Parlamentarische Staatssekretärin
Ukraine-Krieg und Corona: So schwer war der Amtsbeginn für Bärbel Kofler (SPD) aus Traunstein
Traunstein – Die ersten 100 Tage im neuen Amt sind geschafft: Die Bundestagsabgeordnete Dr. Bärbel Kofler (SPD) aus Traunstein ist seit 8. Dezember Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) unter Ministerin Svenja Schulze (SPD). Die OVB-Heimatzeitungen haben mit der studierten Sprachwissenschaftlerin darüber gesprochen, wie sich die neue Aufgabe in bewegten Zeiten wie diesen anfühlt, wie sie der Ukrainekonflikt betrifft und wie oft sie den Bundeskanzler trifft.
Wie fühlten Sie sich, als Sie erfuhren, dass Sie parlamentarische Staatssekretärin werden?
Bärbel Kofler: Ich habe mich natürlich gefreut und das als Anerkennung empfunden für die Arbeit, die ich vorher geleistet habe. Aus den Bereichen Menschenrechte, humanitäre Hilfe, internationale Politik und Entwicklungszusammenarbeit bringe ich meine vielen Erfahrungen jetzt gerne ein in meine neue Aufgabe.
Wie haben Sie sich vorbereitet, als Sie den Anruf erhielten, viel Zeit blieb ja nicht ...
Kofler : Ich war schon bei den Koalitionsverhandlungen zum Bereich der internationalen Politik dabei. Über die Entwicklungszusammenarbeit habe ich mich schon während der Verhandlungen mit ganz vielen Leuten ausgetauscht und die Herausforderungen für das Ministerium kennengelernt. Dann ging es relativ schnell. Montag erhielt ich den Anruf, Mittwoch war Vereidigung.
Was ging Ihnen durch den Kopf? Dachten Sie darüber nach, was Sie anziehen werden?
Kofler: (lacht) Gerade als Frau hat man immer das Problem, dass man sich fragt, ob man noch zum Friseur muss und welche Kleidung man tragen will. Ein Mann hat es da einfacher mit seinem dunklen Anzug. Ich habe natürlich darüber nachgedacht, wie ich alles organisiere, wie wird der zeitliche Aufwand in meiner neuen Aufgabe sein und was kann ich vorbereiten. Ich habe ein neues Büro bekommen, neue Mitarbeiter, dann geht es auch um rechtliche Sachen von den Steuern bis zur Frage des Chauffeurs.
Sie haben zum ersten Mal einen eigenen Chauffeur, wie fühlt sich das an?
Kofler : Ich fühle mich immer noch merkwürdig dabei. Es war übrigens auch ein besonderer Moment, als ich im Dezember das erste Mal auf der Regierungsbank saß.
Wie haben Sie sich eingearbeitet?
Kofler : Zuerst habe ich sehr viele Gespräche geführt. Man muss sich mit den Menschen, die im Ministerium arbeiten und viel Fachwissen haben, auseinandersetzen. Wir haben eine Leitungsklausur gemacht und für uns Schwerpunkte festgelegt. Wir führen permanent Gespräche mit den Referaten und Unterabteilungen.
Was war für Sie die größte Herausforderung in dieser neuen Position?
Kofler : Es ist eine große Umstellung. Ich bin jetzt in einem Regierungsamt in einer leitenden Position in einem Ministerium. Ich bin mit verantwortlich, was dort politisch entschieden wird. Man ist plötzlich in einer ganz anderen Verantwortung für Menschen die Vergabe von Geldern. Man hat den Wunsch, uns alle gut zu vertreten, auch international. Wir haben über die Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) viele Fachleute in unseren Partnerländern. Da sind Menschen, mit denen man sich besprechen muss. Wir haben viele Organisationen mit eigenen Projekten vor Ort. Aus der Fülle von Wissen muss man am Ende entscheiden, was man für wichtig hält und was wir wollen.
Was sind zum Beispiel solche Schwerpunkte?
Kofler : Etwa in der Digitalisierung. In unseren Partnerländern gibt es bereits jetzt schon viele spannende Entwicklungen in diesem Bereich. Wir haben auch mit internationalen Organisationen viel vor. Die EU ist ein großer Player in der Entwicklungszusammenarbeit, gleich zu Beginn habe ich mich mit der zuständigen EU-Kommissarin getroffen. Ein wichtiges gemeinsames Thema ist zum Beispiel die globale Pandemiebekämpfung. Wie bekommen wir hin, dass in anderen Ländern Impfstoffe produziert werden und sie dort bezahlbar sind. Das macht nicht einer allein, die internationale Unterstützung ist wichtig. Wir engagieren uns und sind dabei.
Wie viel Geld gibt Deutschland aktuell für die Entwicklungszusammenarbeit aus?
Kofler : Um die 13 Milliarden Euro, leider schaut der Finanzplan für die nächsten Jahre niedriger aus. Ich habe ganz offen gesagt, dass wir aufgrund der aktuellen Herausforderungen mehr brauchen.
Wie sehr beschäftigt Sie der Ukraine-Krieg in Ihrer neuen Arbeit?
Kofler : Erstens beschäftigt der Krieg jeden von uns persönlich. Ich glaube, es gib Niemanden, den die Bilder vom unfassbaren menschlichen Leid kalt lassen. Wir hatten in der Ukraine viel gute Projekte, zum Beispiel eines für die Trinkwasserversorgung im Osten des Landes. Wir haben viel erreicht bei kommunalen Verwaltungen und Energiepartnerschaften. Es ist bitter, wie Vieles davon im Krieg untergeht. Wir haben 38,5 Millionen Euro umgeschichtet, um rasch helfen zu können. Wir haben Ausrüstung für die Feuerwehr in die Ukraine gebracht. Für die Lebensmittelversorgung ist das Auswärtiges Amt zuständig, wir kümmern uns um alles, was über die unmittelbare Hilfe hinausgeht und nutzen unsere kommunalen Netzwerke. Man muss sich vorstellen, dass 72 Städte in Deutschland eine Partnerschaft mit Städten in der Ukraine haben. Wir möchten Strukturen stützen, gerade in Nicht-EU-Ländern wie Moldau. Wir wollen dort auf der Aufnahme der Geflüchteten unterstützen. Moldau ist ein relativ armes Land und dort kommen viele Menschen aus der Ukraine an. Alleine kann das ein Land wie Moldau nicht stemmen. Es ist übrigens auch eine Aufgabe zu schauen, wie bekommt man hin, dass Geflüchtete und die Bevölkerung gut miteinander klar kommen. Um EU-Länder kümmert sich die EU selbst.
Sie haben das Fach Russisch studiert und kennen sowohl Russland als auch die Ukraine ...
Kofler : Ich möchte vorweg klarstellen: Das ist ein Angriffskrieg Russlands. Putin und seine Armee bringen unglaubliches Leid in die Ukraine. Ich habe ein paar Jahre in Russland gelebt und war acht Jahre lang Sprecherin der deutsch-ukrainischen Parlamentariergruppe im Bundestag. Ich habe in beiden Ländern tolle Leute kennengelernt. Es macht mich unglaublich traurig, mit welcher Brutalität Russland in der Ukraine vorgeht und wie auch Freundschaften zerstört werden. Dieser Krieg verursacht auch an jenen Stellen der Erde zusätzliche Probleme, die es sowieso schon schwer haben. Nicht nur Energie, sondern auch die Weizenpreise sind enorm gestiegen. Im Nahen Osten und afrikanische Länder beziehen zum Beispiel Weizen aus der Ukraine und Russland. Auch in anderen Teilen der Erde müssen wir uns damit beschäftigen, was der Krieg und seine Folgen für die Ernährungssicherheit bedeuten.
Wie viel Politikerin steckt in Ihrem Amt als Staatssekretärin und wie viel Behörde?
Kofler : Die Ministerin, der beamtete Staatssekretär und wir beiden parlamentarischen Staatssekretäre verstehen uns als sehr politische Hausleitung. Wir setzen miteinander Themen, etwa Klimaschutz oder feministische Entwicklungspolitik. Natürlich ist ein Ministerium eine Behörde und da gibt es Prozesse. Wir stehen in der Verantwortung für ein paar tausend Mitarbeiter an unseren Dienstsitzen in Berlin und Bonn als auch in den Partnerländern und Organisationen.
Wie viel Möglichkeit haben Sie, selbst zu gestalten, oder ist das Korsett sehr eng?
Kofler : Natürlich ist das zur Verfügung stehende Geld immer ein Korsett. Es gibt vertragliche Festlegungen der vorherigen Regierung, die man nicht kappen kann. Das andere sind Herausforderungen und Ereignisse wie die Pandemie und jetzt der Angriffskrieg auf die Ukraine, wo sich Prioritäten verändern. Trotzdem gibt es auch Themen, da muss man einfach aus eigener Entscheidung dranbleiben. Zum Beispiel: Wie schafft man die Impfstoff-Produktion im Globalen Süden voranzubringen, wie wird Wissen transferiert, wie kann Impfstoff vor Ort produziert werden, und zwar so, dass es sich arme Menschen leisten können, sich impfen zu lassen. Gleiches gilt für Themen aus dem Gesundheitssystem, Finanzierungsfragen oder soziale Sicherungssysteme. Man muss schauen, was in den jeweiligen Ländern vorhanden und möglich ist, welche Unterstützung wir leisten können. Großes Thema ist und bleibt der Klimawandel. Da geht es zum Beispiel darum, wie wir Menschen in anderen Weltregionen unterstützen können, ihre Landwirtschaft anzupassen. Oder wie Produktionsweisen und Handelsbeziehungen der Zukunft ausschauen sollen. Es ist möglich, diese Schwerpunkte zu setzen. Das sprechen wir alles mit der Ministerin ab.
Wenn Sie auf die ersten 100 Tage zurückblicken: Corona und jetzt der Ukraine-Krieg haben keine Zeit gelassen, sich in aller Ruhe einzuarbeiten. Wie ist es Ihnen ergangen?
Kofler : Sich in Ruhe einzuarbeiten, ist in solchen Zeiten nicht möglich. In der Pandemie sind im Herbst mit der Delta-Variante die Zahlen sprunghaft gestiegen, wir haben erlebt, wie wir in den Krankenhäusern an unsere Kapazitätsgrenzen gelangten. Jetzt geht es um die Einführung der allgemeinen Impfpflicht. Ich hoffe, dass wir das Impfschutzgesetz bis Anfang April vorbereitet haben. Es geht darum, uns bestmöglich zu wappnen für die nächste kalte Jahreszeit. Und jetzt sind wir plötzlich mit einem Kriegsgeschehen mitten in Europa konfrontiert. Die Bitte um Hilfe als Nachbarland und Millionen von Flüchtlingen hat innerhalb kürzester Zeit zu einschneidenden politischen Entscheidungen geführt. Dann gibt es trotzdem auch noch die Themen im Wahlkreis, da geht es um Mindestlohn, die Arbeitsbelastung von Pflegekräften, um Infrastruktur – das ist deshalb nicht weniger wichtig geworden. Wir arbeiten alle mit großem Einsatz und tauschen uns fraktionsübergreifend sehr intensiv miteinander aus. Im Gegensatz zu früher ist ein großes gegenseitiges Vertrauten entstanden und man ist auch eher bereit, Kompromisse zu finden. Natürlich sind wir alle nur Menschen und Menschen machen auch einmal Fehler. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass jemand kopflos ist in dieser ganzen Situation. Es war ja in den zurückliegenden Jahren die große Kritik an der Politik der Bundesregierung, dass sich einiges ändern muss. Die Menschen möchten einen Aufbruch spüren. Wir arbeiten alle daran, diesem Anspruch gerecht zu werden und wollen fair miteinander umgehen.
Wie nahe sind Sie dran am aktuellen politischen Geschehen oder arbeiten Sie sehr viel im Hintergrund?
Kofler : Pressemäßig ist natürlich die Ministerin das erste Aushängeschild, so soll es auch sein. Politik hat zwei Seiten: die eine ist die Kommunikation und die andere die politische Arbeit, die nicht jeden Tag in der Zeitung steht. Das sind dann Themen, für die sich die Öffentlichkeit gerade nicht so interessiert und die nicht in den Schlagzeilen sind. Ich setzte mich zum Beispiel nach wie vor der das Lieferkettengesetz ein und hatte dazu erst vor Kurzem eine Videoschalte mit EU-Kommissar Didier Reynders. Diese Arbeit geht auch weiter.
Wie oft treffen Sie Bundeskanzler Olaf Scholz?
Kofler : Zeiten wie diese verlangen ihm ein hohes Pensum ab und er ist weltweit unterwegs. Trotzdem ist er oft in der Fraktionssitzung dabei und man kann mit ihm offen diskutieren, was ich sehr schätze. Er ist ein Mensch, mit dem man gut reden kann. Es gibt auch noch den Bundeskanzleramtschef Wolfgang Schmidt, mit dem man sich ebenfalls sehr vertrauensvoll austauschen kann.