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Interview mit Prof. Dr. Nikolaus Netzer

Wie man guten Schlaf trainiert und warum die Schule zu früh anfängt: Schlafmediziner im Gespräch

Schlafmediziner Prof. Dr. Nikolaus Netzer und Symbolbild mit Wecker
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Schlafexperte Prof. Dr. Nikolaus Netzer beantwortet Fragen zum gesunden Schlaf.

Jeder Mensch muss schlafen. Doch nicht jeder Schlaf ist auch erholsam. Viele Menschen leiden unter den Folgen von Schlafmangel oder schlimmstenfalls auch an Schlafstörungen. Doch wie lange sollte man eigentlich schlafen und kann man gesunden Schlaf trainieren? Diese und viele weitere Fragen hat uns Schlafmediziner Prof. Dr. Nikolaus Netzer aus dem Schlaflabor Bad Aibling beantwortet.

Wie definiert man erholsamen, gesunden Schlaf?

Prof. Dr. Nikolaus Netzer: Erholsamer, gesunder Schlaf enthält ausreichende Mengen an Tiefschlaf, REM-Schlaf, im Volksmund auch Traumschlaf genannt (wobei nicht im gesamten REM-Schlaf geträumt wird) und leichtem Schlaf dazwischen. Zahlreiche Studien, mit Veröffentlichungen auch aus unserem Institut, haben ergeben, dass auch bei kürzerer Schlafdauer, diese Schlafphasen alle vertreten sind, aber es kommt eben auch auf die Quantität der Schlafphasen an. Auf 24 Stunden gerechnet sollten so eineinhalb Stunden Tiefschlaf und eine bis eineinhalb Stunden REM-Schlaf zusammenkommen, dazwischen rund vier Stunden leichterer Schlaf.

Wie wichtig ist Schlaf für den menschlichen Körper?

Prof. Dr. Nikolaus Netzer: Lebens- bzw. überlebenswichtig. Sehr lange ohne Schlaf, mehr als 2-3 Wochen würden wir nicht überleben. Im Schlaf baut sich unser Immunsystem auf und verarbeitet das Gehirn alle Daten, die wir über den Tag im Wachzustand gesammelt haben. Zusätzlich laufen im Schlaf zahlreiche Stoffwechselvorgänge ab, bestimmte Speicher von Hormonen und Überträgerstoffen werden wieder aufgefüllt, andere entleert.

Wie viel Schlaf braucht ein Mensch und wovon hängt das ab?

Prof. Dr. Nikolaus Netzer: Es gibt tatsächlich individuelle Unterschiede beim Schlafbedürfnis und man kann auch tatsächlich ein bestimmtes Schlafverhalten trainieren. Grundsätzlich geht man aber davon aus, dass Frauen rund siebeneinhalb Stunden Schlaf auf den 24 Stunden Tag brauchen und Männer sieben Stunden. Weniger als fünf bis sechs Stunden sollten es im Schnitt auf jeden Fall nicht sein. Die Legenden, die sich um historische Persönlichkeiten ranken, die angeblich immer mit weniger als fünf Stunden Schlaf auskamen, sind wahrscheinlich dadurch zu erklären, dass diese Personen zwischendurch doch eine kurze Siesta gehalten haben und so auf über sechs Stunden Schlaf im Schnitt kamen. Kinder brauchen von der Geburt bis ins höhere Teenie Alter mehr Schlaf als Erwachsene. Wir brauchen mehr Schlaf, wenn wir eine Krankheit auskurieren und unser Immunsystem Höchstleistung vollbringen muss. Dass ältere Menschen weniger Schlaf brauchen als mittelalte Erwachsene ist nicht richtig. Es ist aber normal, dass ältere Menschen nicht mehr so gut durchschlafen können wie jüngere Erwachsene und zum Nachtschlaf noch das eine oder andere Nickerchen dazu brauchen.

Wie wichtig ist ein geregelter Schlafrhythmus?

Prof. Dr. Nikolaus Netzer: Sehr wichtig. Ein geregelter Schlafrhytmus, also an den meisten Tagen der Woche in etwa die gleichen zu Bettgeh- und Aufstehzeiten, sorgt dafür, dass alle Schlafphasen in ausreichender Menge ablaufen können. Was man nicht tun sollte ist auf vermeintlich schlechtes Einschlafen mit einer immer früheren Zubettgehzeit zu reagieren. Das bringt den Schlafrhytmus komplett durcheinander. Lieber warten, z.B. vor dem Fernseher bis einem von allein die Augen zufallen und dann richtig müde ins Bett gehen. Man sollte seinem Körper auch etwas vertrauen, er regelt vieles von alleine sehr gut.

Kann man gutes Schlafen lernen?

Prof. Dr. Nikolaus Netzer: Ja. Das ist der Sinn von Schlafschulen- bzw. Schlaftraining. Dabei hilft ein Schlaftagebuch, Entspannungs- und Meditationstraining, aber eben auch zu lernen auf seinen Körper zu hören, was er wirklich braucht. Die Eine braucht noch einen spannenden Krimi, der Andere einen Liebesfilm, der Nächste Gassigehen mit dem Hund zum runterkommen und guten Einschlafen. Das Feierabendbier kann helfen zu entspannen, aber eben wirklich am Feierabend zwischen 18 und 20 Uhr und nicht als Schlaftrunk.

Welche Folgen kann Schlafmangel haben?

Prof. Dr. Nikolaus Netzer: Aus dem bereits Genannten ergeben sich auch die Folgen von Schlafmangel. Wobei Schlafmangel nicht so sehr durch die Gesamtschlafdauer zu definieren ist, sondern vielmehr durch den entscheidenden Mangel, der oben angesprochenen Schlafphasen. Bei Schlafmangel ist unser Gehirn nicht mehr in der Lage, die gesammelten Daten zu sortieren und zu speichern. Mittelfristig bedeutet dies eine erhebliche Abnahme der geistigen Leistungsfähigkeit, Konzentrationsfähigkeit und der Lernfähigkeit. Erheblicher Schlafmangel führt zu einem nicht mehr voll funktionierendem Immunsystem mit einer erheblichen Einschränkung der Abwehrkräfte. Und natürlich kommt auch unser Stoffwechsel ins Schleudern, wichtige Hormone fehlen für normale Körperfunktionen.

Können durch Schlafmangel oder schlechten Schlaf Krankheiten entstehen? Wenn ja, welche?

Prof. Dr. Nikolaus Netzer: Erheblicher Schlafmangel kann Diabetes, also Zuckerkrankheit, begünstigen, natürlich auch verschiedenste Infektionskrankheiten auslösen, von der einfachen Erkältung bis zur schweren Lungenentzündung, möglicherweise Bluthochdruck fördern und begünstigt Übergewicht. Auch die physische Ausdauerleistungsfähigkeit und Muskelkraft leiden und wahrscheinlich sind auch Sexualfunktionen eingeschränkt.

Zur Person Prof. Dr. Netzer

Seit jetzt 38 Jahren ist Prof. Dr. Nikolaus Netzer aus Bad Aibling in der Schlafmedizin und Schlafforschung aktiv. Noch als Student kam er über die Liebe zu einer Studienkollegin, die ihre Doktorarbeit in der Schlafmedizin schrieb, 1984 zur Schlafmedizin und schrieb erste Artikel über die Arbeit in Schlaflaboren und die noch kaum bekannte Schlafapnoe in verschiedenen Zeitungen, z.B. auch der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Als Assistenz- und Facharzt verfolgte er das Thema konsequent weiter und arbeitet bis heute in Schlaflaboren in der Heimat und den USA. Nach mehreren tausend behandelten Patienten mit Schlafstörungen und deutlich mehr als 150 wissenschaftlichen Publikationen, gilt er als weltweit anerkannter Spezialist im Bereich der Schlafmedizin mit einem sehr großen Erfahrungsschatz, der den Patienten zu gute kommt. Seine beiden größten Errungenschaften im Laufe seiner Karriere als Schlafmediziner und Wissenschaftler sind die Gründung der Fachzeitschrift Sleep and Breathing vor 26 Jahren, die heute als eine der etabliertesten englischsprachigen wissenschaftlichen Journale im Bereich Schlafforschung gilt und vom weltweit größten Medizinfachverlag Springer Nature herausgegeben wird sowie die Entwicklung des weltweit meist verwendeten Fragebogen für Patienten mit Schlafstörungen in Allgemeinmedizinpraxen, des Berliner Fragebogen, der in mehr als 150 Sprachen übersetzt wurde.

In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich Prof. Netzer im Bereich Schlafmedizin wissenschaftlich auf Schlafstörungen bei älteren Menschen und auf Schlaf in großen Höhen spezialisiert. Seit mehr als 10 Jahren leitet er die Arbeitsgruppe Geriatrie der Deutschen Gesellschaft für Schlafmedizin und Schlafforschung. Er hat eine Ehrenhonorarprofessur der Universität Innsbruck inne, ist ausserordentlicher Professor an der Universität Ulm und Visiting Professor an der Case Western Universität in Cleveland. Seit Februar 2021 ist er ausserdem engagiert als wissenschaftlicher medizinischer Direktor der Forschungseinrichtung Terra X Cube in Bozen.

Ab wann spricht man von einer Schlafstörung?

Prof. Dr. Nikolaus Netzer: Wenn die oben genannten Schlafphasenumfänge nicht mehr erreicht werden, wenn der Schlaf durch mehr als die normalen kurzen Weckphasen dauernd unterbrochen wird z.B. bei Schlafapnoe und unruhigen Beinen aber auch bei Schmerzsymptomen und internistischen Erkrankungen, wir sprechen dann von erheblich fragmentiertem Schlaf, und die Gesamtschlafdauer deutlich zu kurz oder zu lang ist. Es gibt aber auch eine Reihe von komplexen Schlafstörungen, z.B. die Tag-Nachtumkehr bei Demenzpatienten und Schlafverhaltensstörungen, bei denen Menschen die Trauminhalte mit echten Bewegungen der Arme und Beine ausleben und dabei Möbel umwerfen oder den Bettnachbarn verletzten.

Gibt es Menschen, die anfälliger für Schlafstörungen sind als andere?

Prof. Dr. Nikolaus Netzer: Menschen, die unter Depressionskrankheit leiden, sind deutlich öfter von Schlafstörungen betroffen, erhebliches Übergewicht kann Schlafapnoe begünstigen und viele Hormonmangel- oder Überfunktionen führen zu Schlafstörungen. In den letzteren Bereich fallen auch Personen mit Parkinsonerkrankung. Bei angeborener Blindheit müssen Menschen sich einen Tag-Nachtrhythmus antrainieren und Augenkrankheiten allgemein können zu Schlafstörungen wegen eines gestörten Melatoninhaushalts führen. Menschen, die im hohen Norden leben, müssen aktiv durch Verdunkelung bei Mitternachtssonne und zusätzliches Licht im Winter Schlafstörungen vorbeugen.

Welche Schlaftypen gibt es? Kann man ihn ändern, wenn man will?

Prof. Dr. Nikolaus Netzer: Es gibt tatsächlich die sogenannten Lärchen- und Eulentypen und viele dazwischen. Gemäß der überwiegenden Forschung dazu, sollte man nicht versuchen den Typ gewaltsam zu ändern, eher seinen Lebensrhythmus danach anzupassen. Dies ist ja auch der Grund warum wir Schlafmediziner einen späteren Schulstart als 8 Uhr fordern, um auch den Eulentypen unter den Kindern und Jugendlichen eine Chance zu geben ausgeschlafen am Unterricht teilzunehmen.

Was kann man tun um besser zu schlafen?

Prof. Dr. Nikolaus Netzer: Wie bereits gesagt, auf die Bedürfnisse des eigenen Körpers hören. Eine gute Schlafunterlage, eine angenehme Umgebungstemperatur nicht unter 18 und nicht über 26 Grad, und natürlich die Vermeidung zu lauter bzw. zu großer Störfaktoren von Außen helfen natürlich beim Schlafen.

Gibt es ein festes Müdigkeitsfenster?

Prof. Dr. Nikolaus Netzer: Wir alle, bzw. fast alle haben eine funktionierende Innere Uhr, die zusammen mit dem Tageslicht unseren Hormonhaushalt und unser vegetatives Nervensystem steuert. Danach kommt es zu Phasen mit mehr Wachheit und mehr Müdigkeit. Ein Müdigkeitsgipfel ist am späten Mittag und frühen Nachmittag, was auch mit der Verdauung unseres Mittagessens zusammenhängt und einer ca. zwei bis drei Stunden nach Eintritt der Dunkelheit.

Was halten Sie von Power-Naps bzw. Mittagsschlaf (für Erwachsene)?

Prof. Dr. Nikolaus Netzer: Entsprechend der meisten Studien zu dem Thema können Powernaps erfrischend sein bzw. auch Schlafdefizite ausgleichen insbesondere, wenn alle Schlafphasen in ihnen im Schnellverfahren ablaufen wie zuvor beschrieben. Man kann Powernapping sogar trainieren, was Extremsportler zunehmend erfolgreich machen, wie z.B. der Weltumsegler Boris Hermann. Ältere Menschen kommen mit Mittagsschlaf und Napping ganz gut zurecht und gleichen damit unruhigeren Schlaf in der Nacht aus. Wer allerdings Napping nicht gewöhnt ist, und dann nach 5-10 min plötzlich aus dem Tiefschlaf erwacht empfindet das oft als unangenehm.

Kann man zuviel schlafen? Ist das ungesund?

Prof. Dr. Nikolaus Netzer: Hier muss man etwas vorsichtig sein mit Schlagzeilen auch von wissenschaftlichen Publikationen, weil hier meiner Meinung nach das Pferd zu oft von hinten aufgezäumt wurde, indem es Aussagen gab zu viel Schlaf sei ungesund und führe zu Krankheiten. Das ist natürlich eine Frage wie man die Statistik auswertet. Schlaf von mehr als neun Stunden wird meist durch bestehende Erkrankungen ausgelöst, z.B. durch Infektionskrankheiten, chronische internistische Krankheiten, Depressionskrankheit und fortgeschrittene Demenz um nur einige zu nennen. Es ist aber nicht der längere Schlaf der zu diesen Krankheiten führt.

nz

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