Interview mit dem Grassauer Ortschef
Bürgermeister Stefan Kattari: „Wolf-Abschuss löst nicht das Problem“
Grassau – Momentan ist es ruhig um das Thema Wolf. Die letzten Risse von Nutztieren liegen einige Wochen zurück, der so genannte „Problemwolf“ war in Tschechien tot aufgefunden worden. Da es in Bayern laut Fachleuten zehn Rudel gibt, ist es wahrscheinlich, dass eines Tages auch wieder ein Wolf durch den Chiemgau streifen wird. Das Tier ist gesetzlich streng geschützt.
Vor diesem Hintergrund hat der Marktgemeinderat Grassau einstimmig ein Papier mit vier Forderungen verabschiedet. Im Gespräch mit den OVB-Heimatzeitungen sagt Bürgermeister und Biologe Stefan Kattari (SPD), dass ein Abschuss einzelner Tiere das Problem nicht löse.
Hilft ein solches beschlossenes Papier?
Stefan Kattari: Ja, wenn die Forderungen umgesetzt werden. Wir verfolgen vier konkrete Ansätze. Viele Gemeinden habe den Abschussantrag von Landrat Siegfried Walch unterstützt. Aber rechtlich sind die Gemeinden nicht zuständig und wir können die Sachlage fachlich nicht fundiert einschätzen, weil wir keine Experten sind. Das ist ein Dilemma.
Was schlägt die Gemeinde Grassau also vor in diesem Papier?
Kattari: Die öffentliche Hand soll den Landwirten Fördermaßnahmen zwischenfinanzieren. Das wäre beim Landkreis oder noch höher am besten angesiedelt, aber wir wollen das nicht von uns schieben und würden uns als Gemeinde auch bereit erklären. Wenn allerdings alle auf einmal kämen, wären wir wohl überfordert.
Sie sprechen bei dieser Förderschutzmaßnahmen konkret von Herdenschutzzäunen, wie hoch sind die Kosten?
Kattari: Ein Meter Herdenschutzzaun kostet derzeit um die 20 Euro. Da kommen schnell ein paar Kilometer zusammen, wenn Viehweiden eingezäunt werden müssen. Landwirte müssen einen fünf- oder sechsstelligen Betrag auslegen.
Gab es zum beschlossenen Forderungskatalog der Gemeinde Grassau bereits Gespräche?
Kattari: Wir haben uns wie vom Marktgemeinderat gewünscht schriftlich mit den Landtagsabgeordneten Klaus Steiner (CSU) und Gisela Sengl (Grüne) in Verbindung gesetzt und bereits einen Termin vereinbart. Außerdem haben wir Landrat Siegfried Walch (CSU) informiert, von ihm haben wir schon eine Stellungnahme erhalten. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Florian von Brunn bringt unseren Antrag in den Bayerischen Landtag ein.
Welche weiteren Punkte fordert der Marktgemeinderat in dem Papier?
Kattari: Wir sind der Auffassung, dass es ganz wichtig ist, einen fachkundigen Ansprechpartner vor Ort zu haben. Jochen Grab, der auch den Grassauer Marktgemeinderat informiert hat, war so ein Ansprechpartner. Das Landesamt für Umweltschutz (LfU) hatte für ihn eine befristete Stelle beim Landratsamt Traunstein geschaffen. Leider ist das nicht weiter verfolgt worden. Wir brauchen beim Thema Wolf jemanden vor Ort, den man bei Unsicherheiten fragen kann, der zu Betroffenen geht und Bürger informiert. Beim Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ist wohl auch so ein Ansprechpartner definiert. Uns ist es im Grunde egal, wo so ein Ansprechpartner angesiedelt ist, Hauptsache es gibt dauerhaft einen. Der Traunsteiner Landrat Walch hat uns erklärt, er würde uns in vielen Belangen unterstützen, aber er sehe eine solche Stelle nicht am Landratsamt. Zum Einstieg könnten wir uns vorstellen, dass die Landkreise Berchtesgadener Land, Traunstein und Rosenheim eine gemeinsame Stelle für einen Wolfexperten schaffen.
Was sind weitere Punkte?
Kattari: Bei einem wolfsbedingten Herdenausbruch wäre es schön, wenn die Haftungsfrage geklärt ist in einer Art und Weise, dass der Tierbesitzer nicht noch zusätzliche Scherereien hat. Vierter Punkt ist, dass sich die staatlichen Vorgaben zum Herdenschutz nicht mit denen der Bioverbände decken. Hier fordern wir, das aufzulösen.
Wie stehen Sie grundsätzlich zum Thema Abschuss?
Kattari: Wenn der Eindruck erweckt wird, als wäre das eine dauerhafte Lösung, habe ich damit ein Problem. Es gibt klare Ausnahmeregelungen im deutschen Naturschutzrecht, wann ein Wolf geschossen werden darf, daran gibt es nichts auszusetzen. Wirklich schädlich halte ich die Vorstellung, mit dem Schießen könne man alles lösen. Selbst wenn man alle Wölfe schießen dürfte, hätten die Landwirte die ersten Wochen bis zum Abschuss ein Problem. Ein Wolf wird ja erst auffällig, wenn er Tiere reißt. Wir können die Diskussion nicht so führen, als würde nie wieder ein Wolf im Chiemgau vorbeikommen. Die Landwirte werden künftig einen erhöhten Aufwand haben. Niemand wünscht sich den Wolf, aber er wird da sein. In Bayern ist eine gewisse Anzahl an Rudeln vorhanden. Der Nachwuchs sucht sich neue Lebensräume, die Zahl der Wölfe wird zunehmen. Dieser Tatsache muss man ins Auge sehen. Es geht nicht um ein einzelnes Tier, das durchzieht. Es könnte auch sein, dass einmal ein Wolf standorttreu wird oder sich ein Rudel etabliert, das wissen wir alles nicht.
Welche Reaktionen gab es bislang auf das Papier des Marktgemeinderats Grassau?
Kattari: Die Reaktionen aus der Landwirtschaft waren sehr positiv. Der Landrat hält sich in seinem Antwortsschreiben ein wenig bedeckt. Ich habe beim Traunsteiner Kreisverband des Bayerischen Gemeindetages den Antrag gestellt, einen Wolfexperten einzuladen. Es ist wichtig, nicht auf der Basis von Emotionen, sondern von Fakten zu entscheiden. In unserer Nachbargemeinde Bernau ist unser Beschluss auf Interesse gestoßen. Wir werden weitere Gespräche verfolgen.