Bitte deaktivieren Sie Ihren Ad-Blocker

Für die Finanzierung unseres journalistischen Angebots sind wir auf die Anzeigen unserer Werbepartner angewiesen.

Klicken Sie oben rechts in Ihren Browser auf den Button Ihres Ad-Blockers und deaktivieren Sie die Werbeblockierung für . Danach können Sie gratis weiterlesen.

Lesen Sie wie gewohnt mit aktiviertem Ad-Blocker auf
  • Jetzt für nur 0,99€ im ersten Monat testen
  • Unbegrenzter Zugang zu allen Berichten und Exklusiv-Artikeln
  • Lesen Sie nahezu werbefrei mit aktiviertem Ad-Blocker
  • Jederzeit kündbar

Sie haben das Produkt bereits gekauft und sehen dieses Banner trotzdem? Bitte aktualisieren Sie die Seite oder loggen sich aus und wieder ein.

„Draußen zu gefährlich“

Das dunkle Geschäft auf TikTok – Behörden warnen vor gefährlichem Trend

Falschgeld und Drogen werden in Telegram-Gruppen angeboten.
+
Falschgeld und Drogen werden in Telegram-Gruppen angeboten. Die Nutzer:innen kommen auch von TikTok.

Chinas Social-Media-App ist nicht nur für Influencern lukrativ. Sie wird zur Plattform für dunkle Geschäfte.

von Carl Exner

„Emma, die einzig wahre Liebe <3“, schreibt eine Userin. „Woow was für Teller“, lobt eine junge Frau offenbar eine Bekannte. Es sind Kommentare unter Videos von Jugendlichen, die sich beim Konsum von synthetischen Drogen zeigen. Ein Trend, der seit Monaten auf TikTok anhält und im Sommer nach einem Todesfall Schlagzeilen füllte. Doch auf der App zeigen die jungen Erwachsenen nicht nur ihren Trip. Zunehmend läuft auch der Handel mit den Drogen über die chinesische Social-Media-Plattform.

Nicht nur Rauschgift wird via TikTok gehandelt: Andere Kurzvideos bewerben Falschgeld und gefälschte Kleidung. Der Handel mit den illegalen Substanzen und Gegenständen ist nicht neu. Doch die App macht sie erstmals einem jungen Massenpublikum zugänglich. Laut TikTok nutzen sie mehr als 20 Millionen Menschen in Deutschland. Bei den 14- bis 19-Jährigen ist es sogar jeder Zweite. Kriminelle haben offenbar das Potenzial der Plattform für sich erkannt: TikTok ist für sie zum Umschlagplatz geworden.

Einstiegsdroge TikTok

Meist beginnt der Kontakt mit nur wenigen Worten. „Jmd Berlin?“, schreibt ein User, der seinem Profil augenscheinlich nach Jahre von der Volljährigkeit entfernt ist. Unter seinem Kommentar antwortet ein anderer Nutzer „DM“, eine Abkürzung für Direct Message. Über Hashtags lässt sich schnell eine drogenaffine Community auf der Plattform finden. Unter den Videos kommentieren Dealer und potenzielle Käufer. In Privatnachrichten werden weitere Details zu dem Bestellprozess geklärt.

Die Personen geben sich wenig Mühe, den Rauschgifthandel zu verschleiern. Die Profilnamen sind oft Abwandlungen vom Wort „Drogen“. Dahinter finden sich häufig einschlägige Emojis: Der Netzstecker, der für Dealer steht, das Schneeflocken- oder Pillen-Emoji für Kokain und MDMA. Die Ermittlungsbehörden beobachten diesen Trend aufmerksam: „Durch eine simple Schlagwortsuche auf der jeweiligen Plattform finden interessierte Nutzer die entsprechenden illegalen Angebote. Der Nutzer muss sich lediglich noch für ein Angebot entscheiden und mit dem jeweiligen Anbieter digital in Kontakt treten“, sagt das Bundeskriminalamt (BKA) auf Anfrage von BuzzFeed News Deutschland. Technische Barrieren wie im Darknet seien gefallen.

Das Beste von BuzzFeed Deutschland gibt es jetzt auch auf WhatsApp. Hier kannst du unseren Kanal abonnieren.

Mit einem Klick zum Rausch

Ist man im Kontakt mit den Dealern, nimmt der Bestellprozess nur wenige Minuten in Anspruch. Einige Angebote sind wie Essenslieferdienste aufgebaut. Käufer und Dealer verabreden Ort und Zeit für die Übergabe via DM. Die meisten Angebote, die BuzzFeed News Deutschland findet, funktionieren jedoch wie Onlineshops.

In den Profilbeschreibungen sind Kontaktdaten hinterlegt, die auf Telegram- oder Snapchat-Accounts verweisen. Nach der Kontaktaufnahme erhalten die User einen Link für eine Gruppe. Dort finden sie die verfügbaren Angebote. Meist reicht die Palette von Marihuana bis hin zu LSD, 3MMC oder MDMA.

Fotos zeigen Drogen, die in Telegram-Kanälen angeboten werden.

Die Ware wird aufwändig präsentiert: Fotos zeigen die Drogen vor einem einfarbigen Hintergrund. In der Nachricht wird Reinheitsgehalt, Preis, Menge und verfügbare Zahlungsmethoden angegeben. Einige Anbieter versenden auch Fotos, die zeigen, wie sie Pakete bei der Post abgeben, um die Echtheit der Angebote zu beweisen. Viele Offerten hätten eine betrügerische Absicht, sagt das BKA BuzzFeed News Deutschland. In diesem Fall würden die Täter nur ein geringes Risiko tragen, da sie „aufgrund der illegalen Aktivitäten nicht fürchten müssen, dass die Opfer eine Strafanzeige bei der Polizei erstatten“.

Nicht nur die Präsentation der Drogen erinnert an Onlineshops. Fragen zum Bestellprozess werden in einem weiteren Channel als FAQ abgehandelt. In einem Kanal, den BuzzFeed News Deutschland näher betrachtet, wirbt ein Anbieter mit Versandzeiten von drei bis fünf Tagen. Bis 200 Euro besteht die Möglichkeit, mit Gutscheincodes für Amazon oder Steam zu bezahlen. Bei einem höheren Bestellwert müsse man mit Bitcoin zahlen – auch für diesen Fall ist eine weitere Anleitung verlinkt.

Noch ein gefährlicher TikTok-Trend: Eltern geben ihren Kindern Gummibärchen mit dem Schlafmittel Melatonin.

TikTok-Dealer packt aus: „Draußen ist es viel gefährlicher”

So auskunftsfreudig die Dealer sind, wenn es um ihre Ware geht, umso schweigsamer werden sie auf Nachfrage. Wir kontaktieren via Telegram Dutzende Profile, die den Anschein erwecken, dass hier Drogen verkauft werdejö Einige lassen unsere Interviewanfrage unbeantwortet. Andere blockieren das Rechercheprofil, über das die Anfrage verschickt wurde. Nur einer ist nach einigen ausgetauschten Nachrichten bereit zu reden. Die Bedingung: Er beantwortet keine Fragen zu seiner Person. Nur so viel: Er sei ein Mann und wäre in seinen Zwanzigern. Er antwortet schnell, möchte aber nicht telefonieren.

Viele Follower hat der mutmaßliche Dealer nicht: Auf TikTok folgen ihm etwas mehr als 100 Personen. Seine Telegramgruppe umfasst knapp 200 Mitglieder – seine Nachrichten werden einige hundert Male abgerufen. Wie hoch sein Gewinn mit dem Drogenhandel genau ist, verrät er nicht. Doch er könne davon leben.

Ein Grund für seinen hohen Gewinn sei, dass er keinen organisierten Strukturen angehöre, denen er etwas abgeben müsse. Werben Dealer über Telegram, müssen diese in den meisten Fällen Geld an die Administratoren von reichweitenstarken Gruppen abdrücken. Er hingegen kommentiert hauptsächlich unter TikTok-Posts. Die Kunden und Kundinnen würden so auf seine Angebote aufmerksam und könnten seinem eigenen Gruppenchat beitreten.

Laut eigenen Angaben sei es nicht das erste Mal, dass er mit Drogen handele. Früher habe er als Jugendlicher gedealt, jedoch nicht im Clearnet, sondern auf der Straße. Ob er bereits straffällig geworden ist, lässt er offen. Nach der Frage bricht der Kontakt zu dem mutmaßlichen Dealer ab.

Chat mit einem mutmaßlichen Dealer.

Die Telegram-Gruppen haben oft nur eine kurze Lebensdauer: Die Nachrichten werden meist nach wenigen Tagen oder Wochen automatisiert gelöscht, Gruppen durch Telegram gesperrt oder von den Administratoren selbst aufgelöst. Doch die Dealer und Dealerinnen nutzen die Kundendaten weiter. Sie bauen parallel weitere Gruppenchats auf und fügen ihren Kundenstamm hinzu.

Mehr zum Thema TikTok: Wie islamistische TikToker versuchen, „Hass auf Deutschland“ zu schüren

Boom-Geschäft um Falschgeld und gefälschte Ausweise

Während der BuzzFeed-Recherchen wird ein Account von BuzzFeed News Deutschland zu weiteren Gruppen hinzugefügt, die eine breitere Palette an Substanzen anbieten – wohlgemerkt ohne vorher mit dem Administrator unseres Accounts Kontakt aufgenommen zu haben. Neben Kokain und Marihuana bietet eine Person in einem Chat gefälschtes Geld, Ausweisdokumente und Kreditkarten an.

Sie verspricht, dass das Falschgeld übliche Testmethoden bestehe und auch von einigen Banken angenommen werden soll. 7.000 Euro Falschgeld kosten 300 Euro. Für nur 100 Euro mehr werden Falschgeld mit dem Nennwert von 10.000 Euro versprochen. Überprüfen lassen sich die Angaben und Angebote nicht. In vielen Gruppen werden jedoch Videos verbreitet, in denen Käufer und Käuferinnen den Erhalt der Ware bestätigen sollen. Unter demselben Namen der Telegramgruppe ist auch ein TikTok-Account zu finden. In einem Video des Kanals wird bündelweise Geld präsentiert – mutmaßlich Falschgeld.

In Telegram-Gruppen werden gefälschte Dokumente und Falschgeld angeboten.

Auch das BKA nimmt wahr, dass der Anteil des online gehandelte Falschgeldanteil anwächst: „Dies betrifft sowohl Angebote und Verkäufe im Internet – insbesondere über Messengerdienste, jedoch auch über Social-Media-Plattformen wie TikTok – als auch über einschlägige Handelsplattformen und Foren im Darknet. Polizeilichen Schätzungen zufolge wird mittlerweile mehr als 75 Prozent des in Deutschland festgestellten Falschgelds über das Internet (Clearweb und Darknet) erworben“, heißt es von der Behörde.

Das Geschäft mit dem Falschgeld boomt: 26.690 gefälschte Euronoten haben die Behörden und Banken von Januar bis Juni 2023 aus dem Verkehr gezogen – so viel wie in den letzten drei Jahren nicht. Der Schaden übertrifft in den sechs Monaten bereits den Wert des gesamten Vorjahres.

DHGate, Saramart, Pandabuy: TikTok-Hype um gefälschte Luxusmarken

Influencer bewerben Fake-Produkte von Luxus-Marken.

Nur wenige Swipes von Drogen und Falschgeld entfernt bewerben die Influencerinnen und Influencer Kleidung von gefälschten Luxusmarken. Das Geschäft mit den Luxusmarken-Fakes hat nur wenig mit dem Handel zu tun, wie Touris ihn aus beliebten Urlaubsorten kennen. In Kurzvideos zeigen die Creatorinnen und Creatoren Unboxings oder bewerten ihre Käufe.

@malimathias

♬ original sound - Mali Mathias

Sie verlinken die Produkte. In den meisten Fällen führt die URL auf Seiten wie Pandabuy, DHGate oder Saramart (Website ist derzeit nicht abrufbar). Verbraucherschützer warnen vor den Angeboten mit gefälschten Luxusartikeln. Eine Studie des Wirtschaftsprüfungsunternehmens Ernst und Young kommt zu dem Ergebnis, dass Käufer und Käuferinnen gesundheitsgefährdende Materialien in gefälschten Markenartikel in Kauf nehmen.

Mit einer Bestellung gehen die Kundinnen und Kunden nur ein geringes Risiko ein: Findet der Zoll Sendungen mit gefälschter Kleidung, wird diese konfisziert und vernichtet. Strafbar machen sich die Käuferinnen und Käufer jedoch nicht. Vielleicht auch deswegen boomt das Geschäft mit den Fakes von Gucci und Co.: 2022 beschlagnahmten die europäischen Zollbehörden mehr als 86 Millionen gefälschter Artikel im Wert von etwa zwei Milliarden Euro, heißt es in einem Bericht der zuständigen EU-Behörde EUIPO. Im Vergleich zum Vorjahr ist das ein Anstieg um drei Prozent. Von Seiten des deutschen Zolls heißt es gegenüber BuzzFeed News Deutschland, dass der Trend wahrgenommen und vermehrt Hinweise eingehen würden.

Auch dem Femizid-Trend, bei dem Männer über Morde an Frauen schwärmen, gibt TikTok eine Plattform.

Behörden warnen vor gefährlichem Trend – TikTok schweigt

Für die Ermittlungsbehörden ist der Kampf gegen Kriminellen auf der Plattform herausfordernd. Insbesondere, weil man auf die Zusammenarbeit mit den Social-Media-Konzernen angewiesen sei.

Durch die zunehmende Verlagerung des Phänomens in den digitalen Raum wird der Zugang zu Betäubungsmitteln jeglicher Art einem breiten Nutzerkreis erleichtert sowie die Hemmschwelle, illegale Betäubungsmittel zu erwerben und auszuprobieren, heruntergesetzt. Besonders betroffen sind hier Jugendliche sowie junge Heranwachsende, die Hauptzielgruppe der entsprechenden Social-Media-Plattformen sind. Ihnen bietet sich durch Zugang zu den Plattformen die Möglichkeit, illegale Angebote zu nutzen, die ohne diese Plattformen überhaupt nicht in ihrer Reichweite wären.

Sprecher des Bundeskriminalamts

TikToks Nutzungsbedingungen verbieten den Handel. In den Richtlinien heißt es, dass man keine Inhalte, die Drogen zeigen und bewerben, gestatte. Auch der Handel mit gefälschter Ware sei nicht geduldet. „TikTok ist weder ein Ort für illegalen Handel noch ein inoffizieller Markt“, heißt es in den Community-Regeln.

Trotz der Selbstverpflichtung möchte der Konzern das Thema offenbar aus der Öffentlichkeit heraushalten. Eine Anfrage von BuzzFeed News Deutschland lässt TikTok unbeantwortet, löscht jedoch Konten, die Inhalt unseres Fragenkatalogs waren. Die Maßnahme dürfte eher kosmetischer Natur sein. Weiterhin lassen sich problemlos dutzende Konten finden, die den schnellen Rausch, Luxusmode zum Niedrigpreis oder Falschgeld versprechen.

Ein mutmaßlicher Dealer, dessen Account gesperrt wurde, hat in einer Telegram-Nachricht bereits ein neues Profil auf der Plattform verlinkt. Obwohl die Maßnahmen des chinesischen Konzerns nicht greifen, dürfte es um den Händler ruhiger werden: Mitte Dezember kündigt er an, die letzten Wochen des Jahres Urlaub machen zu wollen. Anschließend müsse er im Januar seine Lager auffüllen. Der Drogenhandel über Social-Media scheint sich für den TikTok-Gangster zu lohnen.

Kommentare