Über die Urgewalt der Chiemgauer Kraftlackl
„Hau den Lukas“ – das war Traunsteins Volksfestattraktion vor 45 Jahren
1979 war der Stand von Karl Schallmair die große Attraktion auf dem Traunsteiner Volksfest. Seinen „Hau-den-Lukas“ musste er aber schon am Tag nach der Eröffnung vorübergehend schließen, weil die Vorschlaghämmer, mit denen die Chiemgauer Kraftlackl den Bolzen nach oben schlugen, der Urkraft dieser Männer nicht standhielt. Aufgeschrieben hat Klaus Oberkandler die Geschichte in seinem 2021 erschienenen Heimat-Lesebuch für Kammer und Rettenbach. Jetzt schildert er sie für Chiemgau24 noch einmal.
Traunstein - Es war an einem Nachmittag 1979, als ein schwerer BMW beim Wagnermeister Johann Osenstätter im kleinen Dorf Kammer nördlich von Traunstein vorfuhr. Ein kräftiger Mann, „südländischer Typ“, stieg aus. So begann Helga Osenstätter (1929-2023), Witwe des letzten Kammerer Wagners, ihr G’schichterl über den „Hau-den-Lukas“. Der BMW-Fahrer fragte sie nach ihrem Mann, der gerade auf der Wiese beim Mähen war. Sie deutete in die Himmelsrichtung, wo ihn der Fremde antreffen könnte, ging zurück ins Haus und schloss vorsichtshalber die Tür zu – man weiß ja nie…
Schnee auf dem Bierzelt
Der Fremde hieß Karl Schallmair und war mit einem Vergnügungsstand auf dem Traunsteiner Volksfest. Seinen „Hau den Lukas“ hat er von einem Schausteller aus der Nähe von Kassel gekauft und liebevoll hergerichtet. Traunstein war die erste Station, an der der gelernte Maschinenbauer sein Glück auf einem Rummelplatz versuchte. Am Eröffnungstag, einem Freitag, fielen 20 Zentimeter Neuschnee; die Feuerwehr musste das Dach des Bierzeltes abspritzen, weil es wegen der großen Schneelast zusammenzubrechen drohte. Am Samstag war das Wetter dann gut, und Schallmairs Stand war eine der Attraktionen auf der Wies’n bei der Chiemgauhalle. Jahrelang war schon kein „Hau den Lukas“ mehr in Traunstein gewesen. Die Besucher des Früh-lingsfestes standen Schlange, um mit dem hölzernen Schlegel den Metallkörper möglichst bis zum Anschlag nach oben zu schlagen.
Der Schausteller aus Friedberg bei Augsburg musste noch vor der Sperrstunde den Betrieb einstellen, weil das Schlaggerät zu Bruch gegangen war. Es war massiv gebaut, hatte sogar einen Stiel aus Metall – trotzdem war es hin. Zunächst versuchte es der „Tscharli“ beim Schlosser Grassl, der seine Werkstatt unweit der Wies’n hatte. Der sah sich den Schlegel an, konnte aber auch nicht helfen. Er gab ihm aber den Tipp, es doch einmal bei einem Wagner zu versuchen. Dieser Berufsstand fertige Stiele für Äxte und andere Arbeitsgeräte an. Und einer der letzten seiner Zunft habe seine Werkstatt nur ein paar Kilometer nördlich, in Kammer.
So fuhr der Jung-Schausteller los und suchte nach Osenstätters Werkstatt. Hilfsbereit, wie man den alten Handwerksmeister kannte, lieh ihm dieser einen Schlegel, der schon viele Jahre zuverlässig seinen Dienst beim Wagner getan hatte. Aber auch dieser Schlegel war am nächsten Tag kaputt – zusammengedroschen von Männern, die aller Welt zeigen wollten, wie stark sie sind.
Schlegel mit rechteckiger statt runder Verbindung
Der Wagner baute dem der Verzweiflung nahen Karl am nächsten Tag einen neuen und musste auf dem Frühlingsfest noch am gleichen Abend mit eigenen Augen ansehen, wie auch der zu Bruch ging. Da half nur eine stabile Neukonstruktion, die zwar sehr aufwendig war. Aber Johann Osenstätter war für pfiffige Ideen bekannt. Er war zum Beispiel einer der ersten in der Region, der hölzerne Führerstände für die Traktoren der Bauern baute. Seither konnten sie auch bei Regen ihre Dieselrösser zur Feldarbeit benutzen, ohne nass zu werden.
„Der Osenstätter war ein Glücksfall, ich hätte sonst einpacken können“, erinnert sich Schallmair dankbar an die Handwerkskunst des Kammerer Wagnermeisters. Der fertigte statt einer runden eine rechteckige Verbindung zwischen Schlegelkopf und Stiel. Diese hielt das Vielfache einer runden Verbindung aus. Seither verwendete Schallmair nur noch Schlegel aus der Kammerer Werkstatt. Die mussten auf dem Münchner Oktoberfest und bei Volksfesten in ganz Europa herhalten. Auf Mallorca und sogar bei einer Reise zu einer Festveranstaltung in den Vereinigten Staaten waren Osenstätter-Schlegel im Gepäck. Die Freundschaft zwischen den Familien besteht noch heute.
Oktoberfest-Organisatoren beklagten sich über offenes Hosentürl
Drei Jahre nach der Premiere in der Großen Kreisstadt war Karl Schallmair mit seinem Stand zum ersten Mal auf dem Münchner Oktoberfest. Er baute dafür einen neuen „Hau-den-Lukas“. Weil der noch nicht fertig war, konnte er beim Wiesn-Festausschuss nur Pläne des Gerätes vorlegen. Das Besondere daran: Es war fest auf einen Hänger montiert, musste am Festplatz also nicht auf- und abgebaut werden. Man brauchte nur den Aufbau hochklappen.
Als der neue „Lukas“ fertig war, fuhr er damit zum TÜV nach Augsburg, der ihm nach stundenlanger Prüfung ohne Beanstandung die Freigabe erteilte. Nur bei der Begutachtung durch die Veranstalter des Oktoberfestes gab es anschließend eine Schrecksekunde. „Wir können den ,Lukas‘ nicht genehmigen“, sagte einer der Gutachter, „wenn bei jedem erfolgreichen Schlag das Hosentürl der Trachtlerfigur an der Spitze des Turms aufgeht.“ Wie er das Problem gelöst hat, verrät der „Tscharli“ nicht. Das Geschäft lief jedenfalls sehr gut. Seit 2014 betreut Tochter Iris den „Lukas“, und seit einigen Jahren sind auch deren beide Kinder dabei. „Tscharli“ freut sich, dass es weitergeht.
2020 war er zum letzten Mal in Kammer und besuchte die Familie Osenstätter. Er brachte auch einen Schlegelkopf und einen nagelneuen Stiel aus Eschenholz mit, den der alte Wagner, der schon 1992 gestorben ist, in den 1980er-Jahren hergestellt hat. Dessen Sohn Wolfgang, der im Familienanwesen eine Schreinerei betreibt, hat zwar nicht mehr für Nachschub an Schlegeln gesorgt; in den 1980er-Jahren stand er aber dem Schausteller auf dem Traunsteiner Frühlingsfest als Aushilfe zur Verfügung, wenn Not am Mann war.
„Hau-den-Lukas“
Ein „Lukas“ oder „Hau den Lukas“ ist eine Volksfest- und Jahrmarktattraktion, bei der die Besucher mit einem massiven Schlegel auf einen gefederten Kopf oder auf einen mit einer Zündkapsel versehenen Bolzen schlagen. Dadurch wird ein Metallkörper beschleunigt, der in einem durchsichtigen Rohr oder entlang einer Schiene nach oben steigt. Je mehr Kraft man beim Schlag aufwendet, umso höher steigt der Körper. Sollte er genug Geschwindigkeit haben, das obere Ende des Rohres oder der Schiene zu erreichen, so löst er entweder auf mechanischem oder elektrischem Weg ein Signal aus, oder die Kapsel löst einen Knall aus.
Klaus Oberkandler

