Ticker: 19. Verhandlungstag im „Hanna-Prozess“
Spielte Sebastian T. ein Gewaltvideo nach? Könnte er um 2.29 Uhr auf Hanna getroffen sein?
Traunstein/Aschau im Chiemgau – Am 19. Verhandlungstag im Prozess gegen Sebastian T. (21) werden erneut die Gewaltvideos und Suchverläufe auf seinem Handy betrachtet. Gerade für das psychologische Gutachten dürfte dies entscheidend sein. Auch die Sprachnachrichten der wichtigsten Belastungszeugin – seiner Schulfreundin – kommen noch einmal auf den Tisch. Sie hatte letzte Woche die Aussage verweigert.
Das Wichtigste in Kürze:
Update, 15.40 Uhr – Jogging-Route im Fokus
Ein weiterer Zeuge der Kripo Rosenheim wird in den Zeugenstand gerufen. Der Beamte war ebenfalls an der Auswertung von Sebastian T.s Handys beteiligt. Am 21. Oktober 2022 war bei der ersten polizeilichen Vernehmung des Angeklagten ein Smartphone an die Polizei übergeben worden. Diesem seien aber keine tatrelevanten Inhalte zu entnehmen, so der Zeuge. Erst bei der Durchsuchung der Wohnung im Zuge der Festnahme von Sebastian T. seien zwei weitere Handys aufgetaucht.
Verteidigerin Regina Rick schreitet sofort ein, als sie „nicht tatrelevant“ hört: Es sei sehr wichtig, wann auf dem Handy des Angeklagten was aufgerufen worden sei. Schließlich habe man sogar das Handy seiner Schulfreundin genau analysiert. Unter anderem ging es der Verteidigerin um ein Fitness-Video, das ihr Mandant am 3. Oktober um 1.24 Uhr abgespielt haben soll. Diese Angabe kann aber nur von einem bestimmten Datenforensiker bestätigt werden, für den die Kammer bereits eine ganze Liste an Fragen gesammelt hat.
Die Joggingroute des Angeklagten
Aschließend wird auch ein Bericht von rosenheim24.de als Beweismittel gezeigt, den Sebastian T. ab dem 4. Oktober 2022 immer wieder aufgerufen hatte. Er verfolgte wohl die Updates der Live-Berichterstattung. Dann geht es erneut um die Webcams in Aschau. An diesem Punkt kommt eine Zeichnung des Angeklagten ins Spiel: Bei der ersten Vernehmung am 21. Oktober 2022 hatte er seine Laufstrecke in der fraglichen Nacht in eine Karte eingezeichnet. Die Route führt von seinem Elternhaus südlich um den Schloßberg, dann Richtung Osten und Norden bis hoch bis zum Kreisverkehr am Ende der Bahnhofstraße. Auf seinem Rückweg lief er dann über die Kampenwandstraße, bog nach rechts auf den Festhallen-Parkplatz und dann in die Schloßbergstraße ab, um schließlich auf dem Burgweg weiterzulaufen.
Traf Sebastian T. um 2.29 Uhr auf Hanna?
Bei seiner zweiten Vernehmung hatte der Angeklagte dann aber eine Variation dieser Laufstrecke aufgezeichnet: diesmal ist auch der Bereich auf der Kampenwandstraße markiert, der sich zwischen Eiskeller und Hotel Hohenaschau befindet. Interessant wird es, als die die Aufnahmen einer Webcam vom Chalet-Aschau in der Bahnhofstraße gezeigt werden. Auf dem Video vom 3. Oktober ist deutlich ein Jogger mit Stirnlampe zu erkennen, der von Norden Richtung Süden läuft. Die errechnete Uhrzeit ergibt 2.08 Uhr.
Um herauszufinden, wie lange der Jogger vom Chalet bis zum Hotel Hohenaschau gebraucht haben könnte, lief ein Polizeibeamter die Strecke ab: Bei einer Geschwindigkeit von 6,11 Minuten pro Kilometer schaffte er die Strecke über die Kampenwandstraße, den Festhallen-Parkplatz und zurück über den Burgweg zur Ecke am Hotel Hohenaschau in 21 Minuten. Das bedeutet, dass Sebastian T. in der Tatnacht um 2.29 Uhr an der fraglichen Stelle in der Nähe des Bärbachs mit Hanna W. zusammengetroffen sein könnte.
Wieder war es ein anstrengender Prozesstag für alle Beteiligten. Die Auswertung der Browserverläufe und die Analyse der Laufstrecke warf viele Fragen auf und nahm viel Zeit in Anspruch. Aus diesem Grund unterbricht die Vorsitzende Richterin die Verhandlung für heute und verschiebt die Analyse der Sprachnachrichten von Sebastian T.s Schulfreundin. Am kommenden Verhandlungstag, dem 14. Dezember, sollen Polizeibeamte gehört werden, die die Schulfreundin des Angeklagten und deren Schwester zuerst vernommen hatten.
Update, 12.50 Uhr - Verstörendes Gewaltvideo wird gezeigt
Trigger-Warnung: In diesem Update wird eine Vergewaltigung beschrieben, was für manche Menschen retraumatisierend wirken kann. Wenn du Opfer einer Gewalttat geworden bist, kannst du dich jederzeit an einen Arzt wenden. Hilfe und Beratung findest du auch telefonisch und im Netz.
Nun geht es um ein Gewaltvideo vom Handy des Angeklagten, welches der Zeuge von der Kripo zur Präsentation vorbereitet hat. Auf die Frage von Richterin Aßbichler, ob das Video als Pop-up-Fenster aufgegangen sein könnte, antwortet der Beamte, dass dies recht unwahrscheinlich sei. Weil Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Vorführung des Videos bestehen, fragt Aßbichler den psychiatrischen Sachverständigen, Dr. Rainer Huppert, ob er die Inaugenscheinnahme der Videos als nötig erachtet. Der Jugendpsychiater verneint dies. Es sei ihm zufolge nicht zu unterschätzen, welche Videos sich die Jugend im Allgemeinen anschaue.
„Untersuchungen zum Porno-Konsum bei Jugendlichen und Heranwachsenden zeigen, dass dieser nicht unerheblich ist – auch in Bezug auf Gewaltverherrlichung und in Zusammenhang mit der Darstellung von Sexualität“, so Dr. Huppert. Inwieweit dies für eine Schwerpunktsetzung relevant sei, könne aber nur bei Berücksichtigung von anderen Persönlichkeitsvariablen festgestellt werden. Das heißt: Es ist unklar, ob Sebastian T.s Porno-Konsum auffällig anders ist. Relevant sei laut Dr. Huppert vor allem, wie viel zeitlichen Aufwand der Angeklagte betrieb, um Videos dieser Art anzuschauen.
Video zeigt Verkehr mit bewusstlosem Mädchen
Das Video wird also gezeigt. Man sieht ein minderjähriges Mädchen bei ihren Gymnastik-Übungen auf einer Wiese. Ein maskierter Mann schleicht sich an sie heran, überrascht und jagt sie. Das Mädchen versteckt sich, wird aber dann vom Täter von hinten an den Haaren gepackt und gewürgt, bis es das Bewusstsein verliert. Dann bindet der Täter das Mädchen fest und stranguliert sie weiter. Das Video wirkt bis zu einem gewissen Punkt gespielt, dann aber verstörend authentisch. Ob die Darstellerin wusste, was mit ihr geschehen würde, kann bezweifelt werden.
Während der langgezogenen Strangulation, scheint das Mädchen mehrmals das Bewusstsein zu verlieren. Am Ende wird es reglos vom Täter in Position gebracht und er vergeht sich an ihm. Nachdem das Video beendet ist, wirken die Anwesenden bedrückt, der Angeklagte – der es nur wenige Tage vor seinem mutmaßlichen Mord an Hanna W. anschaute – ist errötet. Die Eltern der Geschädigten hatten für die Filmvorführung den Saal verlassen und kehren wieder zurück.
Update, 11.47 Uhr - Viele Seiten, in denen es um Zwang geht
Rund 20 Prozessbeteiligte, 10 Pressevertreter und 30 Personen im Publikum staunen über den Browserverlauf vom Handy des Angeklagten. Am Abend nach der vermeintlichen Tat rief der damals 20-Jährige – um 18.51 Uhr – wohl eine Internetseite auf, auf der ein Mittel zur Penisvergrößerung angeboten wird. Die Präsentation der Webseite hat einen peinlichen Beigeschmack: Der Angeklagte wagt es nicht Richtung Publikum zu schauen. Allein sitzt er auf der Anklagebank, während sich Verteidiger, Staatsanwälte, Nebenklage und die Jugendkammer über die technischen Hintergründe unterhalten.
Die Liste der „aufgerufenen“ Internetseiten erschwert aus verschiedenen Gründen eine Bewertung: Wie es scheint, kann anhand der vorliegenden Daten nicht festgestellt werden, wann und ob Sebastian T. die betreffenden Seiten aktiv gesucht oder geöffnet hat. Die Verläufe seines Betriebssystems könnten beispielsweise auch Seiten zeigen, die der Angeklagte nicht selbst angeklickt oder gesucht haben muss, erläutert der Zeuge. Außerdem ist möglich, dass er über einen längeren Zeitraum bestimmte Tabs geöffnet hatte und entweder regelmäßig auf sie zugriff – oder sie ignorierte und diese mehr oder weniger „unbewusst“ geöffnet ließ.
Internetseite zur Traumdeutung nach „gezwungen zum Sex“ durchsucht
Um den Sachverhalt besser zu erklären, benutzt der Kripo-Beamte das Bild einer Bibliothek: Der Angeklagte befand sich vor Bücherregalen, und zog dort bestimmte Bücher heraus. Ob er diese aber öffnete und sie durchblätterte oder genau anschaute, lässt sich nicht sagen. Für die Verteidigung sind diese technischen Fallstricke ein gefundenes Fressen. Dennoch lässt sich die Existenz von bestimmten Suchbegriffen wie beispielsweise „Vergewaltigung“, „Kidnapper“, „Sex Vater Tochter“ und „gezwungen zum Sex“ nicht leugnen.
Gerade in dem Zeitraum kurz vor dem mutmaßlichen Mord steigerte sich die Häufigkeit von Sebastian T.s Suchen nach Wörtern wie „brutal“ oder „stranguliert“. Der Zeuge sagt: „Es häuften sich die Seiten, auf denen es um Zwang geht.“ Allein das Wort „gezwungen“ taucht 291 Mal in den protokollierten Internetseiten auf. „Schwester“ 249 Mal. Gerade der Aufruf einer Seite, die „Lost Shorts“ heißt, ließ den Kripo-Beamten aufhorchen, weil er diese mit der zerissenen Hose von Hanna W. in Zusammenhang brachte.
Bei lostshorts.com handelt es sich um eine Pornoseite, auf der sexuelle Fantasien zum Thema „Sex mit diversen Familienmitgliedern“ bedient wird. Erstaunlich fand der Kripo-Beamte auch, dass einige Tage vor der Tat eine Internetseite für Traumdeutung aufgerufen worden war. Auch dort hatte der Angeklagte wohl nach „gezwungen zum Sex“ gesucht.
Update, 10.11 Uhr - 97 Prozent Pornoseiten im Verlauf des Angeklagten
Der 19. Verhandlungstag beginnt, und auch die Eltern von Hanna W. wohnen der Sitzung wieder bei. Weil Videos vom Smartphone des Angeklagten gezeigt werden sollen, kritisiert die Rechtsanwältin Regina Rick, dass der Verteidigung nicht bekannt sei, um welche Inhalte es sich hierbei handele. Richterin Jacqueline Aßbichler erklärt, dass sie darauf bestanden habe, ein Gewaltvideo von Sebastian T.s Handy anzuschauen. „Ich finde es wichtig, auch für Dr. Huppert und sein psychologisches Gutachten“, sagt sie und betont, dass in diesem Prozess dynamisch auf neue Erkenntnisse reagiert werden müsse.
Nur drei Prozent normale Inhalte
Man einigt sich sodann darauf, den geladenen Kriminalbeamten zu befragen, welche Videos überhaupt gezeigt werden können. Der Zeuge erklärt sodann, dass es um die Auswertung der drei Handys des Angeklagten gehe. Auf einem davon seien im Zeitraum zwischen dem 4. August und 2. November 2022 insgesamt rund 11.100 Einträge im Browserverlauf aufgefunden worden.
Bei dieser Zahl seien aber auch Duplikate und nicht-pornografische Seiten enthalten. Der Beamte habe davon dann 3.890 Webseiten aussortiert, zeitlich zugeordnet werden konnten und keine Duplikate waren. „Nicht alle dieser Seiten zeigen pornografische Inhalte, aber 97 Prozent davon“, so der Zeuge. Teilweise seien die Webseiten allerdings nicht mehr aufrufbar, weil die Betreiber ihre Internetseiten regelmäßig bearbeiten.
Vorbericht: Auswertung des Handys von Hannas mutmaßlichem Mörder
Der 19. Verhandlungstag im Prozess gegen den mutmaßlichen Mörder von Hanna W. (†23) beginnt. Weil Sebastian T. (21) nach wie vor schweigt und die Qualität der Blutspuren an seinem Jogging-Outfit nicht ausreicht, um seinem vermeintlichen Mordopfer zugeordnet werden zu können, stützt sich die Anklage bisher hauptsächlich auf Zeugenaussagen. Auch das Verletzungsbild an Hannas Leichnam warf mehr Rätsel auf, als eindeutige Schlüsse zuzulassen.
Am stärksten wurde der Angeklagte durch seine Schulfreundin und deren Schwester belastet. Beide waren letzte Woche erneut als Zeugen geladen. Die Mädchen hatten bei bisherigen Vernehmungen angegeben, dass der Angeklagte ihnen bereits am 3. Oktober von dem Mord an einem Mädchen aus Aschau erzählt habe, also bevor man in Aschau von dem Gewaltverbrechen hätte wissen können. Doch auch die Aussagen warfen mehr Fragen auf, als belastende Sicherheit zu bringen.
Suche nach gewaltsamen Inhalten
Zwar sind sich die Mädchen, ihre Mutter und noch ein weiterer Zeuge einig, dass Sebastian T. während einer Hausparty am 17. November gesagt habe, er sei Hannas Mörder, doch jeder der Zeugen habe es für einen schlechten Scherz gehalten. Während die Schulfreundin ausgesagt hatte, dass der Angeklagte ihr bei einem Spaziergang am Abend des 3. Oktober von dem Mord erzählt habe, sagte ihre Schwester etwas andres: Er habe bereits am späten Nachmittag auf einem Parkplatz in der Nähe des Chiemsees davon geredet.
In einer Sprachnachricht vom 5. Oktober, spricht die Schulfreundin wiederum davon, dass Sebastian T. ihr „gestern“ – also am 4. Oktober – von dem Gewaltverbrechen erzählt habe. Passend dazu registrierte ihr Smartphone am 4. Oktober besonders viele Schritte. Und dann gibt es da noch die Browserverläufe und Gewaltvideos auf dem Smartphone des Angeklagten. Sie deuten auf ein großes Interesse an gewaltsamem Sex hin. So verwendete der junge Mann Suchbegriffe wie „Entführung“, „Vergewaltigung“, „Folter“ bis zu „gezwungen zum Sex“. All diese Suchdateien dürften erneut durchgewälzt werden.