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Russland-Experte bei Empfang in Burgkirchen

„Putin hat Angst vor dem eigenen Volk“: Ex-Botschafter in Moskau bei Wirtschaftsempfang

Beim diesjährigen Wirtschaftsempfang in Burgkirchen war Rüdiger von Fritsch (Foto r.o.: 2.v.l.) als Festredner geladen und sprach über Putin und seinen Krieg in der Ukraine.
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Beim diesjährigen Wirtschaftsempfang in Burgkirchen war Rüdiger von Fritsch (Foto r.o.: 2.v.l.) als Festredner geladen und sprach über Putin und seinen Krieg in der Ukraine.

Beim diesjährigen Wirtschaftsempfang in Burgkirchen war Rüdiger von Fritsch als Redner geladen: Der ehemalige Botschafter in Moskau ist bekannt für seine Expertise zu Russland und sprach Klartext über Putins Krieg und sein wahres Ziel. Ein Abend, der tiefe Einblicke lieferte und Anlass zur Zuversicht bot.

Burgkirchen – Der diesjährige Wirtschaftsempfang der Landkreise Altötting und Mühldorf und der IHK war ein voller Erfolg: Gespannt lauschten die rund 600 Gäste aus der heimischen Wirtschaft und Politik einem Vortrag von Rüdiger von Fritsch, dem ehemaligen deutschen Botschafter in Moskau und Warschau. Auf der Bühne des Burgkirchner Bürgerzentrums bot der Experte tiefe Einblicke in die Seele Russlands und das Trauma, das Putin antreibt, seinen Krieg zu führen. Dass sich letzterer auch zusehends auf die heimische Wirtschaft auswirkt, hob Max Heimerl, der Landrat von Mühldorf, in seiner Eröffnungsrede hervor. „Der Motor stottert auch im Chemiedreieck“, sagte er. „Und das, obwohl es sich um eine echte Aufsteigerregion handelt.“

Warum sich Russland zum Opfer stilisiert

In seinem Vortrag „Zeitenwende. Putins Krieg und die Folgen“ skizzierte Rüdiger von Fritsch anschließend die tiefen Wunden, die der Zusammenbruch der Sowjetunion in der russischen Seele hinterlassen hat: Ein Trauma von Verlust und Phantomschmerzen treibe Wladimir Putin an und dieser Schmerz bestimme seine Strategie auch heute, so der ehemalige Botschafter. Russlands vergangene Größe habe auf Mord, Verfolgung und Kolonialherrschaft basiert – doch damit habe man sich nie selbstkritisch auseinandergesetzt. „Stattdessen stilisiert sich Russland zum Opfer“, so von Fritsch. „Und die Geschichte wird so zurechtgebogen, dass sie eigenen Zwecken dient.“ Es habe zwar Versuche gegeben, die eigene Geschichte aufzuarbeiten, beispielsweise durch die Menschenrechtsorganisation „Memorial“, doch die Bewegung ist 2022 verboten worden.

Seit dem Zerfall der UdSSR habe Putin zusehen müssen, wie Russland an Bedeutung verlor und es von anderen Ländern überholt wurde. „Eigentlich ist es das reichte Land der Erde“, so von Fritsch, doch auch der „kleine kommunistische Bruder“ China sei wirtschaftlich an ihm vorbeigezogen. „Das hat mit dem politischen System zu tun“, erklärte von Fritsch. In Russland handele es sich nicht nur um eine Autokratie, sondern auch um eine Kleptokratie, in der das Volk ständig von einer kleinen Elite bestohlen werde. „Das geht auf Dauer nicht gut“, so der Ex-Botschafter, denn das Land verliere so die Fähigkeit, international mitzuspielen. Dabei sei Russland ohnehin nicht gut darin, Freunde zu finden – auch hierbei wird es von China in den Schatten gestellt.

Propaganda und Angst als Putins Waffen

Frustriert vom Spiel der Supermächte habe Putin schließlich das Schachbrett umgestoßen und gezeigt, dass ihn Abmachungen und Regeln nicht mehr interessierten. Die Anwendung von Gewalt sei das letzte Instrument, das Putin noch geblieben sei, hob von Fritsch hervor. Dass die NATO durch ihre Osterweiterung den Krieg in der Ukraine verursacht habe, sei Unfug. Jedes Land hat das Recht auf freie Bündniswahl“, so von Fritsch, und verweist auf die Schlussakte von Helsinki und die Charta von Paris. Ihm zufolge war es die Möglichkeit der Selbstbestimmung, die den Ostblockländern erlaubte, sich der freien Wirtschaft und dem Schutz westlicher Bündnisse anzuschließen.

Putin dagegen waren die Freiheit und Unabhängigkeit in Europa ein Dorn im Auge – eine Bedrohung, die es zu bekämpfen gilt. Von Fritsch zeichnete das Bild eines KGB-Offiziers, der auch als Diktator ständig unter der Annahme steht, beobachtet zu werden oder Opfer einer Verschwörung zu sein. Putin halte seine Macht durch drei Mittel aufrecht: Propaganda, Bestechung und Repression, wobei letztere eine zentrale Rolle spiele. Die große und ständige Lüge, Zustimmung zu erkaufen und die Angst als Mittel der Herrschaft lassen jedoch die Entstehung eines blinden Flecks zu: „Wenn alle ständig in Angst leben, dann berät niemand mehr zuverlässig“, so von Fritsch. „Niemand wagt mehr den Widerspruch. Man hört nur, was man hören möchte.“ So entstünden Lücken im Netz.

„Putin muss auch zu Hause um seine Macht kämpfen“

Laut von Fritsch, gehe es Putin bei seinem Angriffskrieg nicht nur um die Ukraine, sondern „um uns“. „Er forderte den Abzug der NATO, dass keine weiteren Mitglieder aufgenommen werden und, dass die USA ihren nuklearen Schutzschirm über Europa zurückziehen soll“, erläutert der Ex-Botschafter. Putin wolle Europa schwächen, doch die Erwartung eines schnellen Siegs in der Ukraine sei gescheitert: „Unsere Geschlossenheit hätte er nie erwartet“, so von Fritsch und Putin stehe nun unter ständig wachsendem Druck. „Putin hat Angst vor dem eigenen Volk. Er hat Angst vor einem unbekannten Anführer und Angst vor dem Unmut der Mütter.“

Weil Putin „zu Hause“ zusehends unter Druck stehe und um seine Macht kämpfen müsse, sei ein friedlicher Kompromiss in der Ukraine keine Option für ihn. Weil die Folgen des Kriegs mehr und mehr in Russland spürbar werden und immer weniger Mittel und Männer zur Verfügung stehen, sieht der Experte einen Streifen Hoffnung am Horizont: „Wir müssen diese Entwicklung fördern“, rät von Fritsch. Zunehmende Isolation und noch größerer Druck könnten Putin dazu bringen, einen Kompromiss einzugehen. Vom „Nachgeben“ rät der Diplomat jedoch ab, denn dies könnte als Ermutigung betrachtet werden. „Offensichtlich kommt es auf uns an“, schlussfolgerte von Fritsch. „Sind wir bereit, das durchzustehen?“ Ein Blick auf die Geschichte lohne sich, um zu sehen, ob man fähig zur Problemlösung sei. Bis dahin rät der Diplomat zur Zuversicht und verspricht: „Denn es gibt Anlass dafür“

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