Nach dem 7. Oktober
„Vermeiden das Thema“: Wie Lehrkräfte mit Antisemitismus an Schulen umgehen
Von Schimpfwörtern bis hin zu Vorurteilen im Unterricht: Antisemitismus hat viele Gesichter. Nicht nur die Schülerinnen und Schüler brauchen noch Nachhilfe.
Anne Frank war 16 Jahre alt, als sie 1945 im Konzentrationslager in Bergen-Belsen starb. Heute, am 12. Juni, wäre sie 95 Jahre alt geworden. So weit ihre Geschichte in der Vergangenheit zu liegen scheint, so aktuell ist sie heute. Antisemitismus hat an deutschen Schulen wieder einen Platz. Das Anne Frank Zentrum organisiert an Franks Geburtstag deshalb einen bundesweiten Schulaktionstag gegen Antisemitismus, an dem sich rund 90.000 Schülerinnen und Schüler aus 590 Schulen beteiligen.
Anstieg antisemitischer Vorfälle an Schulen seit dem Hamas-Angriff
Nach dem 7. Oktober verzeichnete die RIAS (Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus)-Meldestelle einen „sprunghaften Anstieg antisemitischer Vorfälle“. Schulen haben dabei eine zentrale Rolle gespielt, teilte der Sprecher des gleichnamigen Bundesverbands BuzzFeed News von IPPEN.MEDIA mit.
„Jüdische Schülerinnen und Schüler, aber auch Lehrkräfte, wurden für den Krieg in Israel und Gaza verantwortlich gemacht, ausgegrenzt, beleidigt und sogar mit Vernichtungsfantasien konfrontiert. So wurde im Oktober letzten Jahres ein jüdischer Schüler in Rheinland-Pfalz von einem Mitschüler mit den Worten bedroht: ‚Deine Familie in Israel wird sterben, Israel wird untergehen‘“, sagt der Sprecher.
Konkrete Zahlen, inwiefern der Antisemitismus an Schulen 2023 im Vergleich zum Vorjahr zugenommen hat, veröffentlicht RIAS nach eigenen Angaben erst Ende Juni. Von der Bildungsstätte Anne Frank heißt es, dass an Schulen aktuell vermehrt Vorfälle auftreten. „Lehrkräfte berichten, dass sich tief verwurzelte antisemitische Haltungen von Familien auf die Kinder niederschlagen“, sagt die Bildungsreferentin Tami Rickert BuzzFeed News Deutschland. Das müssen nicht unbedingt körperliche Übergriffe sein, sondern auch das Verwenden von Schimpfwörtern. „Auf Schulhöfen bezeichnen sich Schülerinnen und Schüler relativ häufig mit ‚Du Jude‘“.
Was ist Antisemitismus?
Die Bundesregierung verwendet die Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA, deutsch: Internationale Allianz zum Holocaustgedenken):
„Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Jüdinnen und Juden, die sich als Hass gegenüber Jüdinnen und Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen.“
Das können Lehrkräfte gegen Antisemitismus tun
Aktuelle Forschungsergebnisse würden zeigen, dass vielen Lehrkräften das Problem Antisemitismus nicht richtig bewusst sei – und das, obwohl sie es verurteilen. Seit dem Krieg in Israel ist das Thema stark politisch aufgeladen und geht oftmals mit einer Debatte über pro-palästinensische Bewegungen einher. „Lehrkräfte berichten, dass sie aufgrund von Unsicherheiten das Thema momentan vermeiden und umgehen“, sagt Rickert.
Die Bildungsstätte Anne Frank fordert daher, dass sich Lehrkräfte im Kollegium gemeinsam fortbilden. „Insbesondere zu Israel und Palästina benötigen Lehrkräfte mehr Fachwissen.“
Dies ist ein Artikel von BuzzFeed News Deutschland. Wir sind ein Teil des IPPEN.MEDIA-Netzwerkes. Hier gibt es alle Beiträge von BuzzFeed News Deutschand.
Antisemitismus kann auch von den Lehrkräften selbst ausgehen. Die Soziologin Julia Bernstein fand das in einer Forschungsarbeit 2018 heraus, auf die sich die Bildungsstätte Anne Frank bezieht. Betroffene jüdische Schüler:innen berichteten demnach, dass sie durch Lehrkräfte offen abgelehnt worden seien. „Wenn alle Juden so wären wie du, dann kann ich Hitler verstehen“, habe eine Lehrkraft zu einem Betroffenen gesagt.
Antisemitische Stereotype von Lehrerinnen und Lehrern können der Forschungsarbeit zufolge in ihren Unterricht mit einfließen. Zum Beispiel über das Aussehen von Jüdinnen und Juden: Eine Lehrkraft habe die Aufgabenstellung „Do I look jewish?“ gestellt. Nicht immer sei den Lehrkräften ihr antisemitisches Verhalten bewusst.
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