Chiemgauer Medienwochen beleuchtet psychologische Mechanismen
Die Tricks der Social-Media-Plattformen
Wie viele Leute liken mein Foto auf Facebook? Wer hat meinen Status auf WhatsApp angeschaut? Social Media verbindet mit vielen Menschen, kann aber auch unbemerkt zur psychologischen Fessel werden.
Traunstein – Mit welchen psychologischen Tricks arbeiten große Social Media-Plattformen, um unsere Aufmerksamkeit zu fesseln und unser Verhalten zu beeinflussen? Passend zum Startschuss der Chiemgauer Medienwochen stand das Thema im Zentrum der Eröffnungsveranstaltung mit Vortrag und Diskussion in Traunstein. Bis 14. April können sich bei den Medienwochen Kinder und junge Leute, Eltern, Lehrer und alle Interessierten bei zahlreichen Vorträgen, Lesungen und Workshops informieren.
Es geht um Medienkompetenz und Technik, Kampagnen, Fake News und Künstliche Intelligenz, E-Tools und Online-Spiele sowie um Datengeheimnisse. Mitmach-Angebote speziell für Familien bieten drei Samstags-Workshops am 26. März, 2. und 9. April.
Psychologische Strategien und Folgen
Einen spannenden Einblick in die psychologischen Strategien großer sozialer Netzwerke, der Folgen für unser Verhalten durch suchterzeugende Prinzipien und dem Schutz davor gab bei der Auftaktveranstaltung Dr. Christian Montag. Er ist Professor für Molekulare Psychologie an der Universität Ulm.
Montag ging zuerst auf die Entwicklung des Internets von den Anfängen als Militär- und Wissenschaftsplattform bis hin zum multimedial vernetzten Smartphone ein. Das heute bestimmende Datengeschäftsmodell großer Plattformen – kostenlosen Online-Service im Tausch gegen persönliche Daten – das sich schrittweise entwickelt habe, sei heute „dringend überholungsbedürftig“.
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Die negativen Auswirkungen dieser weltweiten Strategie auf das persönliche Wohlbefinden und die Privatsphäre sowie auf Demokratie und Gesellschaft seien längst offenkundig, so Montag. Krasse Auswüchse des „Überwachungskapitalismus“ und von „Desinformationskampagnen“ ließen sich aktuell im Ukrainekrieg studieren. Ziel von Facebook, Instagramm, WhatsApp, TikTok und anderen Social Media-Plattformen sowie Tech-Konzernen sei es, die Nutzer möglichst lange mit immer ausgefeilteren und persönlich zugeschnittenen Angeboten auf ihren Seiten zu halten.
Die dabei gewonnenen Persönlichkeitsdaten lieferten die Grundlage für neue Aufmerksamkeitsstrategien und Marketingprofile für Online-Käufe.
Konzerne machen sich hirnpsychologische Muster zunutze
Montag zeigte auf, wie sich europäische und asiatische Tech-Konzerne dabei hirnphysiologische Reaktionsmuster von Belohnungssystemen und Lernmustern zunutze machen, um die gewünschten Abhängigkeiten eines neuen „homo digitalis“ zu schaffen. In China sei bereits ein Alltagsleben ohne Smartphone-Apps zum Bezahlen und Registrieren nicht mehr denkbar.
Montag zeigte auch die psychologisch-emotionalen Zusammenhänge auf, warum sich Fake News schneller verbreiten und mehr Aufmerksamkeit erregen. Und wie sie sich anhand des Vergleichs von Quellen, Layout, Adresszeile und anderer Kriterien besser erkennen lassen.
Um die positiven Eigenschaften der Social Media wie gesellschaftliche Teilhabe, Vernetzung und Information künftig zum Nutzen aller stärker in den Vordergrund zu stellen, sei die Entwicklung eines neuen Designs notwendig. Dies müsse neben dem Respekt vor dem Nutzer auch ethischen Richtlinien genügen und plattformübergreifend angelegt sein. Ansätze dazu gäbe es bereits bei verschiedenen Start-ups und Projekten, so Montag.
Unkritischer Konsum problematisch
Sind jüngere Menschen eher gefährdet als ältere, fragte Moderatorin Sabina Schneider in der Podiumsdiskussion mit Fachleuten. Problematisch sei der unkritische Konsum bis zum Abschluss der Gehirnentwicklung nach der Pubertät, warf Montag dazu ein. Zur Verantwortung von Eltern und Schulen für die Entwicklung von Medienkompetenz junger Leute nahm Schulamtsdirektorin Monika Tauber-Spring Stellung. Ein wesentlicher Schritt sei die Anleitung, dass der Nachwuchs eigenständig zum „Architekten der Mediennutzung und differenzierter Beiträge zum Wissenzuwachs“ werden könne.
Eltern sollen Kenntnisse ausbauen
Zur Frage der Medienbildung bei Eltern sagte Q3-Geschäftsführer Danilo Dietsch, statt ängstlich auf Lücken zu schauen sei die Orientierung an vorhandenen Kenntnissen und deren Ausbau sinnvoller.
Jim Sengl vom MedienNetzwerk Bayern hielt es für wichtig, „nach Corona wieder Vertrauen in die Medien aufzubauen“ und dass Eltern und Kinder zusammen Medienkompetenz erlangen.
Zu den Medienkenntnissen von Fachkräften in der außerschulischen Jugendarbeit befragt, sagte Kreisjugendpfleger Stefan Dufter, dies sei von der persönlichen Interessenlage abhängig. Wünschenswert sei jedoch, „mehr Werkzeuge für die technisch-kreativen Einsatzmöglichkeiten an die Hand zu bekommen“.
Alle Informationen zum Programm, Veranstaltungsformaten und zur Anmeldung gibt es auf der Internetseite hier.