerl „Container oder Traglufthallen und als letzte Lösung Turnhallen.“ Auch wenn das keiner will, scheint diese Ultima Ratio doch die wahrscheinlichste, denn die Errichtung von Containern oder Traglufthallen hat mit ihrer Planung, europaweiter Ausschreibung sowie Bestell- und Bauzeit einen langen Vorlauf von rund neun Monaten, wie der Bezirksverband-Vorsitzende vorrechnet. Viele Container würden derzeit etwa als Corona-Teststationen genutzt, oder sie stehen lange nach der Flutkatastrophe noch immer im Ahrtal.
Eines steht für Eichinger fest: „In Oberbayern wurden zu wenige Unterbringungsmöglichkeiten für Geflüchtete geschaffen. Wir müssen jede Ressource nutzen, notfalls auch kommunale Turnhallen ‚beschlagnahmen‘.“ Auch der Grundsatz, Ukraineflüchtlinge getrennt von Asylbewerbern unterzubringen, steht wegen des Platzmangels auf der Kippe. Das könne wegen der ungleichen Behandlung dieser Gruppen durch den Bundesgesetzgeber zu erheblichem Unfrieden führen.
Einen Blackout, also einen flächendeckenden Stromausfall, hält Thomas Eichinger für eher unwahrscheinlich: „Trotzdem sollten die Bürger selbst vorsorgen und Vorräte an Lebensmitteln und Wasser anlegen.“ Dieser Rat habe aber nichts mit Panikmache zu tun.
„Leuchttürme“ für Bürger in Not
Für den Fall der Fälle will der Landkreis „Leuchttürme“ schaffen. Das sollen Anlaufstellen in den Gemeinden sein, wo Bürger im Notfall geholfen wird. An der Ausarbeitung wird zusammen mit den Gemeinden gerade gefeilt. Wenn das System steht, werden die Bürger darüber informiert. Denn: „Ins Internet schauen geht nicht mehr, wenn der Strom tatsächlich weg ist“ so Eichinger. „Da muss man vorher wissen, wo man hinkann.“ Auch sein Landkreis wird den Bürgern solche Anlaufstellen bieten.
„Gemeinsam können wir das schon schaffen“, ist sich Landrat Heimerl sicher und hofft auf die richtigen politischen Entscheidungen. „Wir appellieren an die Eigenverantwortung jedes Einzelnen. Gemeinden, Landkreise und der Staat können nicht alles leisten.“
„Selbsthilfegruppe“ der Landkreise
Der Bezirksverband Oberbayern ist ein Zusammenschluss der oberbayerischen Landkreise unter dem Dach des Bayerischen Landkreistags. Bezirksverband-Vorsitzender Thomas Eichinger, Landrat von Landsberg am Lech, nennt den Bezirksverband gerne mal „Selbsthilfegruppe“, denn in diesem Gremium tauschen sich die Landräte über ihre Sorgen und Nöte, aber auch über Erfolge und Lösungen aus. Helfen sich gegenseitig weiter. „Es tut gut, nicht allein zu sein“, pflichtet Mühldorfs Landrat Max Heimerl bei.
Zwischen der Bayerischen Regierung, den einzelnen Landräten und dem Bayerischen Landkreistag gebe es eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit. In Präsenzveranstaltungen oder in Video-Konferenzen untereinander sowie mit Regierungsvertretern findet regelmäßig ein intensiver Austausch zu aktuellen Themen statt.
„Seit 2015, beginnend mit der Flüchtlingswelle aus Syrien, bestimmen Krisen die Arbeit des Bezirksverbands und die Arbeit in den Verwaltungen“, stellt Andrea Dengl fest.