Population steigt stark: Wie viel Wolf vertragen wir?
„Tiere, die über Stunden verrecken“: Emotionale Worte bei Wolfs-Diskussion in Ruhpolding
Das Thema Wolf bewegt nach wie vor die Gemüter in der Region. Und das Thema wird aktuell bleiben, schließlich wächst die Population des Beutegreifers stark an. Der Verband der Privaten Gastgeber im Chiemgau lud nun zu einer Diskussion in Ruhpolding. Dabei fielen deutliche Worte.
Ruhpolding – Mit einem Diskussionsabend beim Häusler auf der Ruhpoldinger Jockl Alm setzt sich der Verband der „Privaten Gastgeber im Chiemgau“ mit dem Wechselspiel zwischen Almwirtschaft, Freizeit und Tourismus auseinander. Zur Frage „Wie viel Wolf vertragen wir?“, gewann der Verband als Referenten den CSU-Landtagsabgeordneten Klaus Steiner.
Steiner mahnte eine sachliche Betrachtung an. Die Frage sei: „Hat der Wolf bei uns einen artgerechten adäquaten Lebensraum?“ „Der Wolf benötigt große unberührte Landschaften und die haben wir nicht“, findet der Politiker. Das gehe in den Pyrenäen, wo 30 Kilometer vom nächsten Dorf der Hirte drei Herdenhunde mitführe und mit dem Jagdgewehr umgehe. Schweden plane die Wolfspopulation auf 270 Stück zu beschränken, berichtet Steiner, wir hingegen hätten eine stark wachsende Population von über 1200 Stück.
Notbremse ziehen
Die Schweiz ziehe ebenfalls die Notbremse, weil das Schutzkonzept mit Zäunen, Schutzhunden, Hirten gescheitert sei. Die Almwirtschaft habe sich über Jahrhunderte entwickeln können, weil Wolf und Bär nicht da waren. Biodiversität, die sich über die Jahre entwickelte, verliere ihre Grundlage ohne die Almwirtschaft. Es gehe eben nicht nur um Schafe.
Die Artenvielfalt der Kulturlandschaft werde laut Steiner „das erste Opfer sein“. Das komplizierte Wechselspiel zwischen Landwirtschaft, Forst, Almbauern, Tourismus gerate aus dem Gleichgewicht, prophezeite er. All das verlange die Möglichkeit, Rudelbildungen zu verhindern, ist sein Fazit. Wenn wir es nicht die nächsten Wochen, Monate schaffen würden, den Wolf in den weniger geschützten Anhang V der FFH-Richtlinie zu bringen, würden wir Einbrüche erfahren.
Kaspar Stangassinger, Landwirt aus Bischofswiesen, sieht den Landwirt über die 40-Stunden-Woche hinaus mit der Vieh- und Almwirtschaft an der Grenze der Leistungsfähigkeit. Er unterstreicht die Bedeutung des Tourismus für die Almwirtschaft. Er warnt vor weiteren – auch psychischen - Belastungen: „In Schlachthöfen wird der Schlachtvorgang per Video kontrolliert, dass es in Sekunden und korrekt abläuft. Aber wenn auf der Alm ein gerissenes Tier über Stunden verreckt, weil es keiner findet, da sagt keiner was.“
Auch Angelika Geisreiter, Reit im Winkl, sieht die Landwirte unterschätzt. „Wir sind geborene Landschaftspfleger, trotzdem habe ich den Eindruck dass wir nicht gut angesehen sind. Alle fahren mit ihren Langlaufskiern und gehen über unseren Boden. Wenn aber der erste Landwirt aufhört und seine Flächen verbuschen, dann folgt schnell der nächste und übernächste und die Aufregung ist groß.“
Wenig Handlungsspielraum
Landwirtin und Vermieterin Babsi Christofori, Ruhpolding, fragte, was ein jeder zur Verbesserung der Situation beitragen könne. Steiner sieht wenig Handlungsspielraum: „Da werden theoretische Debatten geführt, die weit an der Realität vorbei gehen. Die Leute wissen nicht, wie kleinteilige Landwirtschaft und Almwirtschaft geführt werden.“
Factbox: Das Schutzgebietsnetz (Natura 2000)
In der Europäischen Union wurde 1992 beschlossen ein Schutzgebietsnetz (Natura 2000) aufzubauen, das dem Erhalt wildlebender Pflanzen- und Tierarten und ihrer natürlichen Lebensräume dient. Es besteht aus den Gebieten der Fauna-Flora-Habitatrichtlinie (FFH) und der Vogelschutzrichtlinie. Verschiedene Anhänge dieser Richtlinien führen Arten und Lebensraumtypen auf, die besonders schützenswert sind und deren Erhalt durch das Schutzgebietssystem gesichert werden soll. Anhang IV enthält die streng geschützten Arten. Diese dürfen nicht getötet, ihre Lebensstätten nicht beschädigt oder zerstört werden. Sie dürfen in ihrer Fortpflanzung, Wanderung und Winterruhezeit nicht gestört werden. Dieser spezielle Artenschutz gilt nicht nur im Schutzgebiet sondern auf der gesamten Fläche also auch außerhalb der FFH Gebiete. Der Anhang V listet demgegenüber Tier und Pflanzenarten auf, deren Rückgang und Gefährdung vor allem vor weiterer unkontrollierter Entnahme geschützt werden. Kontrollierte Entnahmen sind möglich.