Sie holten im Januar 2020 Siegsdorfer Familie ab
„Eingepackt und zugeklebt“: Wie zwei Sanitäter den ersten Corona-Fall der Region erlebten
30. Januar 2020: Eine der ersten Corona-Infektionen in ganz Deutschland wird bekannt - beim Vater einer fünfköpfigen Familie aus Siegsdorf. Vom Roten Kreuz werden sie abgeholt und ins Krankenhaus gebracht. „Plötzlich war es soweit“, sagen die Sanitäter Jakob Goëss und Alois Maier heute. Wir haben mit den beiden gesprochen, wie sie den Einsatz damals erlebten. Und wie sie rückblickend die Corona-Zeit bewerten.
Siegsdorf/Traunstein - 80 Corona-infizierte Todesopfer waren es in China schon, als am 27. Januar 2020 auch der erste Fall in Deutschland bekannt wurde: ein Mitarbeiter des Automobilzulieferers Webasto im Landkreis Starnberg. Nur drei Tage später erreichte das Virus die Region: „Plötzlich war es auch bei uns soweit“, sagt Jakob Goëss, Rettungsdienst-Leiter des Traunsteiner Roten Kreuzes, beim Besuch von chiemgau24.de. Der Vater einer fünfköpfigen Familie aus Siegsdorf war nachweislich Corona-infiziert.
Anzüge aus der „Ebola-Zeit“: „Wir sind dahergekommen wie die Mars-Menschen“
„Zwei Stunden vor dem Einsatz hatten wir die Info vom Gesundheitsamt bekommen“, erinnert sich Goëss zurück. Damit über den brisanten Einsatz möglichst nichts nach außen dringt, wurde BRK-intern nur mündlich kommuniziert - kein Funk, kein Telefon, bestätigt auch Notfallsanitäter Alois Maier. Er gehörte zur Besatzung der drei Rettungsfahrzeuge. Auch wenn die Aufgabe nur war, die Familie von Siegsdorf ins Trostberger Krankenhaus zu bringen, war klar: „Das wird kein Routineeinsatz“, so Maier. Jeder habe gewusst, eine Corona-Infektion kann in die Intensivstation führen.
Wie bereiteten sich die Traunsteiner Rotkreuzler also vor? „Aus der Zeit des Ebola-Virus hatten wir noch Infektionsschutz-Sets in den Autos. Ab dem Moment, wo ich wusste, dass die Ausrüstung reicht, war ich entspannt“, so Einsatzleiter Jakob Goëss. Die Sanitäter, die die Familie in Siegsdorf aus der Wohnung holten, waren in ihren Anzügen „so eingepackt und zugeklebt, da kam keine Luft mehr hin“, blickt Goëss zurück. Auch Alois Maier sagt: „Wir sind dahergekommen wie die Mars-Menschen.“ Umso wichtiger war dann, mit der Familie und den Kindern den richtigen Umgang zu finden.
Erster Corona-Einsatz: Spagat zwischen Empathie und Kontaktreduktion
„Wir haben allergrößten Wert darauf gelegt, bei der Familie empathisch aufzutreten“, erzählt Notfallsanitäter Maier: warme Stimme, kein Stress, keine Unsicherheiten. Der Einsatz war besonders und unspektakulär zugleich. Die Siegsdorfer und ihr Gepäck wurden auf zwei Fahrzeuge verteilt, im dritten Auto des Roten Kreuzes war der Ärztliche Leiter. Die Fahrer des BRK stiegen vor Ort nicht aus: Die Kontakte mussten so gering wie möglich gehalten werden, auch während der Fahrt. In Trostberg ging es dann über einen Hintereingang in eine Spezialabteilung der Klinik, wo Infektiologe Dr. Thomas Glück und Leute vom Gesundheitsamt bereits warteten.
Coronavirus im Landkreis Traunstein: Einsatz des BRK in Siegsdorf am 30. Januar




Für die Sanitäter war der erste Corona-Einsatz ihres Lebens damit aber noch nicht beendet. Es galt, die Fahrzeuge zu desinfizieren und sich „geordnet“ auszuziehen - heißt: „Wir haben uns aus unseren Anzügen herausgeschnitten. Später wurden sie über den Klinik-Sondermüll weggeworfen“, erinnert sich Goëss, der schon seit 1996 den BRK-Rettungsdienst in Traunstein leitet. Mit Vor- und Nachbereitung dauerte der Einsatz ganze fünf Stunden. Hatten die beiden Sanitäter danach Angst, sich selbst angesteckt zu haben? Tests gab es für sie damals noch nicht. „Wir waren perfekt geschützt. Da hätte nichts passieren können.“
„Die verrückteste Zeit, die ich beim Roten Kreuz je erlebt habe“
„Corona war die verrückteste Zeit, die ich beim Roten Kreuz je erlebt habe“, sagt Jakob Goëss heute. Schnell sei ihm klar geworden, dass das Virus die Sanitäter „extrem binden“ wird - „aber dass es über Jahre gehen wird, das hab‘ ich damals auch noch nicht gedacht“. Besonders die Mangelsituation machte Goëss zu schaffen. Zu Beginn der Pandemie sei man an einem Wochenende eigens nach Dachau gefahren, um 300 Stück klinischer Mundschutze für die Sanitäter zu ergattern. „Und bei unseren ersten FFP2-Masken sind vorne gleich die Filter herausgefallen. Wir hatten schon überlegt, sie mit Panzertape wieder anzukleben.“
Reicht die Ausrüstung? Hat das Personal Angst? Wie viele erwischt es selbst? Das waren zu Beginn die drängenden Fragen. Im allergrößten Notfall hätte man Personal von Bergwacht, Malteser oder Wasserwacht abgezogen. Hinzu kamen permanente Abstimmungen mit Kliniken und Behörden und immer wieder änderten sich Richtlinien und Vorgaben für die Sanitäter. „Erst die Impfung hat mir persönlich dann Sicherheit gegeben“, sagt Jakob Goëss. Und Sanitäter Alois Maier stimmt zu: „Bis dahin war es wirklich kräftezehrend. Wir wussten oft nicht mal, welche Kliniken wir noch anfahren können, weil die Kapazitäten an ihren Grenzen waren.“
„Wir haben über Jahre die Fälle gesehen, von denen andere nur gesprochen haben“, sagt der Rettungsdienst-Leiter. „Den Leuten ging es richtig schlecht. Wir hatten noch nie so viele Patienten, die beatmet werden mussten“, fügt Alois Maier hinzu. Ohne die Disziplin und das Verantwortungsbewusstsein des Personals in Kliniken und Rettungsorganisationen hätte das Gesundheitssystem nicht überlebt, sind sich die Sanitäter sicher. Und: In der Corona-Zeit hätten die Leute gelernt, den Sanka nicht mehr wegen Kleinigkeiten zu rufen. „Zumindest vorübergehend. Das hat sich inzwischen wieder geändert“, meint Rettungsdienst-Leiter Goëss - „aber auch dafür sind wir da“. (xe)

