400 Standorte in Gefahr
Klinik-Reform! Weniger Häuser, aber mehr Qualität? Was das Vorhaben für uns bedeutet
Klinik-Reform, was bedeutet das genau und welche Folgen hat das für die Menschen? Minister Lauterbach brachte sein Prestigeprojekt trotz des Bruchs der Ampel-Koalition ins Ziel: Seine Klinik-Reform ist nach langem Gezerre besiegelt, soll die medizinische Versorgung grundlegend verbessern. Kritiker warnen allerdings vor dem Gegenteil: weniger Behandlungsmöglichkeiten, vor allem auf dem Land.
Deutschland - Weniger Krankenhäuser im Land, dafür bessere Qualität und mehr Spezialisierung - das sind die Ziele einer großangelegten Krankenhausreform, die der Bundestag beschlossen hat. Nach zwei Jahren Vorbereitung brachten SPD, Grüne und FDP die Reform in namentlicher Abstimmung mit ihrer Mehrheit auf den Weg. Die Opposition lehnte die Pläne ab.
Der Weg für eine grundlegende Neuordnung der Kliniken in Deutschland in den kommenden Jahren ist seit Freitagmittag nun auch endgültig frei. Der Bundesrat ließ die umstrittene Krankenhausreform passieren. Trotz Kritik mehrerer Länder fand eine Anrufung des gemeinsamen Vermittlungsausschusses mit dem Bundestag nicht die erforderliche Mehrheit.
Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sprach von einem „guten Tag für Patientinnen und Patienten“, deren Versorgung sich beispielsweise bei Krebserkrankungen verbessern werde. Die Pläne stoßen auf Zustimmung, aber auch auf viel Kritik. Befürchtet wird etwa eine Verschlechterung der Versorgung.
Zentrale Punkte der Reform
Die Reform soll den finanziellen Druck auf die Kliniken mindern und eine stärkere Spezialisierung bei komplizierteren Behandlungen durchsetzen. Dafür soll die Vergütung mit Pauschalen für Behandlungsfälle geändert werden. Künftig sollen Kliniken 60 Prozent der Vergütung schon für das Vorhalten bestimmter Angebote bekommen. Grundlage der Finanzierung durch die Krankenkassen sollen zudem neue „Leistungsgruppen“ sein. Sie sollen die jeweiligen Klinikbehandlungen genauer beschreiben und bundeseinheitliche Qualitätsvorgaben dafür absichern.
Die seit fast zwei Jahren vorbereitete Reform kann jetzt schrittweise umgesetzt werden. Lauterbach sagte, damit werde sich die Krankenhauslandschaft in den nächsten 20 Jahren grundsätzlich verändern: „Und zwar zum Guten.“ Großes Ziel ist, den finanziellen Druck auf die derzeit bundesweit 1.700 Kliniken zu vermindern. „Wir werden mehr Spezialisierung bekommen“, sagte der Minister. „Wir werden gleichzeitig sehen, dass die kleinen Krankenhäuser auf dem Land von dem leben können, was sie besonders gut können.“
Zahl der Kliniken wird sinken
Vorgesehen ist, die bisherige Vergütung mit Pauschalen für Behandlungsfälle in Kliniken zu ändern. Künftig sollen sie 60 Prozent der Vergütung schon für das Vorhalten bestimmter Angebote bekommen. Das soll den Druck senken, möglichst viele Fälle zu behandeln.
Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sagte, mit der Reform werde die Behandlungsqualität in deutschen Krankenhäusern gesteigert und ein flächendeckendes Netz guter Kliniken im Land erhalten. „Gleichzeitig werden nicht notwendige Krankenhäuser abgebaut oder umgewandelt.“ Die konkrete Umsetzung der Reform soll Schritt für Schritt über mehrere Jahre erfolgen, wird also für Patienten nicht sofort spürbar sein.
Vor der Abstimmung hatte Lauterbach noch einmal für das Vorhaben geworben. „Wir brauchen diese Reform, und zwar jetzt.“ Der Krankenhaussektor im Land sei in einer Krise. Die Versorgung sei sehr teuer. „Wir haben ein Nebeneinander von Über-, Unter- und Fehlversorgung.“ Als Beispiel für Überversorgung nannte er den häufigen Einbau von Knie-Prothesen, weil dies für Kliniken lukrativ sei.
Krankenhäuser sollen sich künftig auf Behandlungen spezialisieren, die sie besonders gut beherrschen. Strenge Qualitätsvorgaben regeln, welche Einrichtungen komplizierte Eingriffe wie etwa Darmkrebs-Operationen durchführen dürfen. Dadurch soll vermieden werden, dass unerfahrene Chirurgen in kleineren Kliniken schwierige Operationen übernehmen. Ziel dieser Maßnahme: eine bessere Versorgung für Patienten und weniger Behandlungsfehler.
FDP: Kein Krankenhaussterben auf dem Land
Oppositionspolitiker kritisierten das Ampel-Vorhaben. So fehle eine Finanzierung für die Übergangsphase, bis die Reform wirke, und eine Analyse, wie sich die Reform auswirken werde. Geäußert wurde außerdem die Befürchtung, dass sich die Klinik-Versorgung vor allem auf dem Land verschlechtern wird.
Dass auf dem Land ein großes Krankenhaussterben einsetzen werde, sei Schwachsinn, entgegnete die FDP-Gesundheitspolitikerin Christina Aschenberg-Dugnus. „Das wollen wir ja gerade verhindern mit dem Gesetz.“ Lauterbach betonte, dass Abbau nur dort stattfinden solle, wo es eine Überversorgung gebe. Kleinere Häuser auf dem Land bekämen Zuschläge, damit sie überleben könnten.
„Höchste Krankenhausdichte in Europa“
Deutschland habe die höchste Krankenhaus- und Bettendichte in Europa, heißt es vom Gesundheitsministerium. Viele Betten seien aber nicht belegt. Kliniken schreiben rote Zahlen.
Das neue Bezahlsystem soll finanziellen Druck mindern und verhindern, dass Kliniken etwa medizinisch unnötige Operationen aus Umsatzgründen machen. Grundlage der Finanzierung durch die Krankenkassen sollen „Leistungsgruppen“ sein. Sie sollen die jeweiligen Klinik-Behandlungen genauer beschreiben und bundeseinheitliche Qualitätsvorgaben absichern.
400 Kliniken weniger?
Derzeit gibt es in Deutschland rund 1700 Krankenhäuser, von denen im Zuge der Reform mehrere Hundert geschlossen werden müssen. Für Patienten bedeutet das möglicherweise längere Anfahrtswege. Dennoch sollen die meisten Kliniken innerhalb von 30 Minuten erreichbar bleiben, die maximale Anfahrtszeit soll 40 Minuten nicht überschreiten.
Die gesetzlichen Krankenkassen begrüßen mehr Spezialisierung. Der Chef der Techniker Krankenkasse, Jens Baas sprach von einer richtigen Weichenstellung für eine bessere Qualität in den Kliniken. „Es ist höchste Zeit, dass komplizierte Behandlungen stärker in größeren Kliniken zentralisiert werden. Es kann nicht mehr jedes Krankenhaus die komplette Bandbreite der Behandlungen anbieten.“ Die Kassen warnen allerdings auch vor weiteren Kostensteigerungen durch die Reform.
Auf 20 bis 30 Prozent der Standorte oder 400 Häuser könne durch Fusionen oder Umwandlungen durchaus verzichtet werden, sagte DKG-Chef Gerald Gaß im Deutschlandfunk. Er mahnte aber einen „planvollen Transformationsprozess“ an und sprach mit Blick auf die Reform von einem Blindflug. Mit Blick auf die Bundestagswahl am 23. Februar, forderte die Deutsche Krankenhausgesellschaft deshalb, eine neue Regierung müsse die Krankenhausreform umgehend korrigieren. Die Versorgung werde sich mit dem Gesetz nicht verbessern, sondern vielfach verschlechtern und in einigen Regionen ganz wegbrechen.
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz bedauerte eine vertane Chance, einen guten Kompromiss zu erreichen. „Jetzt steht die medizinische Versorgung in den strukturarmen Regionen auf dem Spiel“, sagte Vorstand Eugen Brysch.
Widerstand in den Ländern
Die Kritik aus den Ländern war bzw. ist stark: So warnte die Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz der Länder, Schleswig-Holsteins Gesundheitsministerin Kerstin von der Decken, mit der Reform sei die Sicherung der Grund- und Notfallversorgung gerade im ländlichen Raum akut gefährdet und unkontrollierte Klinik-Insolvenzen würden sich fortsetzen. Die CDU-Politikerin forderte eine Überbrückungsfinanzierung für die Krankenhäuser bis zum Wirken der Reform.
Ein ganz anderes Argument brachte der CDU-Verteidigungspolitiker Johann Wadephul ins Spiel: Er warnte im Bundestag mit Blick auf mögliche Klinikschließungen davor, „dass wir diese Krankenhäuser in einem militärischen Notfall zur Versorgung von Soldatinnen und Soldaten dringend brauchen werden“. Wadephul verwies dabei auf die Warnungen deutscher Geheimdienste vor einer zunehmenden Bedrohung durch Russland.
In Kraft treten soll das Gesetz nun zum 1. Januar 2025. Umgesetzt werden soll die neue Struktur aber erst über mehrere Jahre bis 2029. (mz/dpa)
