Tourismusregion Berchtesgaden plant Verkehr der Zukunft
On-Demand-Verkehr soll Zweit- und Drittautos erübrigen – Hunderte neue Haltestellen möglich
Der Verkehr in Berchtesgaden soll auf komplett neue Füße gestellt werden, dem Landkreis winkt zudem ab 2027 zusätzliche Verantwortung: Im Hintergrund wird in Arbeitskreisen an einem On-Demand-System gearbeitet, das nicht nur den Rufbus zum Auslaufmodell macht. Der Vorsitzende des Berchtesgadener Tourismus, Dr. Bartl Wimmer, gab nun Einblicke in ein Mammutprojekt.
Bischofswiesen – „Mobilität“, sagt Bartl Wimmer, ist neben Wohnen und Energie das Thema der Zukunft - und deshalb ist das auch der Titel, den die von den Landkreis-Grünen initiierte Veranstaltung trägt. Als Mann an der Front, der den Tourismus Berchtesgadens anführt, ist Wimmer einer, der dazu viel zu sagen hat. Seit kurzem gibt es mit Robert Seibold einen eigenen Verkehrsmanager in Berchtesgaden. Er bereitet mit einem Team vor, was in Zukunft Realität werden soll: Ein ausgeklügelter On-Demand-Verkehr, der auf lange Sicht das Zweitauto überflüssig machen soll. Damit verbunden ist ein Tourismus, der - in der Theorie - ohne eigenes Auto möglich sein soll.
Die Arbeit steht Seibold derzeit bis zum Hals, weiß Wimmer. „Aber die Zeit drängt zum Handeln”: Spätestens 2024 soll in der Region jenes On-Demand-System eingeläutet werden, das kürzlich erst angekündigt wurde und in das nicht nur ein Haufen Geld investiert wird, sondern das auch - langfristig gesehen - das für viele zur Unerträglichkeit verkommene Verkehrsproblem in den Sommermonaten lösen könnte. Mit intelligenter Technik und jeder Menge gesammelter Datensätze könnte der Verkehr im „Bergerlebnis” in Berchtesgaden auf neue Füße gestellt werden. Die Zuständigen verfolgen dieses Ziel und arbeiten an mehreren Lösungsoptionen. Als Basis dient eine App, die alle Angebote der Region bündeln soll, worüber man Infos findet und Buchungen tätigt, Verkehrsmittel-übergreifend.
Eine der Überlegungen: Hunderte neue Haltestellen im Talkessel
In einer der strategischen Überlegungen wird mit mehreren hundert neuen Haltestellen im Talkessel gearbeitet. Maximal 200 Meter müsste ein potenzieller Kunde zu Fuß gehen, ehe er in ein gebuchtes Fahrzeug einsteigt. Per Klick soll dieses angefordert werden, die Wartezeiten sollen im besten Fall minimal ausfallen, „nicht mehr als 20 Minuten”, sagt Wimmer und umreißt damit auch den immensen Umsetzungsaufwand, der in den Überlegungen steckt. Dabei geht es um Technik, Fahrzeuge, Menschen, die die Fahrzeuge lenken. Den On-Demnad-Verkehr denkt Wimmer dabei flächendeckend. “Natürlich wird es Tücken haben, aber ich glaube, dass das Thema das Zeug hat, zum Paradigmenwechsel zu führen.” Für ihn ist klar: Für das an überschaubaren Fahrgastzahlen krankende Rufbussystem wird damit ein Ende eingeläutet.
Seit knapp 40 Jahren sitzt Wimmer in politischen Gremien. Er sagt: „Mobilität war im Wahlkampf immer ein großes Thema.” Eines, in dem der Fortschritt maximal Schneckentempo erreicht. Wimmer drückt jetzt auf die Tube, gibt Gas: Die Dritt- und Zweitautos sollen sich zukünftig erübrigen. In drei bis fünf Jahren, sagt er, könnte in der Region in Sachen Verkehr vieles anders laufen als heute. Eine komplette Urlaubs- und Lebensregion verkehrstechnisch neu zu denken, bleibt eine Mammutaufgabe. Wimmer sagt, die Region müsse dagegenhalten, „sonst bleibt der Fortschritt eine gigantische Schnecke.”
Erschwerend kommt hinzu: Das Synonym der Mobilität ist das eigene Auto. Das Auto steht in den Köpfen der meisten für unbegrenzte Freiheit. Das aufzugeben, erfordert ein unschlagbares Angebot. Eine pünktliche Bahnlinie, eine hochfrequente Taktverdichtung für Busse und einen flächendeckenden Zubringer im On-Demand-Verkehr. Erst wenn ÖPNV und Co. eine echte Verbesserung bringen, könne langfristig gesehen, der Individualverkehr ersetzt werden. Erst dann würde damit aufgehört werden können, “die eigene Bewegungsfreiheit mit weiteren Parkplätzen zuzuklotzen”.
RVO: Liniengenehmigungen laufen aus
Erschwerend kommt hinzu: Die Regionalverkehr Oberbayern (RVO) wird sich ab 2027 aus der Eigenbewirtschaftung zurückziehen. „Ab diesem Zeitpunkt müsste der Landkreis für die Trägerschaft sorgen”, so Wimmer. Andreas Datz, Niederlassungsleiter bei der Regionalverkehr Oberbayern, bestätigt auf Anfrage: „Unsere Liniengenehmigungen laufen 2027 aus.” Der Landkreis wolle dann alle Linien ausschreiben „und somit alles in einen Bruttoverkehr überführen”. Bedeutet: Der Landkreis müsste ab diesem Zeitpunkt die gesamten Kosten für den Linienverkehr der Busse übernehmen. Weil gleichzeitig auch an einem überregionalen Verkehrsverbund zwischen dem Berchtesgadener Land und Traunstein getüftelt wird, ist die Aufgabe noch ungleich größer. „Das alles wird für uns enorm herausfordernd werden”, prognostiziert Wimmer.
kp