WG für Menschen mit Beeinträchtigungen – Mit Video
Selbstbestimmt leben trotz Intensivpflege: zu Besuch in der WG „Sturmfrei” in Seeon
Wer das Wort Wohngemeinschaft hört, denkt bestimmt an etwas anderes, wie es bei der WG „Sturmfrei“ in Seeon der Fall ist. Hier leben Menschen zusammen, die rund um die Uhr auf Pflege angewiesen sind. Wie dieses Zusammenleben genau aussieht? Hier gibt es einen Einblick.
Seeon-Seebruck – Sturmfrei zu haben. Darauf freut sich jeder junge Mensch. Die Eltern sind außer Haus und man ist für ein paar Tage der Chef daheim. Oder man lebt zum ersten Mal in seinen eigenen vier Wänden und fühlt sich wie ein Erwachsener. Doch bei Menschen, die auf Intensivpflege, also rund um die Uhr auf Pflege angewiesen sind, ist das kaum möglich. Um auch ihnen dieses Gefühl so gut es geht näherzubringen, gibt es die Intensivpflege-WG „Sturmfrei” in Seeon.
Ausgerichtet für sechs Bewohner mit pädiatrischen Grunderkrankungen
Hier leben junge Menschen ab 18 Jahren mit pädiatrischen Grunderkrankungen. Dazu zählen Entwicklungsstörungen und Fehlbildungen. Hinzu kommt, dass die Bewohner auch geistig und körperlich behindert sind. „Sie brauchen also rund um die Uhr eine Überwachung. Wir wollen ihnen aber die Chance geben, dass sie dennoch – so gut wie möglich – ein selbstbestimmtes Leben führen können“, sagt Christa Haberzettl, die Pflegedienstleitung.
Wer den L-förmigen Neubau in der Altenmarkter Straße betritt, kommt in einen breiten hellen Flur mit bunten Bildern an der Wand. Auch wenn es ruhig ist, wirkt es sehr lebendig. In der Einrichtung ist Platz für sechs junge Erwachsene im Alter von 18 bis 35 Jahren. Jeder hat sein eigenes großes Zimmer mit einem speziell für die Betreuung ausgelegten Bett. Auch ein Zugang zu einer Terrasse ist vorhanden, damit das Pflegepersonal mit den Bewohnern problemlos nach draußen kann.
Zusätzlich wird durch die große Terrassentür und die Fenster der Raum mit Licht gefüllt. Zwei Zimmer teilen sich eine Nasszelle. Auch die sind sehr geräumig, damit das Personal die Bewohner im Rollstuhl problemlos hineinfahren kann.
Am Ende des Flurs ist ein großer Gemeinschaftsraum. Hier spielen beim Besuch zwei Bewohner mit Musikinstrumenten. Sie haben sichtlich Spaß und lassen sich nicht ablenken. Neben einer Küche gibt es noch Extra-Räume, wie die Chill-Out-Zone – ein Sinneszimmer, das mit einem sogenannten Klangbett ausgestattet ist. Schall wird über eine Matte transportiert, auf die sich ein Bewohner legen kann, zusätzlich gibt es verschiedene Lichtanlagen. So können sie sich ganz auf Klang, Licht und ihre Sinne konzentrieren.
Auch ein Lernraum, sowie ein Therapie-, bzw. Spiel- und Krabbelzimmer sind vorhanden. Am Ende des zweiten Gangs hat die Einrichtung noch zwei Besucherzimmer mit gesondertem Badezimmer, damit Angehörige in der WG übernachten können. Zum Beispiel für Besuche oder wenn Eltern ihre Kinder bei der Eingewöhnungsphase begleiten wollen. „Und vor allem dienen die Zimmer auch dazu, wenn es den Bewohnern schlechter geht, dass dann die Eltern hier sein können, ohne dass sie sich auswärts ein Zimmer suchen müssen“, sagt Christa Haberzettl, die Pflegedienstleitung.
Kein fester Tagesablauf
In Seeon sind insgesamt 13 Fachkräfte tätig, die sich um die Bewohner kümmern. Sie arbeiten in einem Zwei-Schicht-System von jeweils 12 Stunden, wie Teamleitung Andrea Prümm erklärt. Es wird aber auch nach Verstärkung gesucht. Vornehmlich nach Pflegefachkräften (drei-jährig ausgebildet, mit Examen, mit und ohne Intensiverfahrung) und pädagogisches Personal, wie Erzieher oder Heilerziehungspfleger. Aktuell ist eine Fachkraft für zwei Bewohner zuständig. Einen festen Tagesablauf gibt es aber nicht. „Lediglich die Therapien sind zeitlich festgelegt, aber die Pflege gestalten wir immer sehr individuell, je nachdem wie es dem Bewohner geht”, sagt Prümm.
Betrieben wird die WG Sturmfrei von IC-Home 24, die in etwa 18 Einrichtungen in ganz Deutschland die außerklinische Intensivpflege in Wohngemeinschaften für Erwachsene, junge Erwachsene und Kinder anbietet. Jedoch gibt es auch hier Herausforderungen im Bereich der Intensivpflege. Die WG Sturmfrei darf keine Geldspenden annehmen. „Aber wir sind sehr dankbar, dass wir immer wieder mit Sachspenden unterstützt werden”, sagt Christa Haberzettl und zeigt auf einige Terrassenmöbel.
Ebenso musste sich die Einrichtung stark dafür einsetzen, nach langer Verhandlung mit dem Bezirk von Oberbayern, ihren Anspruch auf Teilhabeleistungen umzusetzen. „Es gibt entweder pädagogische oder pflegerische Einrichtungen und wir haben es jetzt geschafft, dass wir auch pädagogisches Personal, individuell nach Bedarf der Bewohner einstellen dürfen”, teilt Haberzettl mit.
Ein wichtiger Erfolg, damit Menschen mit schweren Erkrankungen und Mehrfachbehinderung, die auf Intensivpflege angewiesen sind, auch die Ihnen zustehenden Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten. So ist es auch wichtig für Christa Haberzettl, dass das Angebot an Intensivpflege für junge Erwachsene zunimmt, um mehr Betroffenen, wie im Fall von Seeon, das Gefühl von Selbstbestimmtheit in einer Gemeinschaft geben zu können.
