Fit gemacht in Tyrlaching
Stationen am Limit: Nasskaltes Wetter erschwert Igeln die Vorbereitung für Winterschlaf
Die Igelstationen in der Region arbeiten am Limit: Durch das nasskalte Wetter steigt die Zahl hilfsbedürftiger Stacheltiere und dies stellt die freiwilligen Helfer vor enorme Herausforderungen. Tipps für den Umgang mit den stacheligen Gartenbewohnern.
Tyrlaching – Es war ein langer Arbeitstag: Seit 9 Uhr morgens versorgen Sophia Strauss und einige ihrer Helferinnen 80 hilfsbedürftige Tiere in der Igelstation an der Chiemseestraße 15 in Tyrlaching. Allein das gründliche Reinigen der Boxen hat fast vier Stunden gedauert. Dazu kommen Wundversorgung, die zeitintensive Betreuung von schwachen Igeln und natürlich mehrfach täglich die Aufnahme von Neuzugängen, einschließlich deren gründlicher Untersuchung.
Nicht nur in Tyrlaching, auch in den anderen Igelstationen in der Region, zum Beispiel in Töging, Grabenstätt und Amerang arbeiten die freiwilligen Helfer am Limit. „Bevor der Winter kommt, ist in allen Stationen Hochsaison“, erzählt Sophia Strauss. Und heuer sei es besonders schlimm. Das nasskalte Wetter, der frühe kurzzeitige Wintereinbruch, stellenweise sintflutartiger Regen – alles Umstände, die den stacheligen Gartenbewohnern das Leben schwer machen und die Jungtiere dabei behindern, sich vor dem Winterschlaf genügend Speck anzufressen.
Igelstationen personell und räumlich am Limit
In der Station in Tyrlaching klingelt das Telefon zeitweise im Minutentakt. Und jeder neue vierbeinige Patient bedeutet auch eine neue Herausforderung: Das Prozedere bei jedem Tier muss je nach seinem Zustand besprochen werden. Sophia Strauss ist Ärztin und betreibt in dem Anwesen, das ihrer Mutter gehört, eine Praxis für integrative Medizin. Die 33-Jährige klärt zunächst die Finder am Telefon über Erste-Hilfe-Maßnahmen auf und vereinbart, wenn nötig, einen Termin zur Aufnahme des Igels in die Station.
Allerdings sind derzeit die Kapazitäten in Tyrlaching – wie aktuell die aller anderen Igelstationen – personell und räumlich am Limit. Das liegt vor allem daran, dass viele Jungigel tagaktiv werden, wenn im Herbst Kälteeinbrüche wie zuletzt auftreten. Ohne professionelle Hilfe haben sie keine Chance, die nächste Zeit, geschweige denn einen notwendigen Winterschlaf zu überleben. „Wir versuchen nach unseren Möglichkeiten, jeden, der einen Igel findet, so gut es geht zu beraten, die Hilfsbedürftigkeit des Igels einzuschätzen und falls nötig, eine fachlich kompetente Betreuung des Igels in der Station zu gewährleisten“, sagt Sophia Strauss.
Unwissenheit verschlimmert oft die Lage der Tiere
Dabei ist das größte Problem nicht die große Zahl der gemeldeten Igel. Viele Finder bringen die Tiere und haben trotz bester Absicht aus Unwissenheit den Zustand der Tiere verschlechtert. Die Ärztin nennt ein Beispiel vom Vortag: „Um 21 Uhr, wir sind gerade mit der Stationsarbeit fertig geworden, bekommen wir die Anfrage eines Finders, der einen tagaktiven, sehr kleinen Igel gefunden hat. Auf Nachfrage, wann und in welchem Zustand der Igel gesichtet wurde, berichtet der Tierfreund, es sei bereits am Morgen geschehen, doch nachdem man ja schließlich in die Arbeit müsse, sei der Igel erstmal draußen in einem Karton gelassen worden. Futter habe man ihm hingestellt. Nach Feierabend sei dem Finder dann aufgefallen, dass der Igel sehr schwach scheine und auch etwas auf ihm krabbeln würde. Daher wäre es jetzt vielleicht doch gut, wir würden uns darum kümmern.“
Ohne professionelle Hilfe ist die Situation dieses Igels aussichtslos – durch geeignete Maßnahmen in der Station könnte man ihm wenigstens die Chance aufs Überleben geben. So müssen also Sophias Lebenspartner Michael Tausch und die Erholung warten. Der Finder wird gebeten, sich sofort mit dem Igel auf den Weg nach Tyrlaching zu machen. Was wenig später ankommt, ist ein nur 110 Gramm schweres Igelbaby, völlig dehydriert, eiskalt und mit einem massiven Befall von Fliegenmaden – ein Intensivpatient! Die Akutbehandlung (vorsichtiges Aufwärmen im Inkubator, penibles Absammeln der Maden, langsame Rehydrierung) dauert über zwei Stunden.
Durch umsichtiges und schnelles Handeln des Finders wäre es vielleicht nicht ganz so schlimm geworden. Fachinformationen findet man problemlos im Internet – unter anderem auf der Website: chiemgau-igelfreunde.de. Dort findet man unter anderem eine detaillierte Erste-Hilfe-Anleitung. Das Wichtigste für das Überleben eines hilfsbedürftigen Igels ist, so schnell es geht professionelle Hilfe zu suchen und keine Eigenversuche zu unternehmen. Im Bundesnaturschutzgesetz und im Tierschutzgesetz ist geregelt, dass ein Wildtier – ein besonders geschütztes wie der Igel erst recht – nur von fachkundigen Personen betreut und versorgt werden darf. Aber auch Laien dürfen unter der Anleitung einer erfahrenen Fachperson einen Igel erstversorgen und übergangsweise bei sich aufnehmen, wenn seine Gesundheit nicht akut gefährdet scheint. Weil das ein Laie in der Regel nicht exakt einschätzen kann, ist der rasche Kontakt zu einer Igelstation oder einer Person vom Fach unumgänglich.
Überlastete Stationen telefonisch nicht erreichbar
Das Problem besteht aktuell darin, dass die überlasteten Stationen oft nicht sofort telefonisch erreichbar sind. Und nicht alle Finder kann man so schnell zurückrufen, wie es wünschenswert wäre. Auch den Wunsch, einen gefundenen Igel „mal eben abzuholen“ könne man leider nicht erfüllen, „denn wir arbeiten alle ehrenamtlich in der Igelstation und haben alle einen Hauptberuf.“ Es sei schon vorgekommen, dass Anrufer entrüstet darauf hingewiesen haben: „Aber das ist doch Ihre Aufgabe. Ich kann den Igel doch jetzt nicht bringen, kümmern Sie sich doch darum.“ Angesichts einer solchen Argumentation sind dann auch Sophia Strauss und ihre Mitstreiter oft sprachlos. Der Igel ist durch die Veränderungen der letzten Jahre (Klimawandel, Insektensterben, Flächenversiegelung etc.) in Bayern bereits auf der Vorwarnliste der Roten Liste. Mit anderen Worten: Ohne die Mithilfe eines jeden wird es eines der ältesten Säugetiere der Welt möglicherweise nicht mehr lange geben.
Es kursieren vor allem im Internet widersprüchliche Informationen zum Thema Igelpflege. Dazu sagt Sophia Strauss: „Weil wir mit erfahrenen Igelstationen zusammenarbeiten und den Anspruch haben, Igelpflege auf höchstem Niveau zu betreiben, empfehlen wir dringend, sich an die von uns zur Verfügung gestellten Informationen zu halten. Auch wir können nicht alle Igel retten, doch mit den richtigen Maßnahmen tragen die Finder entscheidend dazu bei. Wir betreiben die Igelhilfe, weil wir dem immer stärker steigenden Leid der Tiere nicht tatenlos zusehen wollen. So können wir in der Station 200 bis 300 Igeln pro Jahr ein Überleben ermöglichen, die ohne professionelle Hilfe dem sicheren Tod geweiht gewesen wären.“
Mit dieser Schilderung ihrer Arbeit und der von rund einem halben Dutzend freiwilligen Helfern in der Igelstation in Tyrlaching hofft Sophia Strauss auf die Unterstützung von weiteren Lesern der Heimatzeitung. Durch aktive Mitarbeit in dem gemeinnützigen Verein, zum Beispiel bei der täglichen Versorgung der Igel, könnte die Last auf mehr Schultern verteilt und leichter getragen werden. Gerne informiert sie Interessierte unter der Telefonnummer 01578-1912989. Auch Spenden für den Kauf von Futter und Medikamenten würden die Arbeit erleichtern. Die IBAN des Spendenkontos ist DE67 7115 1020 0031 9154 65 bei der Sparkasse Altötting-Mühldorf.
Tips für den Umgang mit hilfsbedürftigen Igeln:
1. Wer einen hilfsbedürftigen Igel entdeckt (zB durch Tagaktivität, Liegen in der Sonne, Schwäche, zu geringes Gewicht, sichtbare Verletzungen), sollte ihn schnellstmöglich sichern und die richtigen Erste-Hilfe-Maßnahmen einleiten. Dazu gehört u.a. die Unterbringung in einem warmen Raum – nicht bei 6 Grad C in der Garage stehen lassen, weil „der Igel ja so stinkt“.
2. Bitte zunächst kein Futter anbieten – ausgehungerte, unterkühlte Igel können an der Nahrungsaufnahme sterben!
3. Unverzügliche Kontaktaufnahme mit einer fachkundigen Stelle. Nicht jeder Tierarzt verfügt über die notwendige Fachkenntnis für den Patient „Igel“; auf der Website des Vereins findet man einige Empfehlungen. Vermeintlich richtige Therapien, wie zum Beispiel das Anwenden von konventionellen Anti-Floh-Mitteln können Igel rasch töten.
4. Wenn wie aktuell alle Igelstationen im Umkreis voll belegt sind und ein Aufnahmestop herrscht, bitte eine Nachricht auf den entsprechenden Anrufbeantwortern hinterlassen – in Tyrlaching bemüht man sich, alle Anfragen so schnell wie möglich zu beantworten.
von Klaus Oberkandler

