„Nichts für Dich“ in Traunstein
„Hast du Zeit für Nichts?“: Konsum-kritische Ausstellung trifft Nerv der Zeit
Mit ihrer Ausstellung „Nichts für Dich“ in der Alten Wache in Traunstein haben die beiden Künstler Robert Heigl jun. und Lisa Klauser offensichtlich einen Nerv der Zeit getroffen.
Traunstein – Nicht nur der Andrang von Interessierten aller Altersklassen war gewaltig. Auch in zahlreichen Familien, an Stammtischen, in Behörden oder Freundeskreisen war die Einladung zu konsumkritischen Selbsterfahrungen Stadtgespräch. Sogar der Süddeutschen Zeitung war die vieldeutige Mischung aus Objekt-Präsentation, Performance, Werbeaktion, Verkauf, Gesprächstherapie und Impro-Theater einen Artikel wert.
Doch wie geht es weiter? War das schon alles? Aktuell erinnern in Traunstein Besucherkommentare auf einer Litfasssäule in der Bahnhofstraße an die Reaktionen auf die Ausstellung. „NICHTS begeistert mich!“ ist da etwa zu lesen oder: „Die Leere kreiert die Fülle im NICHTS“. Vor einer künstlerisch gestalteten Plakatwand auf dem Karl-Theodor-Platz (nahe Apothekerstiege) ziehen Heigl und Klauser ein Resümee ihrer Ausstellung.
Visualisierung im XXL-Format
Zusammen mit dem befreundeten Künstler Clemens Büntig haben sie im XXL-Format eine Visualisierung der Antworten auf die Frage geschaffen: „Worüber wärst Du froh, wenn Du es nicht hättest?“ Die Begriffe der in der Ausstellung auf Postkarten gesammelten Antworten wurden von einem computeraffinen Freund je nach Häufigkeit unterschiedlich groß visualisiert. Das Ergebnis lässt sich jetzt auf der Plakatwand bewundern: „Zukunftsangst“, „Krankheiten“, „Stress“ oder „Sorgen“ findet sich ebenso darauf wie „Voller Keller“, „Das Patriarchat“ oder „Angst vor dem Altwerden“.
„Wir waren selbst überrascht über die vielen unterschiedlichen Reaktionen, Kommentare, Begegnungen und Diskussionen, die unsere Ausstellung ausgelöst hat“, gesteht Heigl. Dank einer Förderung von 10.000 Euro im Rahmen des Stipendienprogramms „Junge Kunst und junge Wege“ des Freistaats konnten die beiden Kreativen ihr Kunstprojekt ein Jahr lang vorbereiten. Irritierende Werbeplakate auf Großflächen in Traunstein oder Aufsteller mit Postkarten wiesen mit Slogans wie „Hast du Zeit für Nichts?“ oder „Nichts ist für immer“ und einem Internetlink auf die Ausstellung im „Fachgeschäft für Nichts“ hin.
Irritationen und Wut
Dort wurde man in Gesprächen der beiden als Verkaufsberater auftretenden Künstler auf günstige Rabattaktionen, luxuriöse Schmuckschatullen mit „Gar Nichts“ für 200 Euro, Kleiderfetzen („Ein Hauch von Nichts“) oder leere Zeitungsständer („Nichts Neues“) hingewiesen. Aus den irritierten und zum Teil wütenden Reaktionen der Besucher heraus entwickelten sich dann schnell intensive Gespräche über Konsumkritik, Sinn- und Kunstfragen oder Weltbilder.
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Da in der Ausstellung auch eine gemütliche Sitzecke mit Tee, Säften und Keksen als Begegnungsraum eingerichtet war, zeigte sich, wie groß der Rede- und Kontaktbedarf zahlreicher Besucher offenbar war. Lisa Kreuzer: „Fünf Freundinnen sprachen hier beim Mädelsnachmittag über Gott und die Welt, Senioren, junge Menschen oder Jugendliche mit Handicaps kamen ins Gespräch, mehrere anfangs eher krawallig auftretende Jugendliche öffneten sich nach mehreren Besuchen oder über 70-Jährige erinnerten sich an das Glück ihrer Jugend, als es ,nichts zu konsumieren‘ gab, aber sich die Menschen in der Not eng verbunden fühlten.“
Im Gespräch abholen
Durch ihre beruflichen Hintergründe als Heilerziehungspfleger oder Sozialarbeiterin und Musikpädagogin konnten Kreuzer und Heigl die Menschen gut im Gespräch abholen.
Eine Mutter schrieb ein Dankes-E-Mail, weil ihre konsumverliebte Tochter nach dem Ausstellungsbesuch selbstkritische Töne anschlug. Mitglieder der Theater-AG des Chiemgau-Gymnasiums probierten sich in „improvisierten Gesprächen als Verkaufsberater“ im Umgang mit Extremsituationen und eigenen Grenzen aus.
Ob aus der Einladung einer Galeristin aus Frankfurt am Main für eine Kunstperformance etwas wird, ist noch offen. Im Gespräch mit dem Stadtmarketing in Traunstein wollen sich Heigl und Klauser für einen „konsumfreien Begegnungsraum“ stark machen.
Aktuell laufen auch Gespräche mit dem Kunstverein in Wasserburg für eine Ausstellung. Im Juli werden die beiden Künstler zudem bei einem Kunstcamp der Städtischen Galerie dabei sein.