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Preis für Schallplattenladen

„Schallplatte war tot“: So haben sie die Vinylnerds in Übersee in 25 Jahren zum Leben erweckt

Rico Böhme vor seinem Plattenladen Vinylnerds in Übersee.
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Enrico „Rico“ Böhme vom Plattenladen Vinylnerds in Übersee.

Im überschaubaren Übersee betreibt Enrico Böhme den Schallplattenladen Vinylnerds. Jetzt hat er von Kulturstaatsministerin Claudia Roth den EMIL_ erhalten. Der Preis bedeutet ihm viel, denn er hat auch schon schwere Geschäftszeiten hinter sich. Ein Bericht über Musik, Emotionen und Spotify.

Übersee – Enrico Böhme erinnert sich noch genau an den Moment, als er vom Preis erfuhr: „Ein Freund hat mich gefragt, wann machen wir die Party und versaufen das Preisgeld?“. Das erzählt er mit einem ansteckenden Lachen. Der Preis, den Böhme mit seinem Schallplattengeschäft Vinylnerds in Übersee gewann, heißt EMIL_ und ist der Deutsche Preis für Schallplattengeschäfte.

EMIL_ ist neu und wurde von Claudia Roth, Kulturstaatsministerin und Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, in Zusammenarbeit mit dem „Verband unabhängiger Musikunternehmer*innen“ verliehen. „Ich konnte bei der Preisverleihung leider nicht vor Ort sein“, berichtet Böhme. Im Gespräch mit dem OVB erzählt er, was ihm der Preis bedeutet: „Es ist eine Bestätigung für die doch nicht so schlechte Arbeit, die ich seit 25 Jahren mache. Das zu erfahren war schon geil und ich bin schon ein bisschen stolz drauf“. Sein Geschäft in Übersee ist ein kleines Familienunternehmen, seine Frau unterstützt ihn genauso wie sein Bruder, der sich um die IT kümmert.

Über den EMIL_

Der EMIL_ ehrt Schallplattenläden als wichtige soziale und gesellschaftliche Orte und rückt ihre Bedeutung für die kulturelle Vielfalt und Bildung in den Blickpunkt der Öffentlichkeit. Denn inhabergeführte, stationäre Plattenläden tragen wesentlich zum Erhalt einer vielfältigen Musikkultur in Deutschland bei, gerade auch im ländlichen Raum. Emil Berliner, der Erfinder der Schallplatte und des Grammophons, ist Namensgeber des Preises. (Quelle: Verbands unabhängiger Musikunternehmer*innen (VUT))

Seine Liebe für Schallplatten hat der in Prien aufgewachsene Böhme von seinem großen Bruder: „Er hatte Platten und hat als DJ aufgelegt. Ich wollte das auch machen.“ Mit 14 Jahren beginnt er selbst aufzulegen: „Damals gab es nur Platten, das Elektronische kam ja erst viel später. Ich lege auch heute noch ab und zu auf, nach wie vor nur mit Platten.“ Über die Leidenschaft als DJ lernte er viele andere DJs kennen, die er zu Beginn mit seinem ersten Online-Shop belieferte. „Die Schallplatte war quasi tot, es waren fast nur DJs meine Kunden. Dann gab es eine Wendung: DJs sind weggebrochen, da die meisten elektronisch auflegten. Dafür kamen quasi normale Endkonsumenten, die sich die Platte für zu Hause kauften. Inzwischen sind auch wieder mehr DJs auf Platten umgestiegen“, erklärt Böhme.

„Mich begeistern an Vinyl mehrere Sachen: Zum einen ist es diese Haptik, was Ordentliches in der Hand zu halten. Zum anderen die Qualität. Manche stören sich an dem leichten Knacksen oder anderen Nebengeräuschen, aber für mich ist das warme Gefühl und diese druckvollen Klänge einmalig, da kommt in meinen Ohren nichts anderes dran“, schwärmt Böhme von „seinen“ Schallplatten und fügt hinzu: „Eine Platte ist für mich einfach Emotion. Bei einer CD hat man zwar auch eine Scheibe in der Hand, aber das wirkt so clean und kalt, weckt in mir keine Emotionen“.

Böhmes Geschäft am Buchwald in Übersee ist in einem alten Tanzlokal. „Vor 25 Jahren hat alles angefangen, damals noch ganz klein“, blickt der heute 46-Jährige zurück. Damals noch als kleines Hobby nebenbei – seit 17 Jahren ist es Böhmes Hauptberuf. „Gelernt habe ich Kfz-Mechaniker. Nach der Ausbildung war mir sofort klar, dass das nichts ist, was ich mein ganzes Leben lang machen möchte“, sagt der zweifache Vater. In einem Traunsteiner Plattenladen arbeitete er knapp zehn Jahre, bevor er einen Online-Handel für Schallplatten eröffnete. „Viele haben damals gesagt, ich sei wahnsinnig, da die Schallplatte eigentlich tot war“, erinnert sich Böhme gut. Er ließ sich nicht seinem Vorhaben abbringen: Das erste eigene Büro in Übersee war im ersten Stock über einem Spielcasino in der Nähe der Autobahn. „Das war dann so groß, dass ich auch einen Verkaufsladen eröffnete“, blickt Böhme zurück. Das Gebäude wurde verkauft, Böhme musste raus und fand gegenüber des heutigen Geschäfts eine neue Bleibe, „auch wenn die mit 35 Quadratmetern viel zu klein war und aus allen Nähten platze“, so Böhme, der meistens Rico genannt wird. Über seinen Vermieter kam er dann an den jetzigen Standort, wie Böhme findet mit der genau richtigen Größe.

Seine Kundschaft beschreibt der Plattenliebhaber als komplett unterschiedlich: „Vom 14-jährigen Mädchen bis zum 80-jährigen Senioren ist alles dabei“. Das war nicht immer so: „Lange Zeit waren meine Kunden 40 plus, aber durch den Vinyl-Hype in den vergangenen Jahren hat sich das komplett gewandelt. Gott sei Dank ist es jetzt so gemischt“. Viele haben die Schallplatte wieder für sich entdeckt, durch das Ladengeschäft seien auch ganz viele Freundschaften unter den Kunden entstanden. „Es gibt kein Unterschied, ob Arzt, Handwerker, Student oder Schülerin, die Leute kommen ins ratschen“, schwärmt Böhme und ergänzt: „Auch musikunabhängig, der eine hört Klassik, die andere Metall und wieder andere Techno. Ich finde das total cool, da gibt es keine Barriere, die Leute reden über Musik und verstehen sich. Das ist total interessant zu sehen“.

Einen Spotify-Account gibt es in der Familie dennoch: „Meine Kinder nutzen Spotify und auch ich habe kein Problem mit anderen Medien. Beim Streaming ist die Qualität zwar nicht so gut, wobei es auch gute Anbieter gibt, aber es ist super praktisch“. So höre Böhme im Auto gerne Spotify oder wenn er mal schnell wo hineinhören möchte. Wann hört ein Platten-Nerd dann Plattenmusik? „Tatsächlich eher selten, hauptsächlich höre ich am meisten im Laden selbst“, sagt Böhme.

Es gab auch eine Zeit, in der der Laden nicht gut lief: „2011, nachdem meine erste Tochter auf die Welt gekommen war, waren die Verkäufe richtig im Keller. Da habe ich schon mal kurz gedacht: ‚Fuck, wie soll ich jetzt eine Familie ernähren‘. Es war dann über ein paar Monate knapp, mit wenigen Verkäufen.“ Inzwischen haben Böhmes Verkäufe ein stabiles Level erreicht. „Ich habe es nie bereut. Es ist zwar so eine Floskel, aber ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht“, ist Böhme glücklich und merkt an, dass er auch nirgends mehr als Angestellter arbeiten könnte: „Ich habe nie das Gefühl, dass ich keinen Bock drauf habe in meinem Laden zu stehen.“ Das Geschäft mache ihm wahnsinnig viel Spaß, versichert der Familienvater, und transportiert das authentisch durch seine Erzählungen. Und das, obwohl der Job durchaus sehr anstrengend ist: „Es ist sehr zeitaufwendig“, sagt Böhme und erklärt weshalb: „Ich muss ständig informiert sein, welche Musik, wo neu herauskommt“. Die Schallplatten bestellt er dann bei den großen Musiklabels wie Universal, Sony oder Warner, hat aber auch immer Kontakt mit kleineren unabhängigen Labels, „die nicht viel Mainstream machen“. Insgesamt wird das kleine Plattengeschäft in Übersee von 70 Lieferanten beliefert.

Bleibt abschließend noch die Frage, welche Musik der Vinylnerds-Inhaber am liebsten hört? Böhme: „Angefangen hat es früher beim Auflegen mit elektronischer Musik, viel House und Techno. Aber inzwischen höre ich wirklich alles, nur klassische Musik oder Schlager sind nicht so meins“. Er sei sehr offen für jede Art der Musik, zählt dann noch die Musikrichtungen Rock, Funk, Soul, Reggae und Jazz auf. Und wenn er nur noch eine Band oder Künstler hören könnte? „Das ist hart und echt schwer zu beantworten, aber vermutlich ‚Depeche Mode‘“, antwortet Böhme.

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