Schleuser wegen versuchten Mordes angeklagt
„Wurden wie Tiere in das Fahrzeug gepackt“: Insassen des Schleuser-Transporters sagen aus
Am 4. Juni startet der Prozess gegen einen Angeklagten (39) aus Georgien: Im September 2023 soll er versucht haben, elf Personen über den Grenzübergang in Burghausen nach Deutschland einzuschleusen. Unter anderem steht er wegen versuchten Mordes vor Gericht.
Übersicht:
Letztes Update 14 Uhr: „Sie haben uns wie Tiere in das Fahrzeug gepackt“
Richter Volker Ziegler verliest dann die Vernehmung eines der Insassen. Der türkische Staatsangehörige gab an, Metzger zu sein. Sein Reisepass sei ihm an der Grenze von Schleusern abgenommen worden. Er komme aus einem Erdbebengebiet und wolle nach Deutschland, um dort einen Asylantrag zu stellen. Er sagt, der Schleuser sei um 7 Uhr in Ungarn losgefahren und im Laderaum hätten sich zu Beginn 17 Menschen befunden, aber nur drei Flaschen Wasser. Sechs Männer sollen bereits in Österreich ausgestiegen sein. Mit Tritten gegen die Trennwand hätten die Insassen versucht, den Fahrer auf den Mangel an Luft aufmerksam zu machen. Um sich einen Eindruck von der Situation im Inneren des Laderaums machen zu können, werden Handyvideos abgespielt und eine türkische Dolmetscherin übersetzt Gesprächsfetzen.
Dann wird einer der türkischen Männer und seine Frau mit dem gemeinsamen Baby in den Zeugenstand gerufen. Alle drei sollten von dem Angeklagten nach Deutschland eingeschleust werden. Das Ziel des Transportes wäre ursprünglich München gewesen. „Sie haben uns wie Tiere in das Fahrzeug gepackt und nicht einmal Wasser gegeben“, übersetzt die Dolmetscherin. Der Mann sagt, dass seine Töchter, darunter das 7-Monate alte Baby sowie eine Sechsjährige und eine Zehnjährige, so häufig über Atemnot klagten, dass er die Dichtungsgummis um die Tür entfernte.
„Wir haben gespürt, dass wir sterben würden und unser Baby wäre aus Atemnot beinahe ohnmächtig geworden“, übersetzt die Dolmetscherin weiter. Die Mutter der drei Mädchen sagt aus, dass ihre Kinder während der Verfolgungsjagd herumgeschleudert worden seien, das Baby habe sich in ihrem Arm befunden, und sei mit der Mutter immer wieder an die Wand gestoßen. Nach der Festnahme des Fahrers, sei die Mutter und ihr Baby vom Rettungswagen in ein Krankenhaus verbracht worden, wo aber keine schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen diagnostiziert wurden. Die Zeugen wird entlassen und der Prozess gegen den geständigen Schleuser wird am Dienstag, dem 11. Juni fortgesetzt. Dann kann auch das Urteil der Strafkammer erwartet werden.
Update 12 Uhr: „Es ging alles ZackZackZack“
Nun wird der Polizeibeamte gehört, auf den der Schleuser mit seinem Kleintransporter zugefahren und dabei auf die Tür des Polizeiwagens geprallt sein soll. Der Zeuge schildert, wie sein Kollege nach dem Anhalten des Transporters vor ihn setzt und an die gegenüberliegende Straßenseite fuhr. Das Video zeigt dann, wie hektisch das Smartphone in den Fußraum des Polizeiwagens geworfen wird. Dann habe der Zeuge schnell reagiert und versuchte an der Beifahrerseite auszusteigen. „Ich habe die Tür aufgestoßen und haben einen Fuß nach außen gestellt, um aufzustehen“, so der Beamte. Dann bemerkte er, dass der Transporter auf ihn zufuhr, drehte sich wieder zurück in den Wagen und dann krachte es.
„Währenddessen hab ich mir nichts dabei gedacht. Erst danach ist mir klar geworden, was eigentlich passiert ist“, so der Zeuge. Der Beamte sagt, es läge wohl am Adrenalin, dass er in dem Moment nicht so klar über das Erlebte nachdenken habe können. Außerdem sei der Zeitraum zwischen seinem Versuch auszusteigen und dem Aufprall des Transporters an der Tür sehr kurz gewesen. „Es ging alles zack, zack, zack“, sagt der Beamte. Nach den Aussagen der beiden Zeugen entschuldigt sich der Schleuser umfangreich bei den Polizeibeamten und sagt, er schätze die Arbeit der Polizei.
Update 10.30 Uhr: Video von riskanter Verfolgungsjagd
Um 10 Uhr ruft der Vorsitzende Richter Volker Ziegler einen Polizeibeamten als Zeugen in den Gerichtssaal. Er berichtet davon, wie die Beamten auf den Kleintransporter des Angeklagten nach dessen Überquerung der „Alten Brücke“ in Burghausen aufmerksam wurden. Nach dem Kreisverkehr nördlich von Burghausen soll der Transporter Richtung Neuötting abgebogen sein und die Beamten hätten versucht, den Wagen mit Signalen anzuhalten. Während der Verfolgungsjagd mit Blaulicht habe der Fahrer auf bis zu 160 Stundenkilometer beschleunigt, so der Polizeibeamte.
Auf der Fahrt sei es zu einem gefährlichen Manöver mit Gegenverkehr gekommen. Nachdem die Beamten den Wagen öffnen konnten, habe man die elf Personen im Laderaum vorgefunden, darunter drei Kinder, eine schwangere Frau, ein Unbekleideter und sechs weitere Männer. Während der Zeugenvernehmung spielt Richter Ziegler ein Video ab, das sein Kollege während der Verfolgungsjagd machte. Es ist zu sehen, wie der Transporter bei auffällig überhöhter Geschwindigkeit überholt und der Transporter dabei deutlich ins Schaukeln kommt.
„Auf dem Video kommt das nicht so rüber, wie schnell das wirklich war“, so der Zeuge. Sein Kollege habe gesagt: „Der darennt sich jetzt dann.“ Die Aufnahmen zeigen, wie der Transporter ins Stadtgebiet von Neuötting fährt und einen Kreisverkehr passiert. Dann fährt der Kastenwagen rechts ran, und der Beamte lässt das Smartphone fallen, mit dem er die Szenerie filmt. Man hört hektisches Aussteigen, Rufen und dann ein lautes Krachen. Dies sei der Moment gewesen, in dem der Angeklagte direkt auf den Kollegen des Zeugen zugesteuert habe und auf die Beifahrertür des Polizeiwagens prallte.
Update 9.30 Uhr: „Hatte nicht vor, Tote über die Grenze zu bringen“
Die Verhandlung gegen den mutmaßlichen Schleuser Archil L. (39) beginnt. Der Angeklagte erscheint in Jeans und blauem Gefängnishemd. Der graumelierte Georgier sitzt zwischen seiner Rechtsanwältin Maria-Theresa Herzog aus Freilassing und seiner Dolmetscherin. Nach dem Vortrag der Anklageschrift verliest die Verteidigerin eine Einlassung ihres Mandanten: „Vorab möchte ich erklären, dass es mir leidtut“, beginnt die Einlassung. Er habe als Vater zusätzliches Geld verdienen wollen, aber nicht beabsichtigt, jemanden zu verletzen. „Ich hatte sicher nicht vor, dass ich zig Tote über die Grenze bringe“, verliest Herzog.
„Wenn es in der Anklageschrift heißt, dass die Insassen unter Atemnot litten, dann verstehe ich das nicht“, so die Einlassung. Vor der Polizei habe der Georgier Angst gehabt und sei in Panik geraten, weshalb er wie „mit Scheuklappen“ gefahren sei. „Ich wollte den Polizeibeamten ganz sicher nicht verletzen und dachte auch nicht, dass ihm etwas passiert“, verliest die Verteidigerin. Es sei alles so schnell gegangen, und er habe in den Momenten nicht „normal gedacht“. Der Angeklagte „sei voll mit Adrenalin gewesen“ und gibt zu „Mist gemacht“ zu haben.
Archil L. habe in Tiflis studiert und einen Bachelor-Abschluss gemacht, für seine zwei Kinder habe er regelmäßig Unterhalt gezahlt und eine gutbezahlte Arbeitsstelle gehabt. Durch Immobiliengeschäfte sei er in zweifelhafte Kreise gekommen, und habe sich verspekuliert. Durch einen Versicherungsfall hätten sich weitere Schulden angehäuft und so habe der Angeklagte Möglichkeiten gesucht, Geld zu verdienen. So sei der 39-Jährige über das Internet mit Schleusern in Kontakt gekommen.
Vorbericht
Traunstein / Burghausen – Am Landgericht Traunstein wird am 4. Juni ab 8.30 Uhr gegen Archil L. (39) aus Georgien verhandelt: Ihm wird neben versuchter Einschleusung unter anderem Körperverletzung in vier Fällen und versuchter Mord vorgeworfen. Für den Prozess sind nur zwei Tage angesetzt: Bereits am 11. Juni soll das Urteil gefällt werden.
Einjähriges Mädchen erlitt wohl Atemnot
Am 1. September 2023 gegen 18.55 Uhr soll Archil L. elf türkische Staatsangehörige in einem Kleintransporter über die „Alte Brücke“ in Burghausen nach Deutschland gebracht haben. Unter den Insassen befanden sich neben sieben erwachsenen Männern, eine Frau und drei Mädchen im Alter zwischen ein und elf Jahren. Keine der Personen war im Besitz einer Einreiseerlaubnis oder eines Aufenthaltstitels. Eng zusammen gepfercht seien die elf Personen im Laderaum gesessen, wo es keine ordentliche Luftzufuhr gab. Mehrere Insassen sollen Erstickungsangst erlitten haben und das einjährige Kind soll aus Atemnot sogar blau angelaufen sein.
Weil zivile Polizeibeamte den Kleintransporter für verdächtig hielten, wollten sie diesen anhalten. Archil L. soll auf die Signale der Polizisten jedoch nicht reagiert und sogar noch beschleunigt haben. So sei es zwischen Burghausen und Neuötting zu einer Verfolgungsjagd gekommen, wobei der Angeklagte gefährliche Überholmanöver durchführte und bis zu 160 Stundenkilometer erreicht haben soll. Auch im Ortsgebiet von Neuötting sei L. weiter mit 100 km/h unterwegs gewesen und nur mit Glück habe ein Zusammenstoß vermieden werden können.
Insassen durch den Laderaum geschleudert
Nachdem der Georgier ausweichen musste, habe er schließlich angehalten – doch als jedoch einer der Beamten aus dem Polizeiwagen stieg, soll Archil L. erneut Gas gegeben und direkt auf den Polizeibeamten zugesteuert haben. Während der Polizist zur Seite sprang, stieß der Transporter in die geöffnete Tür des Streifenwagens, wobei der Aufprall so stark war, dass die Insassen des Transporters durch die Luft geschleudert wurden. Das einjährige Mädchen soll mit seinem Kopf gegen die Laderaumwand geflogen sein.
Der Georgier muss sich nun wegen zahlreicher Delikte verteidigen, darunter: versuchte Einschleusung, Körperverletzung in vier Fällen, versuchter Mord, tätlicher Angriff auf einen Polizeibeamten und versuchte gefährliche Körperverletzung.